Die Pfefferkörner „Stolpersteine“ (2022) – Eine solidarische Kritik

 

AntisemitismusDiskriminierungRassismusRechtsextremismus

Publiziert: 2022

Vorbemerkung: Vor der Lektüre dieser Rezension empfiehlt sich das Schauen der Serienfolge. Die Folge „Stolpersteine“ kann online in der Mediathek des KiKA unter https://www.kika.de/die-pfefferkoerner/sendungen/videos/achtzehn-staffel-zweihundertzweiundzwanzig-stolpersteine-100.html sowie in der Mediathek der ARD unter https://www.ardmediathek.de/video/die-pfefferkoerner/stolpersteine-01/das-erste/Y3JpZDovL25kci5kZS9kZDZhMTA3Zi02NGNjLTQwZDYtYjBhOS02NDBlZTEwZTQ1NjY (verfügbar bis zum 15.01.2023) eingesehen werden.

Einleitung

„Man, du musst das doch nicht verstecken, dass du Jüdin bist.“[1]

Seit Mitte Januar ist die mittlerweile 18. Staffel der bekannten Kinder-Krimi-Serie „Die Pfefferkörner“ in den Mediatheken von ARD und KiKA abrufbar. Am 25.04.2022 wird sie um 13.40 h im Fernsehen auf KiKA ausgestrahlt. Die Auftaktfolge der Staffel und zugleich 222. Folge der gesamten Serie trägt den Titel „Stolpersteine“ und beschäftigt sich mit antisemitischen Übergriffen auf Jüdinnen*Juden in Deutschland. Exemplarisch dargestellt wird dies in der Folge an Übergriffen auf eine jüdische Mitschülerin der Pfefferkörner, Tali. Die Serie richtet sich an Kinder von ca. neun bis 13 Jahren, und so ist die Geschichte auch passend in einer siebten Klasse eines Hamburger Gymnasiums angesiedelt. Da es sich um die erste Folge der neuen Staffel handelt, wird eine besondere Aufmerksamkeit auf das wichtige Thema Antisemitismus gelenkt.

Die Folge beginnt damit, dass sie in jüdisches Leben in Deutschland einführt: Tali feiert ihre Bat Mizwa und liest dafür vor der Gemeinde aus der Tora. Anschließend führt sie vor der Synagoge ein Gespräch mit ihrer Großmutter, bei der sie zu leben scheint. Dort wird sie von einer unbekannten Person fotografiert. Daraufhin wird in der Turnhalle des Gymnasiums ein sog. Judenstern[2] mit Talis Namen in der Mitte an eine Turnmatte geschmiert. Tali entdeckt diesen und zieht Louisa, genannt Lou, eine Detektivin der Pfefferkörner, ins Vertrauen. Nach dem Sportunterricht wird einem Mitschüler das Bild von Tali, welches sie vor der Synagoge zeigt, anonym zugesendet und diese ‚outet‘[3] sie öffentlich als Jüdin. Parallel wird eine Gruppe Jugendlicher eingeführt, welche offensichtlich rechtes Gedankengut teilt und dieses auch nach außen trägt. Diese Gruppe bricht nachts zwei Stolpersteine aus einem Fußweg und wirft einen davon ins Fenster des Hauses von Talis Großmutter. Die Pfefferkörner wollen also nun zwei Taten aufdecken – die Turnhallenschmiererei, die vermutlich mit dem Foto von Tali vor der Synagoge zusammenhängt, und den Stolpersteinwurf. Einerseits gehen sie die Klassenliste durch und versuchen, herauszufinden, wer das Foto von Tali vor der Synagoge gemacht haben könnte. Außerdem folgen Jonny und Pippa einem der rechten Jugendlichen in ihren Probenraum und beschatten sie dort. Trotzdem können sie nicht verhindern, dass diese Lou und Tali auf offener Straße angreifen und Tali einen sog. Judenstern auf die Jacke malen. Anschließend wird die Gruppe gefasst und von der Polizei verhaftet. Am Ende der Folge klärt sich außerdem auf, dass Maike, eine Mitschülerin, das Foto von Tali gemacht und den sog. Judenstern auf die Turnmatte geschmiert hat, um sie aus Eifersucht als Jüdin zu ‚outen‘. Tali will nach dem Übergriff jedoch die Schule wechseln und die Klasse versucht sie, durch ein Video davon abzubringen, was ihr auch gelingt.

Die Folge „Stolpersteine“ erzählt von unterschiedlichen Formen von Antisemitismus und bietet für die Zuschauer*innen verschiedene mögliche Reaktionen darauf an. Bei der Darstellung des Judentums, des Antisemitismus und der einzelnen Figuren ist die Folge durchaus ambivalent, da sie es trotz guter Absichten in vielen Momenten nicht schafft, diese angemessen darzustellen und passende Worte oder Bilder zu finden.

Im Folgenden sollen einige dieser Ambivalenzen entfaltet werden, die die Zuschauer*innen aushalten müssen. Dabei geht es vorrangig um die Thematisierung von Antisemitismus, die Darstellung des Judentums, des Nah-Ost-Konflikts und der Gegenspieler*innen sowie die Frage, inwieweit Freundschaft als Konfliktlöser gewählt wird.

[1] Zitat von Lou zu Tali, nachdem diese den auf die Turnmatte geschmierten sog. Judenstern entdeckt haben. Minute 03:24-03:26.

[2] Bei der Schmiererei handelt es sich um einen gelben Davidstern, der stark an die Zwangskennzeichnung von Jüdinnen:Juden während des Nationalsozialismus erinnert. Aufgrund dessen wird an dieser Stelle vom sog. Judenstern gesprochen.

[3] Der Terminus ‚Outing‘ wird in diesem Kontext verwendet, da viele Jüdinnen*Juden ihr Jüdischsein geheim halten, um Feindseligkeiten oder Ausgrenzung zu umgehen. Der Begriff impliziert, dass Jüdischsein etwas Ungewöhnliches ist und ist daher negativ konnotiert. In diesem Artikel wird er jedoch verwendet, da dieses ‚Anderssein‘ von Tali im Mittelpunkt steht und sich darin der Antisemitismus aller Gegenspieler:innen begründet. Ausführlicher zum Outing: Bernstein, Julia: Antisemitismus an Schulen in Deutschland. Befunde – Analysen – Handlungsoptionen, Weinheim/Basel 2020, 181-183.

Antisemit*innen sind immer die anderen

Antisemitismus in einer gut 25-minütigen Folge für Kinder umfassend behandeln zu wollen, ist ein beachtliches Ziel! Der Versuch, für Kinder ansprechend, in spannender, altersgerechter Bildsprache, auch gegenwärtigen Antisemitismus zu thematisieren und dafür zu sensibilisieren, dass Antisemitismus nicht etwas Vergangenes ist, das nach 1945 überwunden worden ist, ist zu würdigen. Auch wenn die Thematisierung des Judentums im Kontext von Antisemitismus immer Gefahr läuft, das Judentum auf eine Opferrolle festzulegen, so ist es doch wichtig, Antisemitismus nicht zu ignorieren: Damit Kinder Antisemitismus wahrnehmen, reflektieren und ggf. dagegen aktiv vorgehen können, müssen sie ihn erkennen können und auch Wissen darüber haben.

Antijüdische und antisemitische Narrative kursieren nicht erst seit der Coronapandemie. Antisemitismus ist in vielerlei Ausprägungen gesellschaftlich zu beobachten: Die „Leipziger Autoritarismus-Studie 2020“ zeigt, dass ca. 20% der Bevölkerung zumindest latent mit „teils-teils“ Aussagen zustimmen wie „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ oder „Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten Juden unangenehm sind“ oder auch „Man darf ja nicht sagen, was man über die Juden wirklich denkt“.[1]

Die Pfefferkörner Jonny, Pippa und Lou überlegen im ersten Drittel der Folge, wer hinter dem ‚Outing‘ Talis als Jüdin und den antisemitischen Vorfällen stecken könnte. Jonny sagt: „Zutrauen würde ich es keinem“[2], woraufhin Lou entgegnet: „Aber einer muss es gewesen sein“[3]. Am Ende ist es eindeutig: Antisemi*:innen sind klar zuzuordnen, nämlich Muslim*innen und Neonazis. Die Mitschülerin Maike, die aus Eifersucht ihre Mitschülerin Tali als Jüdin ‚geoutet‘ hat, ist geläutert.

So wird in der Pfefferkörnerfolge „Stolpersteine“ der gegenwärtige Antisemitismus, der gesellschaftlich breit verankert ist, ausgeblendet. Aus dramaturgischen Gründen könnte man hier anführen, dass es in einer Kinderserie nicht anders ginge: Würde eine der Hauptfiguren antisemitisches Denken zeigen, könnten sich Zuschauende möglicherweise hiermit identifizieren; zur Reduktion der Komplexität der Gesellschaft, sodass ein gesellschaftlicher Missstand in weniger als 30 Minuten thematisiert und bearbeitet werden könne, und mit Blick auf die Wahrnehmung von Personen durch Kinder, denen es entwicklungspsychologisch noch schwer falle, Graustufen und Ambivalenzen bei Personen wahrzunehmen und zuzulassen, müsse es eine klare Einordnung von gutem, erwünschten und schlechtem, abgelehntem Verhalten geben.

