Modul 4 – Einheit 1
Stille Post
Hintergrundwissen für Anwender*innen:
Stille Post ist ein bis heute beliebtes Kinderspiel, das selbst bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen immer wieder für Erstaunen sorgt. In der Flüsterkette passieren die verrücktesten Dinge: Buchstaben und Silben gehen verloren, Wörter werden bis zur Unkenntlichkeit verändert, und oft entstehen völlig neue Bedeutungen. Diese Einheit nutzt dieses Prinzip, um den TN zu verdeutlichen, wie sehr sich Geschichten beim Weitererzählen verändern können: Fakten verschwinden, Fantasieelemente kommen hinzu, manches wird ausgeschmückt, anderes angepasst.
Mit dieser Methode soll ein Bewusstsein für die Rezeptionsgeschichte biblischer Texte geschaffen werden. Sie zeigt, dass unser heutiges Wissen über Judas und der christliche Blick auf den Verrat stark geprägt sind von antisemitischen Narrativen, die sich im Lauf der Geschichte an diese Erzählungen angeheftet haben.
Ziel
Ziel dieser Einheit ist es, dass die TN ein Verständnis für die Rezeption und Weiterentwicklung tradierter Geschichten sowie für die Vieldeutigkeit biblischer Texte und deren kontextbezogenes Wissen entwickeln. Sie erkennen, dass die Wahrnehmung von Wirklichkeit subjektiv und vielfältig ist und sich durch Weitererzählen verändern kann. Die TN lernen, die Rezeptionsgeschichte biblischer Erzählungen kritisch zu hinterfragen und entwickeln ein Bewusstsein dafür, wie Verzerrungen bis heute wirken, um aktiv gerechtere Narrative zu gestalten.
Ablauf
- Kurzer Einstiegsimpuls zum Thema: „Wie verändern sich Geschichten, wenn sie weitergegeben werden?“ (Welche Verzerrungen können dabei auftreten?). Wichtig ist dabei der Übergang zur Rezeptionsgeschichte biblischer Texte. Es sollte erklärt werden, dass biblische Geschichten, ähnlich wie bei „Stille Post“ über Jahrhunderte hinweg interpretiert und verändert wurden. Dies hat oft schädliche Auswirkungen, wie z.B. die Einbettung antisemitischer Stereotype in die Judas-Geschichte.
- Die Gruppe wird im Folgenden zwei Versionen von Stille Post spielen und diese anschließend reflektieren.
- Spielrunde 1: Veränderte Geschichten
- Die TN werden in mehrere Gruppen von 6-8 Personen eingeteilt. Diese stellen sich jeweils in Reihe auf. Anschließend bekommt die erste Person jeder Reihe das AB Stille Post I (s. Material).
- Jede*r TN flüstert die Geschichte nun dem*der Nächsten ins Ohr. Ist die Geschichte am Ende der Reihe angekommen, wird die letzte Version laut vorgetragen und mit der ursprünglichen Version verglichen.
- Spielrunde 1: Veränderte Geschichten
- Die TN reflektieren zuerst in der Gruppe: Welche Teile wurden weggelassen oder ergänzt? Was hat sich sonst verändert? Warum könnte das passiert sein?
- Spielrunde 2: Zielgerichtete Verzerrung
- Die Gruppen bleiben bestehen und stellen sich wieder in Reihe auf. Anschließend bekommt die erste Person jeder Reihe das AB Stille Post II (s. Material).
- Je nach Gruppengröße bekommen zusätzlich mehrere Personen geheime zusätzliche Anweisungen (auf kleinen Zettelchen zugesteckt oder geflüstert), dass einzelne Personen „heimliche“ Anweisungen bekommen haben sollte hier nicht zu deutlich werden:
- Du denkst das Tarik was damit zu tun hat und betonst das in deiner Erzählung.
- Du bist dir sicher, dass Lina es nicht war, und das wird in deiner Erzählung deutlich.
- Du betonst das Ole darin verwickelt sein könnte.
- Die „normale“ Stille Post beginnt, jede*r TN flüstert die Geschichte nun dem*der Nächsten ins Ohr. Ist die Geschichte am Ende der Reihe angekommen, wird die letzte Version laut vorgetragen und mit der ursprünglichen Version verglichen.
Hinweis: Der Schritt eine Geschichte zu hören und auf Grundlage der „geheimen“ Anweisung direkt zu variieren ist anspruchsvoll. Hier ist es wichtig, die Differenzierungsmöglichkeiten der Gruppe im Blick zu behalten. Es kann bspw. auch hilfreich sein, dass die geheimen Botschafter zusätzlich die Originalgeschichte erhalten, o.Ä.
- Die TN reflektieren in der Gruppe: Welche Veränderungen wurden bewusst vorgenommen? Wie haben diese Veränderungen die Wahrnehmung oder Bedeutung der Geschichte beeinflussen können?
- Die Gruppe kommt im Plenum zusammen und teilt ihre Erfahrungen: Welche Motive und Narrative blieben erhalten? Welche wurden verzerrt und hinzugefügt? Inwiefern kann diese Erfahrung auf biblische Geschichte bzw. die Passionsgeschichten übertragen werden?
- Variationen des Spiels:
- Die Methode kann durch den Einsatz von Bildern (anstelle von Texten) erweitert werden, um die Veränderung visueller Darstellungen im Laufe der Zeit aufzuzeigen.
- Eine zusätzliche Reflexionsphase könnte integriert werden, in der die TN untersuchen, wie moderne Medien und Kommunikationsformen (z. B. Social Media) Geschichten verändern und verzerren. Dabei können auch die Erkenntnisse aus Modul 2 erneut betrachtet werden.
Methode
– Gruppenarbeit
– Stille Post
– Plenumsdiskussion