Modul 1: Let’s talk about Antisemitismus
Hinführung
Wenn das Thema Antisemitismus zur Sprache kommt, denken viele sofort an die Shoah oder den Zweiten Weltkrieg. Sie reduzieren dieses so aktuelle und gleichzeitig so alte auf einen kurzen Abschnitt der (deutschen) Geschichte. Dabei wird jedoch nicht nur die Vielfalt der geschichtlichen Formen und Ursachen des Antisemitismus ausgeblendet, sondern auch seine gegenwärtigen Auswirkungen auf die Weltpolitik ignoriert. Zahlreiche Berichte, insbesondere über die Folgen des Nahostkonflikts in verschiedenen Ländern und für Menschen weltweit, zeigen, dass Antisemitismus auch heute ein gravierendes Problem darstellt.
Antisemitismus basiert auf Gerüchten und Stereotypen über jüdische Menschen, die jedoch nichts mit ihrer tatsächlichen Lebensweise zu tun haben. Antisemitische Bilder und Mythen sind tief in den Köpfen und Herzen der Menschen verwurzelt und oft schwer zu erkennen. In Museen, Schulbüchern, unserer Sprache oder im Radio begegnen uns (teils verborgen, teils offen) antisemitische Narrative. Diese stellen eine Bedrohung für jüdische Menschen dar, säen Hass und können in Gewalt umschlagen. Doch woher stammen diese Narrative?
Viele antisemitische Motive haben ihre Wurzeln im Christentum – ein Thema, das in den nächsten Modulen behandelt wird. Dieses Modul widmet sich zunächst den grundlegenden Elementen des Antisemitismus und der Frage: Was sind antisemitische Stereotype? Mithilfe des Films „Masel Tov Cocktail“ wird dieser Frage nachgegangen. Der Begriff „Cocktail“ wird in diesem Modul genutzt, um das Phänomen Antisemitismus zu analysieren und als roter Faden durch die einzelnen Einheiten zu dienen. Denn: Welche Bestandteile enthält der „Cocktail“ des Antisemitismus?
Der Film bearbeitet das Thema aus der Perspektive eines jüdischen Schülers russischer Herkunft und bietet durch seine humoristische Herangehensweise einen guten Einstieg in die pädagogische Arbeit zum Thema Antisemitismus, der gleichwohl tiefere Einsichten in die Erscheinungsformen und Funktionen von Antisemitismus ermöglicht.
Hintergrundwissen für Anwender*innen für das gesamte Modul
Unsere pädagogische Arbeit zum Thema Antisemitismus legt den Fokus auf einen zentralen Punkt: Antisemitismus dient der Selbstidealisierung und Selbstbestätigung durch die Abwertung von Juden/Jüdinnen oder dem Judentum. Er funktioniert als Projektion all dessen, was im eigenen Weltbild negativ und ungelöst ist, auf „die Juden“. Die christliche Signatur zeigt sich dabei deutlich: Das Gefühl der eigenen Unerlöstheit wird auf eine vermeintlich negative jüdische Infiltration oder Sabotage projiziert, bis hin zum Vorwurf des Gottesmordes. Diese Bilder waren über Jahrhunderte hinweg ein Nährboden für Pogrome, Gewalt und gewalttätige Fantasien.
Dieses Modul hat zum Ziel, die Mechanismen der Projektion, sowie die Formen, Inhalte und Motive von Antisemitismus zu ergründen. Die Metapher „Cocktail“, die in diesem Modul eingeführt wird, findet sich als eine Art roter Faden auch in den nachfolgenden Einheiten.
Im Flyer der EKD „Antisemitismus. Vorurteile, Ausgrenzungen, Projektionen“ von 2017 wird in kurzer aber präziser Form Antisemitismus als Weltanschauung beschrieben und die christlichen Anteile daran beschrieben und Alternativen zu christlicher Judenfeindschaft theologisch begründet.
EKD-Flyer (PDF)
In einem weiteren Artikel beschreibt Christian Staffa die Konturen und Gründe christlicher Judenfeindschaft und ihre säkularisierten Formen bzw. Themen.
Staffa Antisemitismus (PDF)
Methodischer Hinweis für Anwender*innen für alle Module
Ausgehend von dem Kurzfilm „Masel Tov Cocktail“, der den Auftakt zu Modul 1 bildet, schlagen wir vor, in allen Modulen mit dem „Cocktail“ als Sinnbild zu arbeiten – einem Antisemitismus-Cocktail. Warum ein Cocktail? Ein Cocktail ist ein Mixgetränk, das aus mehreren Zutaten besteht und in einem Shaker verrührt wird. Cocktails gibt es schon sehr lange, sie folgen oft einer typischen Grundstruktur, und viele werden weltweit nach der gleichen Rezeptur gemixt. Nicht alle Zutaten sind sofort herauszuschmecken, und nicht jeder Cocktail trifft den Geschmack aller Menschen.
In jedem Modul finden sich neue Zutaten für den giftigen Antisemitismus-Cocktail: alte und aktuelle Erscheinungsformen von Antisemitismus, antisemitische Motive oder Codes sowie christliche antijüdische Negativstereotypisierungen. Zudem zieht sich eine zentrale Frage durch alle Module, die anhand verschiedener Kontexte und Beispiele immer wieder neu beantwortet wird: Warum schmeckt der Antisemitismus-Cocktail? Und vor allem, warum schmeckte und schmeckt er Christ*innen?
Die beiden Arbeitsbögen „Antisemitismus-Cocktail“ und „Warum schmeckt’s?“ begleiten alle Module und werden am Ende jedes Moduls zur Ergebnissicherung integriert. Je nach Gruppendynamik sowie den verfügbaren Materialien und Räumlichkeiten empfehlen wir, diese beiden Bilder als großes Wandbild zu übertragen und kontinuierlich zu ergänzen. Alternativ können die Arbeitsbogen-Vorlagen (am besten als A3-Druck) verwendet werden, angepasst an den jeweiligen Kontext. Selbstverständlich können sie auch genutzt werden, wenn nur ein Modul oder einzelne Einheiten behandelt werden.