Durch die schwarz-weiß Einteilung, es gäbe auf der einen Seite Antisemit*innen und auf der anderen Seite diejenigen, die dagegen seien, wird die Welt holzschnittartig dargestellt, ohne wirklich so zu sein. Antisemitismus lässt sich zudem durch diese Darstellung abwehren und auf ‚die Anderen‘ in Form von gewalttätigen Neonazis und muslimischen Mitschüler*innen auslagern. Hier ist positiv hervorzuheben, dass die Figur des muslimischen Yasin in der Folge dem unterstellten Antisemitismus entgegenläuft: Er ist Talis Freund, ungeachtet ihres Judentums – doch die Erzählweise der Folge unterstellt, dass dies etwas Besonderes sei, eben wie bei „Romeo und Julia“[4]– womit das Narrativ des vermeintlich muslimischen Antisemitismus gestützt wird.  Auch dem muslimischen Mitschüler Hassan wird zugestanden, dass er nur wegen seiner Brüder, die gegen alles seien, „was jüdisch ist“[5], antisemitische Denkstrukturen besitze. Wird damit suggeriert, dass Hassan nichts für seinen Antisemitismus könne? Gerade die eigene Verwicklung in antisemitische Narrative, die ungefilterte Übernahme dieser aufgrund der eigenen Verwobenheit in antisemitische Strukturen, könnte sich doch auch an Figuren zeigen, die nicht als muslimisch, People of Color (PoC) oder ‚rechts‘ markiert werden? Die Figur des Hassan sticht an anderer Stelle noch einmal hervor: Die Klasse sendet am Ende der Folge Tali eine Videobotschaft. Hier ist es auffällig, dass einzig allein der muslimische Mitschüler Hassan sagt: „Du bist Jüdin, da kannst du aber nichts für“[6], dafür aber sofort einen Schlag auf den Hinterkopf kassiert und sich aufgrund des sozialen Druckes verbessert und sagt: „Ich bin Moslem, das ist ok. Du bist Jüdin, das ist auch ok“[7]. Hier fragt er nochmal nach, ob die neue Antwort nun passend sei, was ihm Lennart weder bestätigt noch eindeutig ablehnt. Alle anderen Figuren stellen sich hinter das jüdische Mädchen Tali. Und der Antisemitismus Hassans bzw. der, der seinen Brüdern zugeordnet wird, scheint auch nicht bearbeitungswürdig, solange er ihn nicht äußert und für sich behält, wie Lennarts Schmunzeln, leicht hochgezogene Augenbraue, die für Zweifel ob der Angemessenheit der Formulierung, und sein gleichzeitig bestätigendes „Ja“ zeigen.[8]

Diese Externalisierung des Antisemitismus verhindert gerade eine Auseinandersetzung mit vorhandenem Antisemitismus. Zudem kann diese Darstellung zu einer anderen Form der Diskriminierung, dem antimuslimischen Rassismus, beitragen und unterstützt die Abwehrstrategie, dass Antisemitismus in Deutschland vor allem ein ‚importierter Antisemitismus‘ sei.

Potential hätte es an dieser Stelle gehabt, die Geschichte um Maike detaillierter auszuerzählen: Maike unterstellt dem muslimischen Mitschüler Yasin einen Antisemitismus, da sie sich erhofft, dass dieser das jüdische Mädchen Tali mit dem Wissen, dass diese jüdisch sei, nicht mehr gut finde. Wie kommt diese darauf und welche Vorstellungen von Muslim*innen und Jüdinnen*Juden stecken dahinter?

[1] Kiess, Johannes; Decker, Oliver; Heller, Ayline & Brähler, Elmar: Antisemitismus als antimodernes Ressentiment: Struktur und Verbreitung eines Weltbildes. In: Oliver Decker, Elmar Brähler (Hg.) Autoritäre Dynamiken. Gießen 2020, 211-248, 225, Unter: https://www.boell.de/sites/default/files/2021-04/Decker-Braehler-2020-Autoritaere-Dynamiken-Leipziger-Autoritarismus-Studie_korr.pdf?dimension1=ds_leipziger_studie.

[2] Minute 10:25.

[3] Minute 10:27.

[4] Minute 27:45.

[5] Minute 11:33.

[6] Minute 25:47.

[7] Minute 25:53.

[8] Minute 25:56.

Zwischen Authentizität und Othering

Die Folge „Stolpersteine“ der Pfefferkörner spiegelt eine authentische Darstellung des Judentums in Deutschland wider, um Kindern unterschiedliche Facetten des Judentums nahezubringen, was besonders positiv herausgestellt werden sollte. Auf unterschiedliche Weise werden innerhalb der gesamten Folge Aspekte behandelt – ohne sie als besonders herauszustellen, um vermutlich ein Othering zu vermeiden – die die Lebenswelt von Jüdinnen*Juden in Deutschland einzufangen versuchen.

Hierzu zählt die Vielfalt des Judentums, die zum einen in der Gemeinde(-struktur) und zum anderen durch die beiden Charaktere, Tali und ihre Großmutter, verdeutlicht werden: Die erste Szene der Folge zeigt die Hamburger Synagoge von außen, vor der ein Polizist patrouilliert, während Tali aus dem Off auf Hebräisch die Toralesung ihrer Bat Mizwa durchführt. Für die jüdische(n) Gemeinde(n) und ihre Mitglieder ist diese ständige Polizeipräsenz spätestens seit dem 09. Oktober 2019[1] Normalität – auch in der jüdischen Gemeinde in Hamburg sind Schutzmaßnahmen wie bspw. Polizeischutz vor der Gemeinde seit mehreren Jahren vorhanden.[2] So bleiben die Produzent*innen der Folge nah an der Lebenswelt von Jüdinnen*Juden in Deutschland, denn ein Polizeischutz ist in jüdischen Einrichtungen – egal, ob vor Schulen, Gemeinden oder Museen – üblich. Lediglich nichtjüdische Charaktere der Folge thematisieren die ständige Anwesenheit der Polizei. Bspw. sprechen zwei Mitglieder der Neonazi-Gruppe über den Polizeischutz vor der Synagoge, in welche sie einen der Stolperstein, die sie aus dem Fußweg gebrochen haben, durch das Synagogenfenster werfen möchten.[3] Aus jüdischer Perspektive – hier dargestellt von Tali oder ihrer Großmutter – wird die ständige Anwesenheit der Polizei nicht angesprochen.

Auch die Darstellung der Gemeindemitglieder zeichnet ein authentisches Bild: So spricht die Großmutter, bei der Tali zu wohnen scheint, Deutsch mit russischem Akzent und wechselt oftmals ins Russische. Es wird so ein reales Bild jüdischer Gemeinden in Deutschland gezeichnet, deren Gemeindemitglieder vornehmlich aus der ehemaligen Sowjetunion stammen und in den 1990er Jahren als sog. Kontingentflüchtlinge nach Deutschland immigriert sind. Von den 2016 knapp 100.000 Jüdinnen*Juden in Deutschland sind laut Umfragewerten etwa 90% russischsprachig.[4]

Bemühen sich die Produzent*innen der Folge, bei der Darstellung von Tali kein Othering zu produzieren, erfolgt dies dennoch, wenn Gespräche zwischen Tali und ihrer Großmutter mit Untertiteln gesehen werden: Minute 08:06-08:20 zeigt eine Szene, in der einer der gestohlenen Stolpersteine durch ein Fenster im Wohnhaus der Großmutter geworfen wird, woraufhin sich Tali und ihre Großmutter aufgeregt auf Russisch unterhalten. Das Gespräch selbst ist weder in der Originalfassung noch in der Version mit Audiodeskription untertitelt. Während man in der Originalfassung ein Gespräch auf Russisch hört, was wie oben beschrieben, der Lebensrealität von Jüdinnen*Juden in Deutschland nachkommt, wird Talis Rufe nach ihrer Großmutter das Gespräch in der Version mit Audiodeskription untertitelt mit: „Ängstliches Rufen auf Hebräisch“[5]. Die Aussagen der russischsprechenden Großmutter werden daraufhin mit „Großmutter spricht auf Hebräisch“[6] unterschrieben. Dieser grobe Fehler wiederholt sich nochmals in Minute 16:50-16:53, in der Tali auf dem Heimweg von der Schule, auf dem sie von Lou sicherheitshalber begleitet wird, mit ihrer Großmutter auf Russisch telefoniert. In der Version mit Audiodeskription wird das Gespräch, das auf Russisch geführt wird, wieder als Hebräisch betitelt. Diese Untertitelung verursacht ein direktes Othering und vor allem unterstützt sie das Stereotyp, dass Jüdinnen*Juden untrennbar mit dem Staat Israel verbunden sind. Welchen Grund hätten Tali und ihre Großmutter sonst, Hebräisch zu sprechen, außer sie kämen aus Israel, wo heute die Amtssprache Ivrit ist? Außerhalb von Israel sprechen i. d. R. nur die aus Israel stammenden Jüdinnen*Juden Ivrit – es kommen noch die Sprecher*innen von Jiddisch[7] oder Ladino[8] hinzu. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass Tali mit ihrer Großmutter auf Hebräisch sprechen würde. Der Norddeutsche Rundfunk, der für die Untertitelung verantwortlich ist, tradiert an dieser Stelle also ein Stereotyp und verbindet plump Jüdinnen*Juden mit der hebräischen Sprache.[9]

Der dennoch gut dargestellte osteuropäische/russische Hintergrund kommt auch innerhalb der Diskussion um das Tragen der Davidsternkette zu Beginn der Folge zum Tragen, da hier russische Worte einfließen.[10] Nicht selten wird auch in der Realität in Familien über das Tragen der Davidsternkette diskutiert, sodass viele Jüdinnen*Juden zu anderen religiösen Symbolen/Schmuck übergehen oder tatsächlich – wie Talis Großmutter vorschlägt – die Davidsternkette nicht sichtbar tragen.[11] In der Diskussion zwischen Großmutter und Enkelin wird für Kinder greifbar die Problematik deutlich gemacht: Zunächst wird die Angst, durch das Tragen der Davidsternkette stigmatisiert zu werden, thematisiert. Dies wird allerdings mit der etwas unglücklichen Aussagen der Großmutter „Man muss den Ärger nicht provozieren. Behalt’s für dich, okay?“[12] begleitet. Es eröffnet eine Art Täter-Opfer-Umkehr, indem suggeriert wird, Jüdinnen*Juden müssten eine Verantwortung oder gar eine Mitschuld an antisemitischen Ausschreibungen durch das Tragen der Davidsternkette übernehmen. Diese problematische Aussage wird innerhalb der Folge nicht aufgelöst, sondern kommentarlos hingenommen. Dennoch empört sich Tali darüber, aufgrund von Anfeindungen von außen in ihrer eigenen Freiheit eingeschränkt zu werden. Hierbei geht es allerdings weniger darum, die Aussage der Großmutter zu negieren, sondern vielmehr um den Unmut, den Tali verspürt, um die Ungerechtigkeit in den Vordergrund zu rücken. Um diese für ein vornehmlich nichtjüdisches Publikum und für Kinder greifbar zu machen, vergleicht sie hierbei das Tragen eines Davidsterns mit dem Tragen eines Kreuzes. Leider wird an dieser Stelle das Judentum lediglich auf das religiöse Judentum reduziert. Der Vergleich zwischen Judentum und Christentum ist dementsprechend verkürzt, da ein nicht-religiöses Judentum vollkommen außeracht gelassen wird.

Vermutlich geht diese Darstellung auf die Tatsache zurück, dass Tali zu Beginn der Folge ihre Bat Mizwa[13] feiert und aus der Tora liest. Die Jüdische Gemeinde in Hamburg gilt als Einheitsgemeinde[14], in der Männer und Frauen gemeinsam im Gottesdienst sitzen und Mädchen genauso wie Jungen Bat Mizwa feiern. Um ein auf Äußerlichkeiten beruhendes Othering zu vermeiden, umgeht die Serien so das in zahlreichen Medien genutzte Klischee des orthodoxen männlichen Juden.

