Das Gerücht über die Juden
Antisemitismuskritische Module für die (religions-)pädagogische Praxis
- Mit dem „Film Masel Tov Cocktail“ führen wir ein und fragen nach den Bestandteilen des Antisemitismus-Cocktails: Was sind antisemitische Stereotype und welche Erscheinungsformen von Antisemitismus gibt es? Und, was hat Antisemitismus mit Selbstidealisierung zu tun?
- Zu Modul 1
- Das 2. Modul nähert sich einer spezifischen Erscheinungsform von Antisemitismus, den Verschwörungserzählungen. Fast alle Verschwörungserzählungen sind antisemitisch oder bedienen sich antisemitischer Motive. Warum glauben Menschen an Verschwörungserzählungen und wie kann kreativ darauf reagiert werden?
- Zu Modul 2
- Was hat Judas mit Antisemitismus zu tun? Das Modul beginnt mit einer vertiefenden Auseinandersetzung mit der Passionsgeschichte und den in ihr enthaltenden sowie entstandenen Bildern zu Judas. Das Modul ermöglicht eine spielerische Auseinandersetzung mit dem Entstehen von Geschichten und vermittelt kreativ die historische Situation zu Jesus Lebzeiten.
- Zu Modul 3
- Alte Bilder werden gestört und neue können entstehen. Es geht um die Rezeptionsgeschichte des „Verrats“: Was ist im Laufe der vielen Jahrhunderte zwischen der Entstehung der biblischen Texte und heute mit den Texten passiert? Welche antijüdischen Bilder und welche Vorstellungen haben sich dadurch entwickelt und halten sich bis heute?
- Zu Modul 4
- Warum gibt es Antisemitismus und seine christliche Signatur und was davon ist im säkularen Antisemitismus zu finden? Aus Selbstbeschreibungen christlicher Identität in Abgrenzung zum Judentum lässt sich die zentrale Funktion des Antisemitismus nachvollziehen. Wie die christlichen antijüdischen Motive in säkularen Antisemitismusformen weiterleben, wird anhand von Bildmaterial verdeutlicht.
- Zu Modul 5
Unten links auf Play geht es los! Viel Spaß beim Entdecken des Wimmelbilds. Unten unter „Unser Ansatz“ ist eine detaillierte Bildbeschreibung zu finden. Herzlich willkommen liebe Lehrkräfte, liebe Religions- und Gemeindepädagog*innen, liebe Pfarrpersonen und Multiplikator*innen! Das auf diesen Seiten versammelte Bildungsmaterial lädt Sie ein, eine selbstreflexive und kreative Auseinandersetzung mit Antisemitismus und seinen christlichen Signaturen in Ihre Praxis zu integrieren. Ziel ist es, Werkzeuge und Perspektiven zu vermitteln, die befähigen, antisemitische Narrative zu erkennen, zu hinterfragen und konstruktive Gegenerzählungen zu entwickeln – sei es im Unterricht, in Workshops oder im Alltag. Unsere Module beleuchten zentrale Fragen: Wie entstehen antisemitische Narrative? Welche Rolle spielen Verschwörungserzählungen? Wie prägen christliche Bilder und Selbstverständnisse antisemitische Erzählungen? Was spielt eigentlich Judas für eine Rolle? Welche Funktion kann Antisemitismus haben? Und noch viele mehr. Mit innovativen Methoden, digitalen Elementen und historischen wie biblischen Bezügen schaffen wir Räume für Reflexion und Handeln von Multiplikator*innen in der (religionspädagogischen) Bildungsarbeit und liefern Material und Entwürfe für konkrete Bildungseinheiten. Gemeinsam hinterfragen wir gewaltvolle Bilder, schaffen neue Erzählungen und stärken antisemitismuskritische Perspektiven. Dieses Material möchte dazu beitragen Antisemitismus und vor allem seine christlichen Signaturen zu verstehen und damit auch gegenwärtigen Antisemitismus bekämpfen. Das gesamte Material wurde von dem Projekt „DisKursLab – Labor für antisemitismuskritische und rassismuskritische Bildung und Praxis“ der Evangelischen Akademie zu Berlin in einem mehrjährigen Prozess in gemeinsamer Arbeit mit Lehrkräften und Schüler*innen entwickelt.
