Modul 3 – Einheit 4
Warum eigentlich Judas?
Hintergrundwissen für Anwender*innen:
In der Bibel finden sich nur wenige biografische Informationen über Judas, der von den Evangelisten als „Iskariot“ bezeichnet wird. Er gehört zu den zwölf Aposteln und somit zum engen Kreis um Jesus. Bereits in der frühesten Erwähnung in Markus 3,19 wird seine Rolle bei der Auslieferung Jesu an die Hohepriester deutlich. Versuche, seine Handlungen zu erklären, führen im Laufe der Zeit zu einer wachsenden Assoziation von Judas mit dem Teufel, wodurch er zur „Gegenfigur“ wurde. Die Themen Verrat, Bestechlichkeit und die Verbindung zum Teufel werden dabei zentral für das spätere Verständnis von Judas, sowohl in neutestamentlichen als auch in kirchlichen Erzählungen. In der weiteren Rezeptionsgeschichte prägen diese Motive zunehmend auch das Bild von Juden, wobei Judas zu einem negativen Symbol für das Judentum wird. Erst in der Neuzeit wurde er jedoch völlig aus seinem biblischen Kontext herausgelöst und zu einer Figur des antisemitischen Hasses stilisiert.
Aus unserer Praxis und der Erprobung des Materials nehmen wir die Erfahrung mit, dass die Bearbeitung des Verratsmotivs und der Figur des Judas bei Jugendlichen zu einer Art heilsgeschichtlichen Überhöhung von Judas führen kann, a la: Wenn er nicht der Verräter ist, dann ist er der eigentliche Held der Geschichte, der Erfüllungsgehilfe des göttlichen Plans.
Daraus ergeben sich folgende Überlegungen: Das Geschehen um die Auslieferung Jesu heilsgeschichtlich zu betrachten, ist zunächst sinnvoll, da die Lüge des Antisemitismus (wie etwa der Gottesmordvorwurf) klar entlarvt wird: Wenn der Tod Jesu Teil eines heilsgeschichtlichen Plans war, warum wird dann Judas, der durch sein Handeln diesen Plan unterstützt und somit zum Gelingen beiträgt, als Verräter betrachtet? Deutlich wird, die Kausalität ist brüchig. Aber auf der Grundlage dieser Dissonanz wird Juden*Jüdinnen der Gottesmord vorgeworfen, werden Pogrome und Gewalt gerechtfertigt.
Eine ausschließliche Fokussierung auf die heilsgeschichtlichen Aspekte der Passion kann aber auch problematisch werden, wenn sie die reale, politisch motivierte Gewalt hinter Jesu Kreuzigung verschleiert oder verherrlicht. In Schwarzen Theologien und befreiungstheologischen Ansätzen steht daher besonders die Identifikation mit Jesus als einer Figur im Vordergrund, die unter staatlicher, politischer und sozialer Gewalt litt. Hier liegt der Schwerpunkt auf Jesu Solidarität mit den Unterdrückten und Ausgegrenzten. Seine Hinrichtung wird nicht nur als religiöses, sondern auch als politisches Ereignis betrachtet, das die gewalttätigen Machtstrukturen der damaligen römischen Herrschaft aufzeigt.
Weiterführendes Material:
Für eine intensivere Beschäftigung mit der Judas Figur wird empfohlen: „Zur Geschichte der Dämonisierung eines Apostels“ ein Vortrag von Rainer Kampling, Professor für Biblische Theologie an der Freien Universität Berlin.
Das Buch „Judas“ von Amos Oz wird ebenfalls für alle empfohlen, als kleiner Appetizer hier die Buchbesprechung von Iris Radisch, der Feuilleton-Chefin von DIE ZEIT.
Ziel
Ziel dieser Einheit ist es, dass die TN die Kreuzigung Jesu durch die römische Besatzungsmacht als historische Tatsache erkennen. Außerdem sollen sie die Relevanz der Figur des Judas in Bezug auf die christlichen Signaturen im Antisemitismus und das Zustandekommen des Verrats erklären können. Die Methode „Erzählcollage“ regt dazu an, die Geschichten von Judas neu zu bewerten, das Verratsmotiv zu reflektieren. Deutlich wird, dass die Passionsgeschichte noch mehr Geschichten über Judas erzählt und dass das Motiv des Verrats nicht nur bei Judas auftaucht. Die Erzählcollage bringt neue Stimmen und Perspektiven zum Klingen, die die Bilder über Judas entstören und neue Bilder über die anderen Jünger*innen Jesu wachrufen.
Ablauf
- Zum Einstieg werden zwei verschiedene Videos (s. Material) gezeigt, innerhalb deren die Figur Judas und seine Rolle im antisemitisch geprägten Denken des Christentums ausgebreitet wird.
Hinweis: Es kann für eine Differenzierung auch mit dem Transkript der Videos gearbeitet werden (s. Material).
- Kurzes Blitzlicht mit Reaktionen zum Film: Was ist neu für euch? Gibt es etwas, das ihr nicht verstanden habt? Welche Fragen haben sich bei euch aufgetan?
- Gemeinsames Hören der Einleitung zur „Erzählcollage“ (s. Material). Anschließend kann entweder in digitaler (s. Material) oder analoger Variante (s. Material) weitergearbeitet werden.
Hinweis: In der digitalen Variante sind drei Szenen dargestellt, auf ihnen finden sich Audio-Symbole, die zu unterschiedlichen Stimmen führen. In der analogen Version gibt es die drei Szenen als Kopiervorlage (Bilder), sowie jede Stimme einzeln als QR-Code in einer Gedankenblase.
- Die TN werden in Gruppen eingeteilt und arbeiten nun entweder mit der digitalen oder analogen Version der Erzählcollage weiter. Dabei ähneln sich die Arbeitsaufträge für beide Versionen:
- Digital: Hört euch die Stimmen in allen drei Szenen an.
- Analog: Spielt mit den Simmen herum – probiert euch dabei ruhig aus. Wer denkt was und wie klingt er*sie dabei?
- Analog & Digital: Tauscht euch über das Gehörte aus. Beantwortet dabei folgende Fragen: Was hat euch verwirrt? Welche Stimme oder welche Situation interessiert euch am meisten? Was denkt ihr über diese Stimmen? Welche Perspektiven sind für euch neu? Welche kamen euch vertraut vor?
Hinweis: Im nächsten Schritt sollen die TN eigene Stimmen produzieren. Es lohnt sich also hier nicht zu schnell vorzugehen. Die Aufgaben sollen eher zu einem tieferen Verständnis der Komplexität der Stimmen und ihren feinen Unterschieden anregen.
Methode
Erzählcollage entdecken und eigene gestalten