Dennoch wird innerhalb der Folge auf ein solches Othering rekurriert: Das einzige Merkmal, dass Tali nach Außen als Jüdin stilisiert, ist die Davidsternkette, die sie – wie es ihre Großmutter geraten hat – in der Öffentlichkeit unter ihre Klamotten steckt. Hat sie zuvor noch protestiert, den Davidstern zu verstecken und dies als „unfair“ betitelt[15], bittet sie ihre Freundin Lou später ihre jüdische Identität geheim zu halten, damit es nicht alle erfahren[16]. Auch ihre Freunde reagieren, sobald sie von Talis Jüdischsein erfahren, i. d. R. erstaunt, weil sie dies nicht wussten und vermutlich an keinem äußeren Merkmal festmachen konnten. Erst nachdem die Gefahr gebannt ist, traut sich Tali wieder, offen ihren Davidstern zu zeigen und scheint die Geheimhaltung zu überdenken.[17]

Die Ambivalenz zwischen Geheimhaltung, Othering und Talis Wunsch, sich nicht zu verstecken und zu wehren, zieht sich weiter durch die Folge: Nachdem Tali mit dem (unterschwelligen) Antisemitismus ihrer Mitschüler*innen konfrontiert wird, reagiert sie erwartungsgemäß verärgert und Lou unterstützt sie und markiert sie so als Opfer, das sich selbst nicht zu wehren weiß.[18] Diese Opferstilisierung wird durch die Pfefferkörner in ihrem Hauptquartier nochmals befeuert:[19] Den antisemitischen Anschlag in der Turnhalle verbindet Lou direkt mit dem Antisemitismus der Nationalsozialist*innen.[20] Die Pfefferkörner scheinen ihre Solidarität mit Tali aus der Geschichte und aus der Shoah heraus zu begründen, wobei besonders auf die Betroffenheit, die die Geschichte hervorrufen soll, gezielt wird. Beispielsweise wiederholt Clarissa im Hauptquartier sehr erschüttert die zuvor von Lou erläuterte Zahl „Sechs Millionen“.[21] Rund sechs Millionen Jüdinnen*Juden wurden während der Shoah ermordet. Dass Tali ihre Freundin ist, wird hierbei eher nebensächlich behandelt. Vielmehr werden die Kinder in der Folge dazu angeregt, sich in Talis Lage zu versetzen: Im Hauptquartier der Pfefferkörner liest Lou die Stolpersteine einer Familie vor, um Clarissa den Hintergrund der Stolpersteine zu erläutern.[22] Sie liest die Geburtsdaten der Kinder einer Familie, Judith, geboren 1934, und Aaron Goldmann, geboren 1932, die beide in Auschwitz ermordet wurden, vor. Jonny, Clarissas Bruder, stellt klar: „Zehn und acht Jahre. Die waren jünger als wir beide.“[23] und sieht seine Schwester an, die bedrückt auf den Boden schaut. Die Dramatik der Situation wird somit nicht dadurch begründet, dass ihrer Freundin Tali etwas Schlimmes widerfährt und sie antisemitisch angegriffen wird, sondern daraus, dass die Pfefferkörner von der Shoah betroffen sind.

Die Sequenz soll vermutlich über die Shoah aufklären, erzeugt allerdings eine untrennbare Verbindung zwischen (aktuellem) Judentum und Shoah und untermauert so Talis Opferstatus, aus dem sie gerettet werden muss. Aufgrund der Geschichte müssen die Pfefferkörner solidarisch handeln – so wird es begründet. Die Freundschaft zu Tali spielt hierbei eher eine untergeordnete Rolle. Die Folge reiht sich hierbei an dem in Deutschland üblichen Vorgehen ein, antisemitismuskritische Bildung über die Aufklärung über die Shoah laufen zu lassen und verbindet Judentum in Deutschland untrennbar mit der Shoah im Sinne einer Opferstilisierung.

Diese Opferstilisierung wird von melancholischer Klarinettenmusik untermalt,[24] die jedes Mal ertönt, sobald es um das Judentum oder Antisemitismus geht: Bei Talis Bat Mizwa und ihrem anschließenden Gespräch mit ihrer Großmutter über die Davidsternkette;[25] nachdem Tali und Lou die Schmiererei in der Turnhalle beseitigt haben und Tali unsicher ihre Klassenkamerad*innen beäugt, um herauszufinden, wer hinter dem Anschlag stecken könne;[26] im Hauptquartier der Pfefferkörner, als Lou das Schicksal der Familie Goldmann vorliest;[27] nachdem Tali und ihre Großmutter den Stolperstein in ihrem Haus finden[28] sowie nach dem Übergriff auf Tali und Lou, bei dem Tali ein sog. Judenstern auf die Jacke gemalt wird[29]. Nicht selten wird gerade die Klarinette als beliebtes Klezmer-Instrument als musikalische Untermalung gewählt, wenn das Judentum in Film und Fernsehen thematisiert wird – so auch an den genannten Stellen. Unterschwellig verbindet die Folge so alle genannten Szenen, sodass die Zuschauer*innen automatisch das Judentum mit den antisemitischen Anschlägen und der Shoah untrennbar verbinden. Problematisch hieran ist vor allem, dass Klarinettenmusik, die durch Instrumentierung und Melodik klezmerartig anmutet, eine Verbindung zum Judentum vor 1945 assoziiert – heute in Deutschland lebende Jüdinnen*Juden haben oftmals keine oder nur kaum Verbindungen dazu. Jascha Nemtsov[30] schreibt hierzu in einem Aufsatz „Solche Musikgattungen dienen heute als Projektionsflächen für gewisse romantische Vorstellungen vom Judentum, ohne dass sie irgendwelche Verbindung zur realen jüdischen Identität besitzen.“[31] So produziert die Wahl des Instruments bzw. auch die Spielart ein jüdisches Stereotyp, das untrennbar mit Klezmer, (jiddisch-) jüdischer Musik und Antisemitismus verbunden und durch die Melancholie der Klarinette eine Betroffenheit bei den Zuschauer*innen ausgelöst wird.

Obwohl Tali zunächst auf Geheimhaltung pocht, geht sie später sehr selbstbewusst vor und stellt klar, dass sie sich „von dieser widerlichen Aktion nicht einschüchtern“ lassen wolle.[32] Erst der Einwurf von Lou, die anderen sollten sich in Talis Lage versetzen, regt das Nachdenken der Gruppe an.

Obwohl sich bemüht wird, kein Othering zu produzieren, wird Antisemitismus und die Anschläge auf Tali mit Rassismus gleichgesetzt: Ein Mitschüler wird verdächtigt, da er des Öfteren – angeblich zum Spaß – Sprüche gegen Ausländer*innen hat fallen lassen. So werden Jüdinnen*Juden entsprechend gekennzeichnet.[33] Nebenbei werden rassistische Sprüche dadurch bagatellisiert – offensichtlich ist hierbei kein Handlungsbedarf nötig, erst sobald es zu Taten kommt, wie im Falle von Tali. Auch bei Tali zeigt sich dieses Verhalten, denn sie selbst hofft, der antisemitische Anschlag in der Turnhalle sei „[v]ielleicht […] ja nur `n blöder Witz“[34] gewesen.

Durch diese herausstechenden dargestellten Ambivalenzen in der Inszenierung bewegt sich die Folge zwischen gelungener Darstellung des Judentums und ungewollten Otheringprozessen und Opferstilisierungen.

[1] Am 09. Oktober 2019 – an Jom Kippur – war der Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale), bei dem zwei Passant:innen ums Leben kamen. Der Attentäter versuchte, in die Synagoge zu gelangen, um die dortigen Gemeindemitglieder zu erschießen, was ihm aufgrund der dortigen Schutzmaßnahmen und der Standfestigkeit der Synagogentür misslang. Ein Jahr später kam es auch in Hamburg vor der dortigen Synagoge Hohe Wehe zu einem tätlichen Angriff. Vgl. Jüdische Allgemeine, Mann vor Synagoge angegriffen und schwer verletzt, 05.10.2020. Unter: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/mann-vor-synagoge-angegriffen-und-schwer-verletzt/?q=hamburg%20anschlag [abgerufen am 02.04.2022].

[2] Seit dem Anschlag in Halle wurden (polizeiliche) Schutzmaßnahmen erhöht und es erfolgte u. a. hierfür eine einmalige finanzielle Unterstützung von Seiten des Bundes. Vgl. Bundesministerium des Inneren und für Heimat, Jüdische Gemeinschaft in Deutschland, o. J. Unter: https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/staat-und-religion/juedische-gemeinschaft/juedische-gemeinschaft-node.html [abgerufen am: 02.04.2022].

[3] Vgl. Minute 12:57-13:10.

[4] Vgl. Bernstein, Julia, Man hat Juden erwartet und es sind Menschen gekommen, 11.05.2021. Unter: https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/juedischesleben/331911/man-hat-juden-erwartet-und-es-sind-menschen-gekommen/#footnote-reference-26 [abgerufen am: 02.04.2022].

[5] Minute 08:06-08:09.

[6] Minute 08:09-08:12. 08:17-08:20.

[7] Als Jiddisch wird die Sprache der aschkenasischen, der deutschen und osteuropäischen Jüdinnen:Juden bezeichnet, die eine Mischung aus verschiedenen Dialekten des Deutschen, slawischen Sprachen und Hebräisch darstellt und noch heute von vornehmlich ultraorthodoxen Jüdinnen:Juden, wie bspw. den Chassidim in New York gesprochen wird. Vgl. Beider, Alexander, Yiddish in Eastern Europe, in: Hary, Benjamin/Bunin Benor, Sarah (Hg.), Languages in Jewish Communities, Past and Present, Boston/Berlin 2018, 267f.

[8] Als Ladino wird die Sprache der sephardischen Jüdinnen*Juden, die im Mittelmeerraum, vornehmlich in Spanien stammen, bezeichnet und Einflüsse des Spanischen aufweist. Vgl. Bunis David M., Judezmo (Ladino/Judeo-Spanish). A Historical and Sociolinguistic Portrait, in: Hary, Benjamin/Bunin Benor, Sarah (Hg.), Languages in Jewish Communities, Past and Present, Boston/Berlin 2018, 185-190.

[9] Untermauert wird dies durch die im Hintergrund befindliche Chanukkia. Es ist eher unüblich, im Sommer eine Chanukkia, die eigentlich im Winter zu Chanukka aufgestellt wird, im Wohnbereich stehen zu haben. Üblicher wäre hierfür eine Menora. Vermutlich handelt es sich hier um eine Art Filmfehler.