Die Module
Anwendungshinweise
Aufbau und Logik der Module:
Fünf Module: Die Module behandeln zentrale Aspekte von Antisemitismus und seinen christlichen Signaturen. Sie bauen thematisch aufeinander auf, sind jedoch auch einzeln nutzbar.
Struktur der Einheiten: Jedes Modul besteht aus mehreren Einheiten, die klar gegliedert sind:
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- Ziel: Was soll erreicht werden?
- Inhalt: Welche Themen werden behandelt?
- Methode: Wie wird gearbeitet?
- Material: Alles, was für die Umsetzung benötigt wird.
Schritt-für-Schritt-Anleitung
- Einführungsvideo ansehen: Beginnen Sie mit dem Video „Zu Beginn“. Es führt ein in den Titel „Das Gerücht über die Juden“ und erklärt kurz und prägnant was wir unter Antisemitismus und seinen christlichen Signaturen verstehen. Dieses Grundlagenwissen bildet den Kern aller Module und Einheiten.
- Modul Überblick verschaffen: Verschaffen Sie sich einen Überblick über die fünf Module. Die Module können entweder in der vorgesehenen Reihenfolge oder unabhängig voneinander durchgeführt werden.
- Hintergrundwissen aneignen: Zu jeder Einheit erhalten Sie Hintergrundinformationen, um die Inhalte sicher zu vermitteln. Teilweise stehen zusätzliche Materialien zur Vertiefung bereit.
- Material nutzen: Alle erforderlichen Materialien wie Kopiervorlagen oder digitale Inhalte finden Sie direkt beim Modul zum Herunterladen.
- Einheiten durchführen: Folgen Sie der Schritt-für-Schritt-Anleitung der Einheit. Sie ist so gestaltet, dass niedrigschwellige Umsetzung möglich ist.
Das Besondere an den Modulen:
- Die Inhalte wurden in einem mehrjährigen Entwicklungsprozess erprobt, insbesondere mit Jugendlichen, und auf Basis dieser Erfahrungen weiterentwickelt.
- Sie basieren auf praktischen Ansätzen, sind flexibel gestaltbar und lassen sich durch Ihre eigenen Ideen und Ansätze ergänzen.
- Die allermeisten Materialien stehen Ihnen als OER zur Verfügung, können und sollen also sehr gern weiterentwickelt und angepasst werden.
- Wir haben bewusst auf Zeitangaben und auch Arbeitsaufträgen auf den Materialien verzichtet um Ihnen als Anwender*innen eine möglichst hohe Passgenauigkeit zu ermöglichen: Nutzen Sie alles so, wie Sie es benötigen!
- Wir freuen uns über Rückmeldungen und Erfahrungen, die zur Weiterentwicklung der Module beitragen! Schreiben Sie an: narrt@eaberlin.de.
Zu Beginn
In diesem Video wird der Titel „Das Gerücht über die Juden“ erläutert. Kurz und prägnant wird erklärt, was wir unter Antisemitismus und seinen christlichen Signaturen verstehen. Dieses Grundlagenwissen bildet den Kern aller Module und Einheiten.
Unser Ansatz
1. Das Wimmelbild
Was gibt es da zu sehen? Entdeckt, was in dem Wimmelbild und dann auch was in unseren Bildungsmaterialien steckt.
Der Barkeeper (links im Bild) mixt einen Antisemitismus-Cocktail nach bewährtem Rezept. Dazu nehme man einen Spritzer „Vogelschiss“ deutscher Geschichte (Zitat des AFD-Politikers Alexander Gauland) stellvertretend für die Verharmlosung des Holocaust, ein paar Krümel eines zerbröselnden Stolpersteins als Sinnbild für die Schlussstrichdebatten in der deutschen Erinnerungskultur, etwas Blut vom christlichen Opferlamm als Symbol des Gottesmordvorwurfs gegen die Juden sowie ein paar Dollarnoten als Gerücht über die sogenannte jüdische Finanzelite.
Hinzu kommt ein ordentlicher Schuss Verschwörungserzählung, wie sie im Internet weit verbreitet ist und durch Demonstrationen u. a. auch der „Querdenker“-Szene in den letzten Jahren Aufwind bekam. Der Code „Die da oben“ meint eine imaginierte jüdische Gruppe, die die Welt unterjochen will – eine Erzählung ohne jegliche Faktenbasis.
Unser fertiger Cocktail wird einem Christenmenschen angeboten (unten links), der ihn abwinkend ablehnt. Wer will schon von sich behaupten, Antisemit zu sein, Christenmenschen erst recht nicht. Und doch, wenn wir einen selbstreflexiven Blick – hier als Blick in den Spiegel – werfen auf die christliche Geschichte, entdecken wir antijudaistische Narrative als Themenlieferant des säkularen Antisemitismus. Haben Christ*innen, hat die Kirche den giftgrünen Antisemitismus-Cocktail angerührt?
Auch Judas (rechts oben) bekommt seinen Anteil vom antisemitischen Getränk. Als vermeintlicher „Verräter“ Jesu wird er vom letzten Abendmahl ausgeschlossen (siehe Gedankenblase) und an den Pranger gestellt. Sein Name wird seitdem als antisemitische Bezeichnung für das gesamte jüdische Volk verwendet. Über einen jahrhundertlangen Strohhalm schlürft er am Cocktail und erhält damit seine Dosis „Täter-Opfer-Umkehr“, was meint, dass Täter der NS-Zeit zu Opfern gemacht werden, weil sich die Nachkommen der Täterschaft der Alten nicht stellen wollen.
Wer aber „Verräter“ ist, das fragt sich der Messias (unten rechts) und findet gleich eine mögliche Antwort: Ihr alle. Was steht in der Passionsgeschichte? Wie wird sie heute rezipiert? Kann sie anders erzählt werden? Mit diesen Fragen entsteht die Möglichkeit, kreativ und phantasievoll eine anti-anti-jüdische Geschichte zu erzählen.
2. Warum schmeckt der Cocktail?
Ein Antisemitismus-Cocktail, der schmeckt!
Warum arbeiten wir mit diesem Sinnbild? Ausgehend von dem Kurzfilm „Masel Tov Cocktail“, der Start in Modul 1, schlagen wir vor, in allen Modulen mit dem „Cocktail“ als Bild zu arbeiten. Der Cocktail: Ein Mixgetränk, das aus mehreren Zutaten besteht, die in einem Shaker verrührt werden. Cocktails gibt es schon sehr lange, haben häufig eine typische Grundstruktur und einige werden weltweit mit der gleichen Rezeptur gemixt. Nicht alle Zutaten sind sofort heraus zu schmecken und nicht allen Menschen schmeckt jeder Cocktail. In jedem Modul sind neue Zutaten für den giftigen Antisemitismus-Cocktail zu finden, so wie im Wimmelbild: alte und aktuelle Erscheinungsformen von Antisemitismus, antisemitische Motive oder Codes und christliche Signaturen darin.
Außerdem zieht sich eine Frage durch alle Module durch, die anhand verschiedener Kontexte und Beispiele immer wieder neu beantwortet wird: Warum schmeckt der Antisemitismus-Cocktail? Und vor allem, warum schmeckte und schmeckt er Christ*innen? Die beiden Arbeitsbögen „Antisemitismus-Cocktail“ und „Warum schmeckt´s?“ werden deshalb am Ende jedes Moduls als Ergebnissicherung integriert. Je nach Gruppe, sowie Material- und Raummöglichkeiten empfehlen wir, diese zwei Bilder als großes Wandbild zu übertragen und immer weiter anzureichern und zu ergänzen.
3. Anders Erzählen
Der Umgang mit biblischen Geschichten gehört zum Tagesgeschäft von religionspädagogischen Multiplikator*innen. Die Texte bieten facettenreiche Möglichkeiten der kreativen Annäherung und nachdenklicher Auslegung. Viele Bilder biblischer Figuren, Szenen und Geschichten sind als Teil christlicher Tradition eng vertraut und sie bieten immer neue Möglichkeiten der Auseinandersetzung im Schulunterricht, in Seminaren, im (Kinder-)Gottesdienst, im Konfirmationsunterricht.