[10]  Ab Minute 00:38. Minute 01:06-01:12: Großmutter: „Unter das Kleid, mir zuliebe пожалуйста (požalujsta, bitte)“ Tali: „ладно“ (ladno, okay).

[11] Der Davidstern als Anhänger ist ursprünglich kein jüdisches Symbol, allerdings seit dem Mittelalter als solches gebräuchlich. Vgl. Zentralrat der Juden, Der Davidstern, o. J. Unter: https://www.zentralratderjuden.de/judentum/symbole/ [abgerufen am: 28.03.2022]. 2019 forderte Dr. Gideon Joffe, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, das Tragen eines Davidsternanhängers als Zeichen gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Jüdinnen*Juden. Er begründete dies damit, dass viele Jüdinnen*Juden aus Angst diesen nicht mehr tragen würden. Vgl. Jüdische Gemeinde zu Berlin, Deutschland trägt Davidstern, 30.Oktober 2019. Unter: http://www.jg-berlin.org/beitraege/details/deutschland-traegt-davidstern-i976d-2019-10-30.html [abgerufen am: 30.03.2022].

[12] Minute 00:47-00:52.

[13] Die Bat Mizwa (bei Jungen: Bar Mizwa) bezeichnet die Feier zur religiösen Mündigkeit und Aufnahme als Gemeindemitglied bei Mädchen i. d. R. mit zwölf, bei Jungen i. d. R. mit dreizehn Jahren. Neben einer Feier sieht die Bar/Bat Mizwa vor, dass Mädchen und Jungen den Wochenabschnitt aus der Tora vorlesen bzw. die Lesung aus den Prophetenbüchern, die Haftara, vortragen.

[14] Unter einer Einheitsgemeinde wird im Judentum ein Zusammenschluss unterschiedliche Strömungen des Judentums (orthodox, konservativ, liberal) in einer Gemeinde verstanden.

[15] Vgl. Minute 00:53-01:00.

[16] Vgl. Minute 03:20-03:30.

[17] Vgl. Minute 27:19-27:26.

[18] Vgl. Minute 04:54-05:00.

[19] Minute 05:50-07:20.

[20] Leider werden hierbei Falschinformationen verarbeitet in Bezug auf die Stolpersteine, die an alle Opfergruppen erinnern sollen, nicht nur an ermordete Jüdinnen*Juden. So erscheint es in der Folge so, als seien Jüdinnen*Juden die einzige Opfergruppe der Nationalsozialist*innen. Auch mit Blick auf angemessene didaktische Reduktion, die natürlicherweise auch in einer Fernsehserie erfolgen muss, erscheint dies so verkürzt.

[21] Minute 06:28-06:30.

[22] Vgl. Minute 06:52-07:20.

[23] Minute 07:11-07:18.

[24] Die Klarinettenmusik folgt dabei einem üblichen Schema, indem sie ein variiertes Motiv, das auf- bzw. abwärts gespielt wird, darstellt. Dieses Grundmuster erinnert an phrygisch-dominante Tonleiter, die sich sowohl in melancholischen als auch in fröhlichen Liedern, die dem Klezmergenre zugeordnet werden können, finden. Vgl. Shelleg, Assaf, Musikalische Grenzgänge. Europäisch-jüdische Kunstmusik und der Soundtrack der israelischen Geschichte, Tübingen 2017, 27f. Auch wenn das hier verwendete Motiv nicht gänzlich dem Klezmergenre entspricht, eröffnet sie dennoch eine entsprechende Assoziation bei den Zuschauer:innen.

[25] Vgl. Minute 00:19-00:45.

[26] Vgl. Minute 03:40-04:08.

[27] Vgl. Minute 06:53-07:11.

[28] Vgl. Minute 08:24-08:45.

[29] Vgl. Minute 18:19-18:45; 22:12-22:25.

[30] Jascha Nemtsov ist Professor für Geschichte der jüdischen Musik am Institut für Musik an der Hochschule für Musik in Weimar. Zudem leitet er das Kantorenseminar des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam.

[31] Nemtsov, Jascha, Schofar oder Klarinette? In: Politik & Kultur Dossier Judentum und Kultur. Kippa, Koscher, Klezmer? (2016), 50.

[32] Vgl. Minute 09:30-09:49.

[33] Vgl. Minute 10:33-10:40.

[34] Minute 03:24-03:33.

Antisemitismus in unterschiedlichen Körpern – ambivalente Darstellung der Gegenspieler*innen

Die Pfefferkörner werden in dieser Folge einer ganz ambivalenten Gruppe an Täter*innen gegenübergestellt. Dabei streben die Narrative in ihrem Höhepunkt auch die höchste, in diesem Rahmen mögliche, Eskalationsstufe an: Es eskaliert in dem Moment, als Tali und Lou von einer Gruppe älterer Schüler*innen tätlich angegriffen, antisemitisch beleidigt und dabei gefilmt werden. Doch dies ist nicht die einzige Szene, in der antisemitische Weltbilder in die Folge prallen und verschiedene ‚Gegenspieler*innen‘ Tali, die Pfefferkörner und auch die Zuschauer*innen in ihrer Wahrnehmung antisemitischer Stereotypen und antisemitischer Phrasen herausfordern.

Nach dem Vorspann beginnt die Folge mit einer Szene, in der Jonny hört, wie Alex, einer der späteren Antagonist*innen, vor der Schule einem Freund einen neu geschriebenen Text vorrappt.[1]

„Juden hört auf, uns den Scheiß anzudichten, denn wen interessieren die alten Geschichten; kein Bock mehr auf ein schlechtes Gewissen; wer es anders sieht, soll sich verpissen. Kein Cent mehr in euer scheiß Schuldenschwein, ihr hängt uns schon viel zu lange am Bein; ihr bringt einen ganzen Staat zum Weinen; leck mich mit deinem scheiß Stolperstein.“[2]

Dieser Text sollte sich noch einmal genauer angeschaut werden, da sich in so gut wie jedem (Halb-)Satz eine andere Form von Antisemitismus finden lässt. Im Gro geht es zwar klar in Richtung des Geschichtsrevisionismus und des sekundären Antisemitismus, diese werden jedoch durch unterschiedliche Stereotype ausgedrückt und weitergestrickt.

Im ersten Halbsatz des ersten Verses lässt sich durch das Verb „andichten“ eine klare Holocaustleugnung erkennen. Alex drückt aus, dass der Holocaust nicht stattgefunden habe, Jüdinnen*Juden diesen erfunden hätten und instrumentalisieren würden, um emotionalen und moralisierenden Druck auf anderen Staaten ausüben zu können. Aus dem dadurch erwarteten „schlechten Gewissen“, würden sie dann Vorteile ziehen können.[3] Weiter geht es mit einem Schlussstrichnarrativ („alte Geschichten“), welche aktuell nicht nur von AfD-Politiker:innen, sondern auch in der sog. ‚Mitte der Gesellschaft‘[4] vertreten wird. Es wird gefordert, einen Schlussstrich unter die Erinnerung an die Shoah zu ziehen. Dies geht oft mit einer Schuld-Verantwortungsdebatte der Nachgeborenen einher und, wie auch hier im Text, mit einer Bagatellisierung der Shoah als „alte Geschichte“, im langen Strom der deutschen Geschichte (Stichwort: „Fliegenschiss“).[5] Später in der Folge wird diese Forderung von einem aus der Gegenspieler*innen-Gruppe noch einmal konkret wiederholt.

Die „Schuldenschwein“-Phrase lässt sich mit dem Stereotypen des sog. ‚Wucherjuden‘ verknüpfen und birgt hier sogar eine mehrdimensionale antisemitische Aussage. So wird wieder die Frage nach der Schuld, die Deutschland durch die Shoah auf sich geladen hat, thematisiert und dies mit dem Stereotypen des geldgierigen Juden verknüpft.[6]

Die Aussage, dass die Jüdinnen*Juden einen ganzen Staat (Deutschland) zum Weinen bringen würden, setzt wieder an den geforderten, eben genannten, „Schlussstrich“ an. Diese Textzeile spiegelt die Wahrnehmung wider, dass die Menschen am 27. Januar, dem Holocaustgedenktag, zur Trauer gezwungen werden würden.[7]

Der letzte Vers benennt dann das Thema der Folge: die Stolpersteine. Die seit 1996 vom Künstler Gunter Demnig in ganz Deutschland verlegten Stolpersteine sind bis heute umstritten.[8] Sie sind nicht, wie in vielen Bildungsmedien v. a. für Kinder und Jugendliche oft rezipiert, eine allgemein anerkannte Form der öffentlichen Erinnerung an die Opfer der Shoah. Der Diskurs um die Verlegung dieser Steine wird jedoch erst seit kurzem in Schulbüchern rezipiert und somit galten sie in Bildungskontexten bis zuletzt häufig als Vorzeigebeispiel für sichtbare Erinnerung.[9] Eine narrative Verwendung von Stolpersteinen in einer Kinderserie, die sich mit Antisemitismus in Deutschland beschäftigen möchte, ist also im Anschluss an diese Beobachtung nicht verwunderlich. Und so bezieht sich auch Alex mit seiner letzten Textzeile auf sie und spricht sich noch einmal deutlich gegen öffentliche Erinnerung aus.

Diese Szene festigt für die Zuschauer*innen vor allem Alex als Gegenspieler der Folge. Das nächste Mal wird er gezeigt, wie er mit seinem Freund das Gespräch vor der Turnhalle belauscht, in dem Tali als Jüdin ‚geoutet‘ wird.[10] Später sieht man eine nächtliche Szene, in der mehrere Jugendliche (wahrscheinlich u. a. Alex) zwei Stolpersteine aus dem Bürgersteig brechen und einen davon bei Tali und ihrer Großmutter ins Fenster werfen.[11] Dies ist eine erste Manifestierung der Drohungen, welche in seinem Raptext angesprochen wurden.