Andererseits bergen viele einflussreiche Erzählungen eine Schattenseite, weil sie Teil antijüdischer Traditionen geworden sind. Im täglichen Umgang und im politischen Leben bestätigen sie sich immer wieder neu und verfestigen sich. Wo Menschen die Bibel lesen und auslegen, lernen sie – oft Negatives – mit Pharisäern, Hohepriestern, Synagogen, Gesetz und Geld zu assoziieren. Solche antijüdischen Bilder sind vielfach unbewusst und deshalb unter der Oberfläche umso wirksamer. Zudem werden diese Bilder oft als historische Fakten gelesen und nicht angemessen kontextualisiert, was ihnen gleichsam „Ewigkeitscharakter“ verleiht. Auch das gilt es zu verstehen und ist ein Ansatzpunkt für das „Anders Erzählen.
Doch wie können christliche Kernnarrative aus antisemitismuskritischer Perspektive neu und anders erzählt werden?
Der Anspruch, verzerrte Bilder zu verlernen, ist aufgrund der tiefen Verankerung dieser eine vielschichtige Aufgabe, die auch einer selbstkritischen Haltung bedarf. Inwiefern sind wir Träger*innen von Antijüdischem? Welche inneren und äußeren Hindernisse gibt es, die den Umgang mit antisemitismuskritischen Inhalten erschweren? Welche antijüdischen Bilder sind Teil meines christlichen Glaubens?
In dem Modul „Judas Reloaded“ und in dem Modul „Verrat mir mal: Verrätst du mich?“ werden Bilder kritisch reflektiert, die sich heute auch in der säkularen Gesellschaft finden lassen, ohne dass ihr kirchengeschichtlicher Ursprung wahrgenommen wird.
Diese Bilder und Erzählstrukturen wollen wir uns bewusst machen und neue Inhalte erschließen, die entstehen, wenn man die Bibel als ein jüdisches Buch versteht. Wie können wir die Passionsgeschichte erzählen, ohne die Hohepriester als verschwörerische Herrscherclique zu lesen? Was passiert, wenn der Judaskuss ein tränenreicher Abschiedskuss wird? Warum ist jedes Jota der Tora wegweisend für Christenmenschen? Und schließlich, wie können wir antisemitismuskritische Inhalte so einspeisen, dass sie auch im Bildungshandeln mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zum Tragen kommen?
In den Modulen wird mit den TN Material erstellt um Elemente neuer Erzählweisen zu produzieren und Paradigmenwechsel für diese Erzählungen anzubahnen. So entsteht Bildungsmaterial, das theologisch fundiert und biblisch-exegetisch kundig Narrative vermittelt, ohne antisemitische Zerrbilder zu bedienen. Das Ziel ist es christlichen Glauben und christliche Selbstbilder zu entwickeln ohne antijüdische Abgrenzung, die nicht zwangsläufig sondern Folge biblischer Rezeption ist.
Spannungen in dieser Bildungsarbeit
1. Aufklärung vs. Reproduktion von Narrativen
Ein zentrales Dilemma in dieser, und in aller Bildungsarbeit zu Diskriminierung, ist die Auseinandersetzung mit Bildern und Texten, die antisemitische Inhalte beinhalten. Einerseits können durch das Analysieren solcher Inhalte, historische und gegenwärtige Formen des Hasses und der Diskriminierung sichtbar gemacht werden. TN können so die Mechanismen, die hinter diesen Bildern stehen, verstehen, und sich mit ihrer destruktiven Wirkung auseinandersetzen. Solche Bilder haben reale Gewalt und Diskriminierung verursacht und sind in der Geschichte tief verankert – diese Tatsache zu verschweigen, würde das Ausmaß des Problems verharmlosen.
Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass das Zeigen solcher Bilder ungewollt zur Reproduktion dieser antisemitischen Vorstellungen führt. Besonders bei jungen Menschen, könnten die Inhalte verstärkend wirken, wenn sie unkritisch oder unklar präsentiert werden. Bilder sind mächtig und können, selbst wenn sie in einem pädagogischen Kontext kritisch hinterfragt werden, tief verwurzelte Vorurteile oder stereotype Denkweisen reaktivieren oder verstärken.
2. Bildanalyse als notwendiges Werkzeug, aber mit Risiken
Bilder spielen in der heutigen Medienlandschaft und vor allem in der Jugendkultur eine große Rolle. Antisemitische Bilder und Symbole aus der Geschichte tauchen immer wieder auf, sei es in Karikaturen, sozialen Medien oder in politischen Kontexten. Um TN die Möglichkeit zu geben, diese Zeichen und ihre Bedeutung zu erkennen und ihnen entgegenzutreten, ist es notwendig, historische Beispiele zu zeigen und sie gemeinsam zu analysieren.
Hierbei besteht jedoch die Gefahr, dass der eigentliche Zweck – das kritische Verstehen und Dekonstruieren – verloren geht, und die Darstellung als „neutrales“ oder gar faszinierendes Objekt gesehen wird. In der Arbeit mit Jugendlichen muss sichergestellt werden, dass eine intensive, geführte Reflexion erfolgt, und dass Bilder niemals isoliert oder kontextlos präsentiert werden. Auch ist sensibel sicherzustellen, dass neben der Auseinandersetzung mit „Täter*innen“ und Menschen, die antisemitische Inhalte verbreiten, auch die Perspektive derer, die direkt betroffen und herabgesetzt werden, einen Ort findet. Die häufig beobachtete Tendenz einer möglichen Faszination (z.B. als Folge von Überforderung) von den „Täter*innen“ oder des „Bösen“ kann so entgegengewirkt werden.
3. Das Risiko der Normalisierung
Eine große Gefahr beim Umgang mit gewaltvollen, antisemitischen Bildern ist, dass sie durch die bloße Wiederholung oder Ausstellung als „normal“ wahrgenommen werden könnten. Gerade in einer Zeit, in der der Medienkonsum von Gewalt und Diskriminierung stark zugenommen hat, kann die ständige Konfrontation mit solchen Bildern eine gewisse Abstumpfung erzeugen. Der pädagogische Anspruch sollte daher immer sein, diese Bilder nicht nur als historische Artefakte oder Darstellungen zu behandeln, sondern ihre destruktive und oft tödliche Wirkung in den Vordergrund zu stellen. Es muss deutlich gemacht werden, dass solche Bilder reale Menschenleben betroffen haben und immer noch betreffen.
4. Die emotionale Wirkung und Traumatisierung
Ein weiterer Aspekt, der in dieser Arbeit oft problematisch ist, ist die emotionale Wirkung solcher gewaltvollen Darstellungen. Gerade antisemitische Bilder, die Gewalt oder dämonische Darstellungen von Juden* Jüdinnen zeigen, können bei TN Verwirrung oder Angst auslösen. Sie können den Hass und die Gewalt, die in den Bildern stecken, emotional nicht immer sofort verarbeiten oder einordnen. Zudem kann es zu einer Art sekundärer Traumatisierung kommen, wenn TN unvorbereitet mit solchen Inhalten konfrontiert werden. Hier ist Sensibilität und Vorsicht gefragt, sowohl im Hinblick auf die Auswahl der Bilder als auch darauf, wie intensiv und auf welcher emotionalen Ebene diese bearbeitet werden.
5. Ein pädagogischer Lösungsansatz: Reflexive Bildarbeit
Eine Lösung, die oft diskutiert wird, ist eine „reflexive Bildarbeit“. Dabei geht es darum, nicht einfach Bilder antisemitischer Gewalt zu zeigen, sondern sie aktiv zu dekonstruieren. Dies bedeutet, dass Bilder nie isoliert, sondern immer in einem umfassenden historischen und sozialen Kontext besprochen werden müssen. Dabei achten wir in der Konzeption der Einheiten auf folgende Aspekte:
Einen Rahmen schaffen: Die Arbeit mit Bildern ist eingebettet in eine umfassende Diskussion über Antisemitismus, historische Entwicklungen. Es ist genügend Raum zur Reflexion gegeben.