Das Holz, aus dem diese jugendlichen Gegenspieler*innen geschnitzt sind, wird außerdem in einer kleinen Szene deutlich, die den Zuschauer*innen vielleicht zunächst nicht sofort ins Auge fallen. Die Kamera (und auch Teile der Pfefferkörner) folgen Alex von der Schule in den Probenraum. Dabei schlägt er scheinbar unzusammenhängend in eine Hecke.[12] Eine Zerstörungswut, welche sich irgendwie Luft machen muss, von Hecke bis hin zu Stolperstein. Diese Wut ist ein gängiges Narrativ, welchem sich für die Darstellung von extremistischen Jugendlichen, öfter bedient wird.[13] Jonny und Pippa folgen Alex in dieser Szene in den Probenraum seiner Band, welcher sich in einem Hinterhof einer ehemaligen Fabrik befindet. Die Wände sind unverputzt, der Probenraum ist provisorisch. Die Gruppe, der er sich zugehörig fühlt, wird hier ganz klar als Parallelgesellschaft inszeniert. Die Gruppe Jugendlicher soll für die Zuschauer*innen aktiv in einer anderen Welt existieren, in der dann Jonny, ganz bildlich, nur an der Tür lauscht. Man sieht nie, wie der den Probenraum betritt – die andere Welt bleibt geschlossen und wird nur sinnbildlich „durch einen Spalt“ geöffnet.[14]

Positiv ist dabei anzumerken, dass die Serie von der klassischen Darstellung extremistischer Jugendlichen absieht. Statt Glatze und Springerstiefeln, finden sich hier Manbun, Surferwellen und Momjeans. Diese Darstellung knüpft an die allgemeine Entwicklung der aktuellen rechten Jugendkultur an und zeigt den Zuschauer:innen auf, dass die stereotypen Bilder von Neo-Nazis veraltet sind. Es besteht zwar immer noch eine Vereinheitlichung in der Darstellung durch sehr dunkle Kleidung, jedoch fällt diese eher im Kontrast zur ‚bunten‘ Kinderkleidung der Pfefferkörner auf, als das sich hier deutlich klassische Codes erkennen lassen.[15]

Das Gespräch im Proberaum knüpft dann an den Raptext an. Der Junge am Schlagzeug sagt: „Das ist 70 Jahre her, was geht uns das an?“[16] Bis hierhin ist diese Gruppe Jugendlicher zwar in ihrer politischen Präferenz dem rechten Spektrum zugeordnet, bewegt jedoch mit ihren Aussagen und Aktionen noch in einem gesetzlich und gesellschaftlich Rahmen. Dieser wird dadurch gesprengt, dass ein Mädchen zur Gruppe stößt, welche ihre Freunde mit der Aussage „Sieg Heil, ihr Spackos“[17] begrüßt. Diese Szene irritiert. Auf einmal sind es Neo-Nazis, die hier dargestellt werden. Weg von Aussagen und Taten, die sich auch in der sog. ‚Mitte der Gesellschaft‘ finden, hin zu einer rechtsextremen neonationalistischen Gruppierung. Von nun an eskaliert die Gruppe und auch die Folge.

Der tätliche Übergriff auf Tali und Lou markiert den tragischen Höhepunkt der Folge, bei welchem die Neo-Nazis sich und Tali filmen, als einer der Jungen ihr einen sog. Judenstern auf die Jacke malt und sagt: „Verpisst euch von hier. Juden raus aus Deutschland und einen schönen Gruß an deine Verwandtschaft.“[18] Hier finden sich auf einmal Vertreibungs- wenn nicht sogar Vernichtungsfantasien, die dann auch besser zu einer Neo-Nazi-Truppe passen als zu einem rappenden Jugendlichen mit Surferfrisur.

Die Pfefferkörner-Folge „Stolpersteine“ versucht in der Darstellung ihrer Antagonist*innen sehr viel, trotzdem erzählt sie diese in einer Weise, die viele in den letzten Jahren problematisieren. Antisemitismus wird vorrangig externalisiert und auf kleine Gruppen radikalisierter Menschen fixiert. Auch im Kontext Schule findet diese Externalisierung statt, obwohl antisemitische Übergriffe mittlerweile auch vermehrt auf Schulhöfen stattfinden.[19] In gewisser Weise setzt die Folge ein Zeichen und thematisiert genau das: Antisemitismus unter Schüler*innen und ganz konkret im Kontext Schule. Dennoch finden sich in der Folge durch die Darstellung von Maike oder auch von Hassan ein viel weicheres Bild von ‚Täter*innen‘. Die Gruppe Neo-Nazis wird am Ende festgenommen und Lou sagt sogar, dass „diese Scheißkerle“[20] Haftstrafen bekämen. Die Täter*innen scheinen also eine gerechte Strafe zu bekommen. Das ‚Outing‘ durch Maike, welches diese Taten überhaupt erst möglich gemacht hat, wird anders gelöst und steht im starken Kontrast zu einer verbalisierten Gefängnisstrafe. Zwar wird Maike als Geläuterte dargestellt und ist auch die einzige, die ins direkte Gespräch mit Tali geht, um für die Zuschauer*innen eine Art Umkehr inszenieren zu können. Jedoch bleibt auch diese auf einer sehr persönlichen Ebene, ohne die großen Wellen und überhaupt wirklich das Thema Antisemitismus auszudiskutieren.

Die inszenierten Antagonist*innen sind sehr ambivalent. Die Drehbuchautor*innen wollten den Zuschauer*innen die Möglichkeiten geben, wirklich ‚böse‘ Gegenspieler*innen der Pfefferkörner zu haben (dargestellt durch die Neo-Nazis), deren Taten verurteilt werden können und durch die deutlich wird, wie menschenfeindlich Antisemitismus sein kann. Diese Darstellung ist einerseits positiv anzumerken, da so deutlich wird, wohin Antisemitismus führen und welche Auswirkungen er auf Jüdinnen*Juden in Deutschland haben kann. Die Zuschauer*innen können eine Haltung gegen dieses Gedankengut entwickeln und Antisemitismus klar verurteilen. Leider findet andererseits durch die Darstellung der Figur von Maike und auch durch die Figur von Hassan im Gegenüber zu den Neo-Nazis eine Bagatellisierung antisemitischer Äußerungen und Taten als Mobbing oder auch als Verzweiflungstat statt. Es wird suggeriert, dass eine Läuterung bzw. ein oberflächliches Verstecken auf sozialen Druck hin, ausreicht, um diese Taten zu vergessen oder die Opfer zu beruhigen.

Durch die Darstellung bekommt die Zielgruppe die Möglichkeit, sich zu positionieren, wenn in ihrem Umfeld Antisemitismus auftritt. Andererseits wird durch diese Darstellung des absolut Bösen eine Ambivalenz vergeben, die es auszuhalten gilt, wenn es um Antisemitismus geht. So überschattet der tätliche Übergriff auf Tali deutlich die antisemitischen Aussagen oder Taten ihrer Mitschüler*innen.

[1] Minute 02:24-02:42.

[2] Durch die Einbindung eines antisemitischen Raptext in die Serie bedient sie einen weiteren sehr aktuellen Diskurs. Die deutsche Rap-Szene hat ein großes Antisemitismus-Problem, welches erst in den letzten Jahren, vor allem nach der Kollegah-Debatte im Jahr 2018, in den Fokus gerückt ist. Nach dem Skandal um Kollegah ist es im breiten gesellschaftlichen Diskurs jedoch eher ruhig geworden. In der Szene gibt es mittlerweile jedoch Studien, Dokumentationen und Interviews, die sich mit der Frage nach Antisemitismus im Deutschrap beschäftigen. Auch auf Social Media wird viel darüber gesprochen. Inwieweit die Einbindung dieses Diskureses in die Serie bewusst geschehen ist, bleibt Spekulation. Weiterführende Literatur zu Antisemitismus im Hip-Hop: Baier, Jakob: Die Echo-Debatte. Antisemitismus im Rap, in: Samuel Salzborn (Hg.): Antisemitismus seit 9/11. Ereignisse, Debatten, Kontroversen (Interdisziplinäre Antisemitismusforschung 11) Baden-Baden 2019, 109-132; Fritzsche, Maria/Jacobs, Lisa/Schwarz-Friesel, Monika: Antisemitismus im deutschsprachigen Rap und Pop, 08.02.2019. Unter: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/285539/antisemitismus-im-deutschsprachigen-rap-und-pop/; Grimm, Marc u. a.: Die Suszeptibilität von Jugendlichen für Antisemitismus im Gangsta Rap und Möglichkeiten der Prävention, 2021. Unter:  https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/erziehungswissenschaft/zpi/projekte/antisemitismus-gangsta-rap/; Staiger, Marcus: Antisemitismus im deutschen Rap, in: APuZ 9 (2018), 2018, 40-45.

[3] Zur Entstehung von Holocaustleugnung und Erläuterung ihrer Auswirkungen: Vgl. Bastian, Till: Auschwitz und die „Auschwitz-Lüge“, München 62016.

[4] Die diffuse Verwendung des Begriffs der sog. ‚Mitte der Gesellschaft‘ ist in der Extremismusforschung seit langem umstritten und beschreibt die Beobachtung, dass sich neben dem Rechts- und Linksextremismus ebenfalls eine Tendenz zum Extremismus (meist wird hier der Faschismus genannt) in der Mitte finden lässt. Zur Diskussion: Vgl. Neu, Viola/Pokorny, Sabine: Ist „die Mitte“ (rechts)extremistisch?, in: APuZ 40 (2015), 3-8. Interessant sind Studien, wie die sog. Mitte-Studie, welche extremistische Tendenzen der Bevölkerung erforschen: Vgl. Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hg.): Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21, Bonn 2021, online abrufbar unter: https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=65478&token=d51fbf0ad16a903133c9dcb54e4e5d58382d096f.

[5] Die „Fliegenschiss“-Debatte geht auf eine Aussage Alexander Gaulands des ehemaligen Parteivorsitzenden der AfD aus dem Jahr 2018 zurück und strahlt weiterhin in die politische Debatte der Erinnerung an die Shoah hinein. Gauland hatte ausgeführt, dass „Hitler und die Nazis nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte [seien]“. Als Beispiel des damaligen Medienechos sei verwiesen auf: dpa: Empörung wegen Gaulands Relativierung der NS-Zeit, 03.06.2018. Unter: https://www.zeit.de/news/2018-06/03/empoerung-wegen-gaulands-relativierung-der-ns-zeit-180603-99-560879.

[6] Das aus dem (Hoch-)Mittelalter stammende Stereotyp verbindet Jüdinnen:Juden unweigerlich mit dem Thema Geld bzw. Geldhandel sowie (zu hoher) Zinsnahme. Ausgehend vom II. Laterankonzil im Jahre 1139, das Christ*innen verbot, im Geldhandel tätig zu sein, und Jüdinnen*Juden eine Art ‚Berufsmöglichkeit‘ eröffnete, entwickelte sich eine besondere Art des Judenhasses und des modernen Antisemitismus. Das Stereotyp festigte sich spätestens im 15. Jahrhundert – zahlreiche Predigten, Flugblätter, aber auch antijudaistische Schriften zeugen von der Verbreitung innerhalb der Gesellschaft. Seinen Höhepunkt erreichte die Verbreitung des Stereotyps im Nationalsozialismus bspw. durch die Stürmerkarikaturen. Die Verbindung mit Geld und dem Vorwurf, Jüdinnen*Juden würden dies kontrollieren, dominieren und mittels Geldhandel die Welt unterdrücken, existiert bis heute und wird in unterschiedlichen Chiffren und innerhalb von antisemitischen Verschwörungserzählungen verbreitet. Vgl. Heil, Johannes, Verschwörung, Wucher und Judenfeindschaft oder: die Rechnung des Antichristen. Eine Skizze, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 20/2 (2010), S. 395-413, bes. 395-402; Vgl. Mikrosch, Gunnar, Von jüdischen Wucherern und christlichen Predigern. Eine Spurensuche, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 20/2 (2010), S. 415-438, bes. 415f. Vgl. Frey, Winfried, »Die Juden kennen kein Mitleid. Sie streben nur nach einem, nach Geld«. Mittelalterliche Stereotype des Wucherjuden in deutschen Texten von der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 20/2 (2010), 505-520, bes. 515-518.

[7] Diese Aussage lässt sich an die 2017 vom damaligen Thüringer Landessprecher der AfD Björn Höcke anschließen. In einer Rede beschreibt er die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland als lähmend. Zur Diskussion und Einordnung dieser Rede: Vgl. Siebeck, Cornelia: Dies- und jenseits des Erinnerungskonsenses. Kritik der postnationalsozialistischen Selbstvergewisserung, in: APuZ 42/43 (2017), 23-28.

[8] Vgl. Goebel, Anne: Neue Diskussion über die „Stolpersteine“, in: Süddeutsche Zeitung, 17.05.2010 Unter: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/opfer-des-ns-terrors-neue-diskussion-ueber-die-stolpersteine-1.677117; Schmid, Harald: Perpetuum mobile der Erinnerungskultur? Die Stolpersteine zwischen Innovation und Inflation, in: Silvija Kavcic u.a. (Hg.): Steine des Anstoßes. Die Stolpersteine zwischen Akzeptanz, Transformation und Adaption, Berlin 2021, 51-73; Warda, Anna: Ein Kunstdenkmal wirft Fragen auf. Die „Stolpersteine“ zwischen Anerkennung und Kritik, in: Zeitgeschichte-online, 21.03.2017. Unter: https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/ein-kunstdenkmal-wirft-fragen-auf.

[9] Ein aktuelles und positives Beispiel der Darstellung von Stolpersteinen in Religionsbüchern findet sich bspw. in der aktuellen Ausgabe des Buches „Herausforderungen“ für evangelischen Religionsunterricht an Realschulen. Vgl. Steinkühler, Martina (Hg.): Herausforderungen. Evangelisches Religionsbuch für Realschulen 9, München 2021, 34-35.

[10] Vgl. Minute 04:34-05:10.

[11] Vgl. Minute 07:22-08:44.

[12] Vgl. Minute 12:08-12:11.

[13] Zur Rolle von Emotionen bei der Radikalisierung: Vgl. Srowig, Fabian u. a.: Radikalisierung von Individuen. Ein Überblick über mögliche Erklärungsansätze (PRIF Report 6), Frankfurt am Main 2018. Unter: https://www.hsfk.de/fileadmin/HSFK/hsfk_publikationen/prif0618.pdf; Hier ausführlicher, jedoch am Beispiel der Radikalisierung im dschihadistischen Terror: Vgl. Reicher, Fabian/Melzer, Anja: Die Wütenden. Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen, Frankfurt am Main 2022.

[14] Vgl. Minute 12:59-13:04.

[15] Zum Phänomen der ‚Nipster‘ (=Nazihipster) sei auf folgenden Text verwiesen: Steiner, Felix M.: Vom Nazi-Skinhead zum Nipster – rechtsextreme Jugendkulturen im Wandel, 12.09.2017, Unter: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/255988/vom-nazi-skinhead-zum-nipster-rechtsextreme-jugendkulturen-im-wandel/ – footnote-target-17.

[16] Minute 13:14-13:16.

[17] Minute 14:39-14:40.

[18] Minute 17:34-17:38. Auch finden sich mit dem Verweis auf Talis „Verwandtschaft“ eine Form des israelbezogenen Antisemitismus in dieser Aussage, welche im Kapitel zum jüdischen Leben und zum Nah-Ost-Konflikt angesprochen werden.

[19] Zur Vertiefung dieser Problematik wird auf eine aktuelle Studie von Julia Bernstein verwiesen. Vgl. Bernstein, Antisemitismus.

[20] Minute 26:27-26:30.

Der Nah-Ost-Konflikt ist wie ein Stück von Shakespeare – Weltverändernde Liebesgeschichten

Als Lennart herausfindet, dass Tali Jüdin ist, fragt er, ob sie denn nun überhaupt noch mit Yasin oder Hassan befreundet sein könnte. Damit spricht er nicht nur muslimischen Antisemitismus an, sondern geht vorrangig auf den Nah-Ost-Konflikt ein. Das Verhältnis von Judentum und Islam zieht sich danach wie ein roter Faden durch die Folge und wird vor allem an der Liebesgeschichte zwischen Tali und ihrem palästinensischen Mitschüler Yasin erzählt.

Die Thematisierung des Nah-Ost-Konflikts für Kinder ist ein gewagtes Unterfangen, welches häufig darin endet, zu oberflächlich zu agieren oder Sachverhalte verkürzt darzustellen. Dadurch entsteht meist eine problematische Darstellung des Konflikts.[1] Im Zuge einer Darstellung des Nah-Ost Konflikts gehen Medien auch immer wieder das Risiko ein, israelbezogenen Antisemitismus zu fördern oder ihn zumindest unterschwellig zu verbreiten.[2]

Es soll noch einmal genauer auf das Gespräch vor der Turnhalle eingegangen werden, welches damit beginnt, dass Lennart durch die von Maike verbreiteten Fotos erfährt, dass Tali Jüdin ist. Dies kommentiert er mit dem Satz: „Mir egal, aber Yasin ist Moslem.“[3] Auf Unverständnis treffend konkretisiert Hassan die Situation mit dem Zitat. „Naja. Moslems und Juden.“[4] Yasin selbst bleibt in dieser Situation, wie in vielen anderen folgenden passiv und sagt nichts. Er lässt immer wieder Hassan oder Lennart für sich sprechen. Im Gegensatz zur Shoah, welche durch eine Szene im Hauptquartier der Pfefferkörner, historisch eingeordnet wird,[5] gibt es für den Konflikt zwischen Muslim*innen und Jüdinnen*Juden oder den Nah-Ost-Konflikt keine weiter Erklärung. Dies ist ein wenig verwunderlich, wird im späteren Verlauf sogar explizit auf diesen verwiesen. Als die Pfefferkörner die Klassenliste durchgehen und überlegen, wer den Davidsstern an die Turnmatte geschmiert hat, beschreibt Lou Yasin und Hassan so: „Hassan ist Moslem und seine Brüder sind gegen alles, was jüdisch ist. Yasin ist schüchtern und in Tali verknallt, aber seine Familie ist aus Palästina.“[6] Was es bedeutet, wird nicht weiter erläutert. So bleibt es den Zuschauer*innen selbst überlassen, sich über diesen Sachverhalt zu informieren. Dies ist jedoch für Kinder, die Zielgruppe der Pfefferkörner, äußerst schwierig.

In der Narration der Folge müssen die Zuschauer*innen diese Konflikte jedoch zunächst einfach hinnehmen: Muslim*innen haben was gegen Jüdinnen*Juden und Palästinenser*innen ebenfalls. Für die dargestellte Klasse scheint dieser Konflikt bekannt zu sein – Maike möchte ihn sogar ausnutzen, um zu erreichen, dass Yasin Tali weniger mag.

Ähnlich wie andere Formate für Kinder findet im Satz von Lou wieder eine starke Verkürzung und eine falsche Darstellung von Fakten statt, die in diesem Fall sogar höchst problematisch ist. So sagt Lou, dass Yasin und seine Familie aus Palästina kommen würden, einem staatlichen Konstrukt, welches völkerrechtlich umstritten ist. In der Serie wird er jedoch als gegeben dargestellt – entsprechend einer Forderung der bspw. in Deutschland erstarkenden Bewegung BDS („Boykott, Desinventitionen und Sanktionen“), welche das Ziel vertritt, Israels angebliche „Okkupation und Kolonialisierung des arabischen Landes“ müsse beendet werden. Es ist sicherlich nicht die Intention einer Kinderserie, die Forderungen einer, vom Verfassungsschutz beobachteten, Gruppe zu inszenieren, jedoch fördert eine solche Wortwahl israelbezogenen Antisemitismus (Delegitimierung).

Die Figur Hassan sollte in diesem Kontext ebenfalls noch genauer betrachtet werden. In der Folge steht er quasi stellvertretend für den Konflikt zwischen Muslim*innen und Jüdinnen*Juden. So wird seine Familie in dem eben genannten Satz von Lou als antisemitisch beschrieben, lediglich aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit zum Islam.[7] Hassan scheint in der Folge derjenige zu sein, an dem sich die Drehbuchautor*innen abarbeiten wollen. So wird ihm neben seiner antisemitischen Verwandtschaft auch noch dieser Satz in den Mund gelegt: „Mein Bruder hatte Recht – bei den Juden bist du immer schuld.“[8] Eine klassisch antisemitische Aussage, die in diesem Kontext ebenso gut durch die Neo-Nazi-Gruppe hätte geäußert werden können. Die Brüder von Hassan scheinen, durch diese Darstellung in der Folge, ähnliche Gedanken gegenüber Jüdinnen*Juden zu haben, wie sie diejenigen äußern, die als die klassischen Antagonist:innen der Folge inszeniert werden. Hassan oder seine Brüder landen dafür jedoch nicht „im Gefängnis“ oder „bekommen, was sie verdienen.“ Wie bereits oben beschrieben, wird Hassan am Ende sogar noch als derjenige dargestellt, welcher durch die Vorkommnisse nichts dazugelernt hat, wie die problematische(n) Aussage(n) von Hassan im Klassenvideo an Tali (und die Reaktion seines Mitschülers Lennart) zeigt.[9] Eine innere Umkehr, wie sie bspw. Maike durchläuft, ist hier nicht zu erkennen. Hassan verbleibt in seiner Meinung und passt diese lediglich auf sozialen Druck hin an. Im Laufe der Folge wird immer wieder gesagt, dass Hassans Brüder ihn in seiner Meinung zur Jüdinnen*Juden beeinflussen und so scheint er sich ständig an die gegebene Situation anzupassen.

Dies schafft eine problematische Darstellung von Antisemitismus, der anscheinend erst wirklich zu bestrafen ist, wenn es zu harten und tätlichen Übergriffen kommt.

Der von der Serie eröffnete Konflikt zwischen Yasin und Tali wird schließlich in einer Liebesgeschichte aufgelöst, die sich zwischen den Beiden entspinnt. Während der gesamten Folge gibt es immer wieder Anspielungen darauf, dass beide ineinander verknallt seien, und am Schluss verabreden sie sich für ein Kino-Date am kommenden Samstag nach Yasins Koranschule. Dies wird vom vorbeigehenden Lennart mit dem Satz: „Na, ihr Beiden. Wollt ihr euch bei der Theater-AG für Romeo und Julia bewerben?“[10], kommentiert. Die Folge endet also mit dem überzeichneten Bild, dass der Nah-Ost-Konflikt durch zwei ca. zwölfjährige Schüler*innen, die erste zarte Gefühle entwickeln, quasi beigelegt wird. Das Zitat von Lennart stellt dies sogar in eine Linie mit der tragischen Geschichte von Shakespeare, welches die beiden Liebenden am Schluss in den Tod treibt. Die Bagatellisierung der Palästinenser*innen und der Israelis als Montagues und Capulets zeigt die Tragweite des Problems dieser Folge. Wieder möchte sie viel zu viel. Sie will ein facettenreiches Bild von Antisemitismus zeichnen und verfällt dabei selbst in narrativ problematische Muster. So bricht sie den Konflikt zwischen Jüdinnen*Juden und Muslim*innen auf den Nah-Ost-Konflikt herunter, welcher beigelegt werden könnte, wenn sich die zwei ‚verfeindeten Familien‘ in Liebe begegnen würden.

[1] Am 04.10.2021 wurde eine Logo-Sendung ausgestrahlt, die versuchte das Thema Nah-Ost-Konflikt für Kinder in zwei Minuten zu erklären (vgl. logo erklärt: Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, 04.10.2021, https://www.zdf.de/kinder/logo/logo-erklaert-konflikt-israel-palaestinenser-102.html). Diese Darstellung beinhaltet sowohl falsche Fakten als auch eine sehr verkürzte Darstellung der Sachlage, welche für das Verständnis von Kindern wenig zuträglich ist.

[2] Israelbezogener Antisemitismus lässt sich vor allem durch den sog. 3-D-Test beschreiben: Doppelstandards, Delegitimierung und/oder Dämonisierung. Doppelstandards bedeutet, dass Israel mit anderen Maßstäben gemessen wird als andere Staaten. Bspw. werden politische Entscheidungen oder staatliches Verhalten kritisiert, welches bei anderen Staaten übergangen oder bewusst ignoriert wird. Eine Delegitimierung liegt vor, wenn dem Staat Israel sein Existenzrecht aberkannt wird und durch die Dämonisierung wird Israel mit klassischen antisemitischen Stereotypen belegt und als das ultimativ Böse angesehen. Dafür wird es bspw. auch immer wieder in Beziehung zum Nationalsozialismus gestellt (Ausführlicher zum 3-D-Test und zum israelbezogenem Antisemitismus: Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Antizionistischer und israelfeindlicher Antisemitismus. Definitionen – Differenzierungen – Kontroversen, 30.04.2020, online eingesehen unter: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/307746/antizionistischer-und-israelfeindlicher-antisemitismus/). Einige Forscher*innen fügen noch ein viertes D ein, das der Derealisierung. Dies bedeutet, dass die Darstellung Israels von der Realität abweicht. Vgl. Schwarz-Friesel, Monika/Reinharz, Jehuda: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert, Berlin 2013, 249-250. Unter: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110277722.194/html. In der Folge „Stolpersteine“ lässt sich neben der verkürzten Darstellung des Nah-Ost-Konflikts auch eine ganz deutliche israelbezogene, antisemitische Aussage finden. Beim tätlichen Übergriff auf Tali und Lou sagt einer der Angreifer:innen zu Tali: „schönen Gruß an deine Verwandtschaft.“ Hierbei wird darauf angespielt, dass angeblich alle Jüdinnen*Juden miteinander verwandt sind und auch jede jüdische Person in Deutschland Verwandtschaft in Israel habe. Durch diese Aussage bildet sich ab, was viele Menschen in Deutschland glauben: dass alle Jüdinnen:Juden stellvertretend für den Staat Israel auftreten und mindestens einen verwandtschaftlichen Bezug hierhin haben. Vgl. Bernstein, Antisemitismus, 96-103.

[3] Minute 04:48-04:49.

[4] Minute 04:50-04:53.

[5] Minute 05:53-07:21.

[6] Minute 11:28-11:37.

[7] Eine Überblicksdarstellung zum Muslimischem Antisemitismus und zu ihrem Entstehungskontexte: Vgl. Küntzel, Matthias: Islamischer Antisemitismus, 30.04.2020. Unter: https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/307771/islamischer-antisemitismus/; Kurze Darstellung der Problematik von Muslimischem Antisemitismus an deutschen Schulen: Vgl. Bernstein, Antisemitismus, 55-57; 163-175. (Auf Seite 57 zitiert Bernstein sogar ein Interview, welches sie mit einer jüdischen Schülerin geführt hat, dessen Wortlaut den Aussagen von Hassan und Lennart sehr nahekommen. Dort heißt es: „Ein Muslimischer Mitschüler, mit dem sie [die jüdische Schülerin] sich gerade angefreundet hatte, kündigt ihr mit den Worten die Freundschaft: ‚Ich hab gehört, du bist Jüdin […] Eigentlich mögen sich Juden und Muslime nicht.‘“, Bernstein, Antisemitismus 57.) Eine weitere interessante Analyse von inter-generationellen, antisemitischen Narrativen unter muslimischen Jugendlichen und einer etwaigen Radikalisierung findet sich hier: Vgl. Schu, Anke: Inter-gerenationelle Narrative muslimischer Jugendlicher, in: Meron Mendel /Astrid Messerschmidt (Hg.): Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft, Bonn 2018, 77-100.

[8] Minute 09:23-09:26.

[9] Vgl. Minute 25:46-25:57.

[10] Minute 27:41-27:44.

Lernen am Modell oder White Saviorism?

Das Ende der Pfefferkörnerfolge „Stolpersteine“ ist versöhnlich. Nachdem Tali sich zunächst entschieden hat, die Schule zu verlassen, bittet die ganze Klasse 7b Tali, zu bleiben und sie macht ein Date mit Yasin, ihrem muslimischen Mitschüler, aus. Die Mitschülerin, die Tali als Jüdin ‚geoutet‘ hat, unterstellte dem verliebten muslimischen Jungen (fälschlicherweise) vermeintlichen Antisemitismus und entschuldigt sich. Hierin kann man die positive Absicht sehen, den muslimischen Antisemitismus zu unterlaufen und doch mutet die letzte Szene kitschig an. Alle Mitschüler*innen zeigen sich in starker Solidarität: Jonny bietet Tali an, „in unserer Klasse wird dir 100 pro niemand mehr etwas tun und immer wird jemand mit dir nach Hause gehen, bis du dich wieder sicher fühlst.“[1]

Das ist ein starkes Zeichen: Es kann Kindern im hohen Grundschul- und jungen Sekundarstufenalter zeigen, wie sie auf Diskriminierung reagieren können. Es wird ein vorbildhaftes Handeln zum Lernen am Modell an gleichaltrigen Figuren angeboten. Das kann gerade für Kinder, die das erste Mal bewusst mit Antisemitismus in Berührung kommen, eine wichtige Handlungsperspektive aufzeigen und die Angst und gefühlte Ohnmacht, die auch bei Kindern entstehen kann, wenn sie solche Taten wie dem gewalttätigen Überfall auf die Figur der Tali sehen, abmildern, in dem Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden: Jede*r kann (und muss) sich gegen Antisemitismus einsetzen.

Das ‚Problem Antisemitismus‘ ist am Ende der Folge dank des Einsatzes der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft gelöst. Die Pfefferkorn-Detektivin Lou sagt in dem Video der Klasse ganz zum Schluss: „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Diese scheiß Kerle bekommen Haftstrafen für das, was sie mit dir gemacht haben. Die kommen ins Gefängnis. Wir haben gewonnen. Bleib bitte in unserer Klasse!“[2] Es ist ein ‚Wir-die-Anti-Antisemiti*innen‘ gegen  ‚Die-Antisemit*innen‘. In der Konfrontation mit der Realität ist einerseits zu hinterfragen, ob die Aussage mit den Haftstrafen so stimmt und ob es ein klares ‚Wir‘ gegen ‚Die‘ gibt, das in der Serie angenommen wird, aber gleichzeitig durch diese konstruiert werden soll. Die Realität sieht nicht so aus, dass Tali außerhalb der Schule ihre Kette mit dem Davidstern sichtbar tragen kann, was sie nach einem kurzen Zögern und der Überlegung, diese Davidsternkette wieder zu verstecken,[3] auch in der Schule am Ende der Folge mit einem kurzen Lächeln macht.[4]

Auch wenn im Sinne der Dramaturgie einer Pfefferkörner-Folge das Kinder-Detektivteam den Fall lösen und Tali beistehen muss und dies auch im Sinne eines Handlungsvorbild für nicht-jüdische Kinder eine sinnvolle Darstellung ist und Antisemitismus nicht nur von Antisemitismus-Betroffene tangiert, sondern eine Anfrage an die Gesellschaft im Ganzen ist, findet hier wieder eine klare Trennung in ‚Helfende‘ und ‚Opfer‘ statt. Hier die Figur der Tali mehr zu Sprache kommen zu lassen, die nach dem Fensterwurf noch sagt „Aber ich möchte wissen, wer es war. Von so einer widerlichen Aktion lasse ich mich nicht einschüchtern. Bestimmt nicht!“,[5] und ihr eigene Handlungsmöglichkeiten im Sinne eines ‚Empowerments‘ an die Hand zu geben, wäre eine wünschenswerte Option gewesen. So wäre es beispielsweise möglich gewesen, dass die Pfefferkörner den Fall mit Tali zusammen lösen, als Tali zum Objekt des Falls zumachen.

[1] Ab Minute 26:19.

[2] Ab Minute 26:26.

[3] Minute 27:22.

[4] Minute 27:26.

[5] Minute 09:28.

Solidarität aus Geschichte – wo bleibt die Freundschaft?

Während die Klasse sich besonders am Ende sehr solidarisch mit Tali zeigt und betont, wie wichtig ihnen die Freundschaft zu ihr ist, eröffnet die Folge einige Ungereimtheiten in Bezug auf die Freundschaft zu Tali:

Die Pfefferkörner, die mit Tali befreundet sind und teilweise mit ihr in eine Klasse gehen, übernehmen den Fall, um herauszufinden, wer hinter den antisemitischen Anschlägen gegen Tali steckt. Sie glauben, es könne ein Zusammenhang zwischen der antisemitischen Schmiererei auf der Matte in der Turnhalle und dem Foto, das von Tali vor der Synagoge zeigt, bestehen. Da das Foto Lennart, einem Mitschüler, geschickt wurde, vermuten die Pfefferkörner, dass es von einer Person aus der Klasse geschossen und weitergeschickt werden musste.

Auffällig ist, dass keine*r der Freund*innen aus Talis Klasse zu wissen scheint, dass Tali Jüdin ist, obwohl im Flur des Wohnhauses von Talis Großmutter gut sichtbar eine Chanukkia aufgestellt ist.[1] Ihre Großmutter scheint zwar in der Öffentlichkeit die Davidsternkette unter der Kleidung zu tragen, zu Hause ist sie allerdings je nach Kleidungsstil sichtbar.[2] So wäre es durch diese nach außen erkennbaren Merkmale im Bereich des Möglichen gewesen, dass ihre Freunde das Jüdischsein von Tali und ihrer Großmutter bemerken könnten.

Auch Lou, die beim Entdecken der antisemitischen Schmiererei auf der Sportmatte dabei ist, will davon nichts gewusst haben.[3] Positiv herauszustellen ist, dass sie direkt solidarisch mit Tali reagiert und rät ihr, die Schmiererei zu melden. Weniger positiv ist ihre Begründung, da es „überhaupt nicht okay“[4] sei. Wieso die Schmiererei problematisch ist, wird an dieser Stelle offengelassen und erst im Hauptquartier die Pfefferkörner erläutert. Wie bereits oben erwähnt, begründen die Pfefferkörner ihre Solidarität mit Tali aus der Geschichte um die Shoah heraus und lösen hierbei bei den Zuschauer:innen Betroffenheitsgefühle aus. Zudem produziert die Serie, wie oben dargestellt, dadurch eine Opferstilisierung.

Während Lou solidarisch hinter Tali steht, interessieren sich die anderen Mitschüler*innen nicht bzw. kaum für das Problem – nur die Pfefferkörner scheint der Ernst der Lage bewusst zu sein. Besonders deutlich wird die Ignoranz um Talis Situation an der Szene nach dem antisemitischen Attentat auf das Wohnhaus der Großmutter: Lennart muss sein Handy abgeben, um herauszufinden, wer das Foto von Tali vor der Synagoge geschossen und/oder an ihn versendet hat.[5] Lennart beschwert sich lediglich darüber, dass er sein Handy abgeben musste, während Hassan beinahe belustigt entgegnet: „Und deshalb machen die so `nen Aufriss?“[6] Tali, die die Situation zu erklären versucht und auf das Attentat auf ihr Wohnhaus verweist, wird von Lennart lediglich entgegnet „Ich war’s nicht. Mir ist schnurzpiepegal, ob du Jüdin bist oder nicht. Ich will nur mein Handy wieder.“[7] Auf die Notlage und die Gefahr, in der sich Tali befindet, wird keineswegs eingegangen. Lediglich Lou reagiert, verweist aber wieder darauf, man solle sich in Talis Lage versetzen. Offensichtlich scheint nur ein solcher Perspektivwechsel die Jugendlichen zum Nachdenken anzuregen. Die eigene Verstrickung in das Thema Antisemitismus wird keineswegs reflektiert bzw. sogar befeuert: Innerhalb des Freundeskreises scheint nämlich das Vorurteil zu bestehen, dass Jüdinnen*Juden und Muslim*innen Feinde zu sein scheinen. Das Vorurteil wird immer wieder unterschwellig oder direkt bedient: Besonders die Tatsache, dass der Mitschüler Hassan offensichtlich keine Entwicklung durchzumachen scheint, wie oben bereits dargestellt, untermauert dies nochmals. Seine antisemitischen Aussagen werden an keiner Stelle von einer Person aus seiner Klasse reflektiert oder negiert. Erst unter sozialem Druck der Klasse ‚ändert‘ er zum Ende des Films seine Haltung. Eine tatsächliche Reflexion seiner Haltung und/oder die seiner Brüder[8] findet an dieser Stelle nicht statt und die Situation wird nicht aufgelöst. Trotzdem bemüht auch er sich im Video darum, Tali wieder in der Klassengemeinschaft willkommen zu heißen.

Alles löst sich in Wohlgefallen auf, doch die Frage nach dem (mindestens latenten) Antisemitismus innerhalb von Talis Klasse bleibt. Tali begegnen in der Folge direkter, latenter und anderen unterstellter Antisemitismus, für den sich niemand – auch Tali nicht – zu interessieren scheint. Wäre es nicht nötig gewesen, dies genauer zu thematisieren, um eine Reflexion von Antisemitismus möglich zu machen? Tali selbst, ihre Mitschüler*innen und auch die Pfefferkörner nicken die antisemitischen Vorfälle innerhalb der Klasse als gelöst ab. Maike ist geläutert, Hassan erfährt sozialen Druck und Tali (scheinbare) Solidarität in der Klasse. Tali ist ihre Freundin und soll in der Klasse bleiben, dass zeigt das Video am Ende der Folge, aber ist die Freundschaft zu Tali auch Grund genug gewesen, antisemitische Anfeindungen und/oder Angriffe zu verurteilen? Oder ist Antisemitismus ‚nur‘ aufgrund der Shoah heraus eben „überhaupt nicht okay“, wie Lou in der Sporthalle feststellt?[9]

[1] Vgl. Minute 08:06-08:21.

[2] Vgl. bspw. Minute 18:35-18:38; 21:50-22:12.

[3] Vgl. Minute 03:04-03:08.

[4] Minute 03:17-03:20.

[5] Vgl. ab Minute 08:48.

[6] Minute 09:13-19:15.

[7] Minute 09:17-09:23.

[8] Er und auch die Pfefferkörner verweisen hierbei immer wieder auf seine Brüder, verbreiten das Stereotyp, Muslim*innen würden Jüdinnen*Juden hassen und externalisiert das Problem so auf andere. Vgl. Minute 09:23-09:26. 11:30-11:33.

[9] Vgl. Minute 03:17-03:20.

Fazit

Dass eine seit langem sehr erfolgreiche Fernsehserie – mit inzwischen zwei Kinofilmen – gegenwärtigen Antisemitismus für Kinder ansprechend und anschaulich thematisiert – und das nicht nur am Rande, sondern prominent gesetzt in der Auftaktfolge einer Staffel, ist als sehr positiv hervorzuheben. Wünschenswert wäre eine weitere Entwicklung: Wäre nicht eine jüdische Figur als durchgängiges Teammitglied der Pfefferkörner denkbar, sodass diese Figur komplexer und nicht auf ihr Judentum reduziert gezeigt werden könnte?

An der Darstellung ist besonders zu würdigen, dass Antisemitismus für jüngere Kinder nicht nur auf einer kognitiven Ebene erwähnt, sondern für diese auch sichtbar gemacht wird. Doch die Folge zeigt leider, dass gute Intentionen nicht immer zu guten Ergebnissen führen.

Der Folge ist ihr Bildungsanspruch, schließlich ist es eine öffentlich-rechtliche Serie, anzumerken: Unterschiedlichste Formen von Antisemitismus sollen in etwas mehr als 25 Minuten innerhalb der Kinderserie umfassend behandelt werden. Die zuvor näher betrachteten Sequenzen zeigen, dass dies nicht immer sinnvoll gelingt: Ungewollt werden Stereotype bestätigt, problematische Narrative unterstützt und eine Fülle von Problemen angerissen. Jedes Einzelne soll dann am Ende aufgelöst sein: Die ‚bösen‘ Rechten sind im Gefängnis, die Mitschülerin geläutert, der muslimische Mitschüler Hasan äußert den übernommenen Antisemitismus zumindest nicht mehr laut – die Ordnung ist (scheinbar) wiederhergestellt und der Fernseher kann beruhigt ausgestellt werden.

In der Regel schauen Kinder „Die Pfefferkörner“ meist alleine oder als Nebenbeschäftigung, ohne Anschlusskommunikation in Schule oder Elternhaus. Da es sich um eine Serie handelt, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet wird, wird ihr wahrscheinlich auch eine bestimmte Autorität zuerkannt. Und was lernen die Zuschauenden? Jede*r kann sich gegen Antisemitismus, der (nur?) von Neonazis und Muslim*nnen ausgeht, einsetzen. Diese Handlungsoption, die nicht-jüdische Kinder hier lernen, „Setzt euch ein und unterstützt!“, ist fundamental wichtig, doch ist sie eben nur eine Seite. Antisemitismus verschwindet nicht, weil eine Klasse sich mit einer jüdischen Mitschülerin solidarisch erklärt – auch wenn es im Sinne eines Lernens am Modell möglicherweise von den Zuschauenden kopiert wird. Antisemitismus ist weit verbreitet und eben nicht auf andere Personen zu externalisieren. Ähnlich wie in der Folge „Stolpersteine“ wissen viele Schüler*innen nicht, dass sie jüdische Mitschüler*innen haben.

Die Realität sieht sehr viel komplexer aus: Nicht alle Menschen erkennen ihre Fehler und lernen daraus. Nicht immer handeln Menschen nachvollziehbar o. Ä. Auch einem jüngeren Publikum ist durchaus mehr zuzutrauen als reine gut-böse Narration. Die Frage bleibt, ob Kindern diese Ambivalenzen, die ihnen tagtäglich im Leben zugemutet werden, nicht auch im Fernsehen zuzutrauen sind?  Diese Komplexität ist nicht wirklich in 25 Minuten abbildbar. Daher ist die Folge „Stolpersteine“ ein sinnvoller Anknüpfungspunkt, um mit Kindern im späten Grundschul- und frühen Sek I-Alter über Antisemitismus in Deutschland heute ins Gespräch zu kommen. Aber sie kann eben nur ein Anknüpfungspunkt sein, der eigentlich zwingend (pädagogisch-didaktisch begleiteter) Anschlusskommunikation Bedarf und kann nicht für sich alleine stehen bleiben.

Anhang

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