Kritische Fragen stellen: Statt nur zu zeigen, was das Bild darstellt, werden die TN angeregt, Fragen zu stellen: Warum wurde dieses Bild geschaffen? Welche gesellschaftlichen Funktionen hatte es? Welche Machtverhältnisse spiegeln sich wider? Wie wirkt es auf mich?
Bildhafte Gewalt brechen: Es ist wichtig, die Macht der Bilder zu unterbrechen, indem sie hinterfragt und neu interpretiert werden. Jedes Modul integriert deshalb Einheiten zum „Anders erzählen“ und zur Intervention, in denen TN angeregt werden, eigene positive Gegenbilder zu entwickeln.
Begriffe
Antijudaismus und Antisemitismus
„Antisemitismus“ und „Antijudaismus“ sind neben „Judenfeindschaft“ die zentralen Begriffe, die in unserem Zusammenhang von Bedeutung sind.
In der Regel wurde Antijudaismus als die religiöse Variante der Judenfeindschaft gesehen, die von einer pseudowissenschaftlichen, rassistischen Variante abgelöst wurde. Urheber der Selbstbezeichnung Antisemiten war 1879 der Journalist Wilhelm Maar. Die Unterscheidung und Verhältnisbestimmung dieser beiden Begriffe und Definitionen waren Gegenstand jahrzehntelanger akademischer und nicht-akademischer Auseinandersetzungen. Beide haben nichts mit realen Juden zu tun, sondern sind Phantasmen, die, und das verbindet beide Formen, der Selbstidealisierung und der Zuschreibung des Schuldigseins an uneingelösten Glücksversprechen des Christentums, des Nationalismus, oder auch des Sozialismus oder des Kapitalismus dienen.
Antisemitische Klischees und Stereotype müssen dabei weder negativ noch bewusst sein. Das Besondere am Antisemitismus ist, dass er sein Feindbild nicht nur wie im Rassismus oder in der Xenophobie als unterlegen oder minderwertig konstruiert, sondern auch als übermächtig und überzivilisiert. Im antisemitischen Denken verkörpern „die Juden“ oftmals das Abstrakte und die Werte der modernen, globalisierten Welt. Gleichzeitig wird ihnen auch das Gegenteil nämlich Naturhaftigkeit zugeschrieben, was die unsäglichen Bilder von jüdischen großen Nasen und Ohren und einer stets gebückten Haltung produzierte.
Antijudaismus hat seine Wurzeln in einer Form der späteren polemischen Anknüpfung an neutestamentliche Texte, die innerjüdische Auseinandersetzungen zwischen Tora-treuen Jüdinnen und Juden und jenen, die in Jesus von Nazareth den angekündigten Messias Israels sahen, thematisieren.
Der religiös motivierte Antijudaismus kennt die antisemitischen Bilder auch. Sowohl glaubt er an den übermächtigen Juden, den Gottesmörder, wie auch an den gierigen blutsaugenden naturhaften und intriganten Juden, den Brunnenvergifter und Kindermörder. Früher ging man davon aus, dass Juden und Jüdinnen sich vor religiösem Antisemitismus durch Taufe schützen konnten. Aber schon die Verfolgung von in Spanien konvertierten Juden nach 1492 wie auch Luthers Tischspruch, dass man Juden nur in der Elbe mit einem Mühlstein um den Hals taufen könne, verweisen auf eine bisher eher im 19. Jahrhundert angesetzte rassistische Ladung des Antisemitismus.
Weil es diese Ähnlichkeiten bis gleichen Ausprägungen gibt nutzen wir oft auch für religiöse Judenfeindschaft den Begriff des Antisemitismus.
Dank und Förderung
Für ihre Unterstützung, Mitarbeit und Inspiration danken wir:
Rebecca Klara Helene Hedenkamp, Karoline Ritter, Katharina von Kellenbach, Ariane Dihle und Jephta Neumann.
Wir danken allen Zuwendungsgeber*innen und Förder*innen für die Realisierung dieses Projekts.
DisKursLab ist ein Modellprojekt der Evangelischen Akademie zu Berlin (2020-2024).
Das Projekt wird gefördert von: