Religiös und rechtsextrem?
Beobachtungen zu unerwarteten Anschlussmöglichkeiten

Rechtsextremismus

Publiziert: 2015

Beitrag auf „feinschwarz.net – Theologisches Feuilleton“ 15. Dezember 2015

Einleitung

Vernetzungen zwischen rigiden (oft privaten) sich christlich verstehenden Gruppen und Medien mit Gruppen und Medien der Intellektuellen Rechten lassen sich schon lange im Internet beobachten. Der Frage, warum bestimmte Frömmigkeitsstile und extrem rechte Einstellungen offenbar miteinander harmonieren, geht Sonja Angelika Strube wissenschaftlich nach.[1]

[1] Zu den Begrifflichkeiten vgl. das Dossier „Rechtsextremismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung“, insbesondere die Rubriken Ideologie, Rechtspopulismus, auf: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41434/ideologie; http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41191/rechtspopulismus. Grundlage des Essays ist meine Antrittsvorlesung an der Universität Osnabrück vom 28.4.2015. Der Essay baut auf vorausliegenden Studien auf; vgl. dazu vor allem: Sonja Angelika Strube, Rechtsextremismus als Forschungsthema der Theologie? Aktuelle Studien und eine kritische Revision traditionalismusaffiner Theologien und Frömmigkeitsstile, Hauptartikel in: Theologische Revue 3/2014, 179-194; dies., Problemanzeige: Rechtsextreme Tendenzen in sich christlich verstehenden Medien, in: dies. (Hg.), Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie, Freiburg i.B. 2015, 18-36. Alle Internetseiten wurden zuletzt am 10.11.2015 abgerufen. 

Normativ betrachtet fordert christlicher Glaube zu universaler Nächstenliebe und Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Unrecht auf. Sein Menschenbild der Gottebenbildlichkeit aller Menschen steht im Widerspruch zu rechten Ideologien, deren Kern, darin stimmen verschiedenste Rechtsextremismus-Definitionen überein, fundamentale Ungleichwertigkeitsvorstellungen sind.

Wer sich dem Thema jedoch deskriptiv nähert, muss feststellen, dass weder allgemein christliche noch speziell katholische Religiosität grundsätzlich gegen Vorurteile, menschenfeindliche Haltungen und sogar rechtsextreme Einstellungen[1] immunisieren. Neben verschiedenen quantitativen Studien zur Verbreitung rechtsextremer Einstellungen und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der „Mitte der Gesellschaft“[2] erweist die Analyse von Internetseiten diverse Kooperationen bestimmter sich christlich verstehender Personen und Gruppierungen mit politisch rechten Medien und Gruppen und zeigt, dass es Ausprägungen christlicher Frömmigkeit gibt, die mit politisch extrem rechtsgerichteten Positionen harmonieren.[3] In besonders krasser Weise zeigte sich dies 2004 bis 2012 auf der theologisch traditionalistisch ausgerichteten anonym betriebenen Internetseite ‚kreuz.net‘ mit unverhohlen rechtsextremer Hetze und extremstem Antisemitismus, die teilweise die Straftatbestände der Holocaustleugnung und Volksverhetzung erfüllten.

Davon zu unterscheiden sind verschiedene weniger extreme, sich christlich verstehende private Internetseiten und Blogs, die Brücken schlagen zu Medien, Personen und Gedankengut der Intellektuellen Neuen Rechten, zur extrem islamfeindlichen Szene oder zu rechten Parteien. Im Unterschied zum Profil von kreuz.net ist Antisemitismus für diese Medien in der Regel ein Tabu (was theologisch antijudaistische Denkmuster nicht zwingend ausschließt). Da sie sprachlich, politisch und religiös gemäßigter auftreten, erzielen sie aber auch eine größere Breitenwirkung. Als Brücken ins politisch extrem rechte Lager fungieren auch Personen, die als Christ/innen, Priester oder Theologen für neurechte oder rechtspopulistische Medien schreiben.

[1] Ich beziehe mich wie die „Mitte-Studien“ von Decker/Brähler et.al. ausdrücklich auf Einstellungen und nicht erst auf rechtsextremistisches Verhalten im verfassungsrechtlich-strafrechtlichen Sinne.

[2] Vgl. Oliver Decker/Elmar Brähler, Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland, Berlin 2006, 20, sowie die Studien der Folgejahre; Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände. Frankfurt 2002-2011.

[3] Vgl. Strube, Rechtsextremismus als Forschungsthema ; dies., Problemanzeige.

2. Wo bieten sich Anschlussmöglichkeiten? Ein Werkstattbericht

Beobachtungen zu Kooperationen und Vernetzungen zwischen sich christlich verstehenden und explizit rechten Milieus lassen sich seit einigen Jahren im Internet, in der politischen und kirchlichen Realität machen. Dies führt unweigerlich zu der Frage, welche Glaubenshaltungen und Frömmigkeitsstile es sind, die solche langjährigen, weit über das rein Pragmatische hinausgehenden Zusammenarbeiten möglich machen. Gibt es inhaltliche bzw. strukturelle Anknüpfungspunkte, und wenn ja, wo zeigen sie sich? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und fokussiert auf für die katholische Kirche relevante Phänomene möchte ich einige Schlaglichter aus meiner laufenden Forschung vorstellen. (Das Problem ist nicht auf katholische Frömmigkeitsstile beschränkt, sondern auch im evangelisch-evangelikalen Glaubensspektrum virulent.)

Traditionalismus und die Ablehnung von Demokratie und Sozialstaatlichkeit

Im katholischen Glaubensspektrum zeigen sich internetmedial die massivsten inhaltlichen Anschlussmöglichkeiten dort, wo auf den Antimodernismus der pianischen Epoche zurückgegriffen und das Zweite Vatikanische Konzil bekämpft wird. Extreme Internetseiten wie kreuz.net, auf denen sich religiöser Traditionalismus mit rechtsextremen Positionen mischt, zeugen von einer deutlichen Attraktivität des Traditionalismus und des vorkonziliaren katholischen Antimodernismus für Personen mit rechtsextremen Einstellungen bzw. einem geschlossen rechtsextremen Weltbild. Diese Attraktivität erklärt sich aus der gemeinsamen radikalen Ablehnung der Französischen Revolution inklusive aller ihrer Ideale und Errungenschaften.[1]

Im Kontext der schismatischen Piusbruderschaft ebenso wie traditionalistischer Gruppen innerhalb der römisch-katholischen Kirche wird das Zweite Vatikanum als ‚Katastrophe‘ eines „1789 der katholischen Kirche“ extrem negativ bewertet, sein Bekenntnis zu Menschenrechten, Demokratie und Religionsfreiheit als ‚Irrlehre‘ verworfen, die Forderung autoritärer Strukturen in Kirche und Staat erhoben bis hin zur Idee eines autoritär-katholischen Gottesstaates. Verwiesen wird dabei auf kirchenamtliche Dokumente der pianischen Epoche (Enzykliken, Syllabus errorum, Antimodernisteneid), die – in ihrer Zeit nicht untypisch, aber heute extrem problematisch – teilweise antidemokratische, antiliberale, antiplurale, antiegalitäre Positionen vertraten, verbunden mit religiösem Exklusivismus und auch antijudaistischen Einstellungen.

An traditionalistisch geprägte Religiosität docken auch Personenkreise an, die politisch sozialdarwinistische Einstellungen bzw. einen „marktförmigen Extremismus“[2] vertreten.

Anknüpfungspunkte sind hier 1) die in den Erscheinungsformen des Traditionalismus gegebene Entpolitisierung des Evangeliums durch Engführung des Glaubens auf liturgische Ästhetik und eine eng auf das Persönliche begrenzte Individualmoral, 2) die ausgeprägte Betonung von als gottgewollt betrachteten Hierarchien und Standesunterschieden im Traditionalismus sowie 3) die (z.T. biologistisch begründete) exklusive Stellung der traditionellen Familie mit geschlechtsspezifischer Rollenverteilung. Relevant wird die Familie in entsprechenden wirtschaftspolitischen Konzepten als einzig vorgesehene Sozialabsicherung.

Mit und seit dem Zweiten Vatikanum, durch die theologische Würdigung von Menschenrechten, Religionsfreiheit und Demokratie, ist zwar implizit eine kirchenoffizielle Distanzierung von problematischen Inhalten antimodernistischer Dokumente geschehen. Doch bedarf es noch einer vertieften und selbstkritischen dogmatischen Würdigung theologiegeschichtlicher Paradigmenwechsel und der expliziten Kommunikation der historischer Bedingtheiten kurz: einer „Hermeneutik der Diskontinuität, die mit geschichtlichem Wandel und historischen Brüchen rechnet“[3] wie Stefan Goertz vorschlägt.

Religiös begründete Überlegenheit und Ungleichwertigkeit

In ihren quantitativen Studien zum Einfluss von Religiosität auf Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) kommen Beate Küpper und Andreas Zick zu dem Ergebnis, dass die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Religion Menschen „vorurteiliger“ macht[4]. Basierend auf eigenen Analysen christlich-religiöser Internetseiten, die ins politisch rechte Spektrum verlinken, möchte ich nachzeichnen, wie gläubige Menschen schrittweise und in fließenden Übergängen zu einer regelrechten Verteufelung Andersdenkender kommen können – aber keinesfalls kommen müssen.

Nicht nur für religiöse, sondern für alle persönlichen wie kollektiven Überzeugungen gilt, dass Überzeugte das von ihnen Gewählte für gut halten, meist auch für besser als andere Alternativen. Eine völlige Enthaltsamkeit von Überzeugungen ist weder menschlich möglich noch gesellschaftlich sinnvoll und wünschenswert; und Fundamentalismen können nicht nur in Religionen, sondern auch im politischen Bereich auftreten.[5] Die Frage nach einem konstruktiven Umgang mit divergierenden Überzeugungen ist daher unabdingbar und nicht auf den religiösen Bereich zu beschränken.

Die Frage nach einem konstruktiven Umgang mit divergierenden Überzeugungen ist unabdingbar

Eine starke Überzeugung von der Richtigkeit des Eigenen kann zur Abwertung anderer führen, und dies kann auch – entgegen ihrem expliziten Anliegen der Wertschätzung aller Menschen als Ebenbilder Gottes – im Bereich christlicher Religiosität geschehen, dann nämlich, wenn exklusivistische Heilsvorstellungen vorherrschen und es zu einer Verabsolutierung des eigenen religiösen Wahrheitsanspruchs kommt. Die Überzeugung, der eigene Glaube sei der einzig wahre, impliziert einen Dualismus, der nur die eigene Form der Religiosität unumwunden gut heißen kann und auf alle anderen Glaubensweisen eine defizitäre Sicht hat: In allem ‚Anderen‘ wird zumindest etwas graduell Schlechteres gesehen.

Gilt alles ‚Andere‘ gegenüber dem ‚Eigenen‘ als graduell schlechter, kann es auch rasch als grundlegend schlecht, böse und feindselig bewertet und abgelehnt werden. Die andere Konfession, Religion, Lebensweise wird als ‚fremd‘ und mit dem Eigenen unvereinbar markiert. Exkludiert und abgewertet werden mit ihr auch die Menschen, die sie praktizieren, nämlich als ‚Häretikerinnen‘, ‚Ungläubige‘, ‚Sünder‘. Die Haltung, „den Sünder zu lieben, aber die Sünde zu hassen“, führt nicht aus einer grundlegenden Abwertung des Anderslebenden heraus, denn dieser wird nicht als gleichberechtigter Gesprächspartner in einem Streit der Überzeugungen akzeptiert.

Solche grundlegenden Abwertungen und Ablehnungen anderer als Sünder etc. sind auf den von mir analysierten religiösen Internetseiten stark vertreten und mischen sich dort bisweilen sogar mit Verhöhnungen unliebsamer Personen, die unter jede Gürtellinie gehen. Feindselige Abwehrhaltungen gegen andere als die eigenen religiösen Lebensweisen und Maximen bieten schließlich niederschwellige Anschlussmöglichkeiten für Islamfeindlichkeit, antimuslimischen Rassismus und (hier und heute seltener) Antisemitismus – als vermeintliche ‚Abwehr‘ vermeintlich ‚falscher‘ Glaubensweisen – ebenso wie für Homophobie, Emanzipations- und Frauenfeindlichkeit – als vermeintliche ‚Abwehr‘ vermeintlich ‚falscher‘ Lebensweisen.

Der Übersprung zwischen rigorosen Christen und der politischen Rechten wird umso leichter, insofern Rassismus selbst in explizit rechtsextremen Zusammenhängen kaum mehr biologistisch begründet, sondern kulturalisiert wird[6]. Zudem hat die extreme Rechte familienbezogene Themen – inklusive Kindesmissbrauch, Lebensschutz, Sexualkundeunterricht – als Agitationsfelder für sich entdeckt und geht mit ihnen offensiv auf Christen zu.[7]

Denkstrukturen, die Parallelen zu rechtsextremen Denkmustern aufweisen, entstehen da, wo Glaube geprägt ist von dualistischem Denken, rigidem Urteilen und Handeln, einer misstrauisch-feindseligen Grundhaltung sowie von der Vereindeutigung der „stets kontingent begegnende[n], nie hintergehbare[n] Schöpfungswelt“[8], die die eigene enge Perspektive verwechselt mit dem Willen Gottes und die mit Rainer Bucher als „theologischer Totalitarismus“[9] bezeichnet werden kann.

 „Frömmigkeit“ als Rigidität und Autoritäre Aggression

Der Tenor der Berichterstattung der von mir analysierten rechts-religiösen Websites besteht überwiegend in einer intensiv abwertenden Beschäftigung mit der als negativ bewerteten Welt. Andersdenkende – das können auch Bischöfe und sogar Papst Franziskus sein – werden oft nicht nur für einzelne Entscheidungen kritisiert, sondern als Person verbal abgewertet, teilweise lächerlich gemacht. Zahlreiche Meldungen berichten über vermeintliche Skandale. Oft werden dabei normale Vorgänge skandalisiert oder unbedeutende Äußerungen und Geschehnisse aufgebauscht. Zudem fällt eine starke Überbetonung der Themenbereiche Sexualität bzw. Homosexualität in der Berichterstattung auf.

Moralvorstellungen werden in redaktionellen Artikeln ebenso wie in zahlreichen Kommentaren ausgesprochen rigide formuliert; vom Begriff ‚Sünde‘ wird häufig Gebrauch gemacht. Im Zusammenhang der Familiensynode im Vatikan wurden Personen attackiert und teilweise als ‚nicht mehr katholisch‘ exkludiert, die für eine beziehungsorientierte Moral eintreten, nach der Lebensrealität heutiger Menschen fragen oder sich auch nur für einen barmherzigen Umgang der Kirche mit Menschen einsetzen, deren Ehe gescheitert ist.

Häufig findet sich der Ruf nach kirchlicher Zurechtweisung oder gar Exkommunikation vorgeblich zu laxer Gläubiger. Bisweilen wird gegen Barmherzigkeit und gegen die Betonung der liebevollen Zuwendung Gottes zu den Menschen polemisiert, sie als ‚Irrlehre der Allversöhnung‘ verurteilt. Teilweise werden ausgeprägte Strafgerichts- und Höllenvorstellungen stark gemacht. In manchen Milieus und Medien finden sich apokalyptische Endzeitvorstellungen mit ausgeprägten Rache- und Triumphfantasien, in anderen militaristischer Sprachgebrauch.

Auch dort, wo sich die entsprechenden Webseiten positiv für etwas engagieren – etwa für Lebensschutz, für Familie, für verfolgte Christen – fällt eine Fokussierung der Texte und Aktionen auf das Ausmachen von Sünden und das Bestrafen von Sündern auf: Es geht gegen Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, zum Teil auch gegen Frauen als potenzielle Gefahr für ihr ungeborenes Kind, gegen homosexuelle Menschen, gegen Regenbogenfamilien, gegen Muslime und ‚den Islam‘. Statt positiver Visionen gelingenden Zusammenlebens oder der empathischen Zuwendung zu Menschen in Konfliktsituationen stehen ‚Sünder‘ und ‚Täter‘ im Mittelpunkt des Interesses, werden Strafforderungen gegen sie formuliert. Grundlegendes Vertrauen in das Gute im anderen Menschen wird als naives und gesellschaftlich gefährliches ‚Gutmenschentum‘ verspottet und bekämpft.

Aus psychologischer Perspektive ist zu konstatieren, dass auf diese Weise Empathie, ‚weiche‘ Gefühle und die mit ihnen einhergehende eigene Verwundbarkeit abgewehrt, aggressive Energien und Gefühle der Wehrhaftigkeit mobilisiert werden. Dies macht offenbar für manche Menschen einen martialisch anmutenden öffentlichen ‚1000-Kreuze-Marsch‘ gegen Abtreibung ungleich attraktiver und entspricht deutlicher ihren selbstbezogenen emotionalen Wünschen (nicht: tatsächlichen Bedürfnissen) als zum Beispiel die Befürwortung einer behutsamen respektvollen einfühlsamen face-to-face-Situation in einer Schwangerenkonfliktberatung.

Recht häufig zu finden sind Verschwörungsrhetoriken

Recht häufig zu finden sind Verschwörungsrhetoriken und Mutmaßungen über geheime Einflussnahmen, zum Beispiel sogenannter ‚linker‘ Kreise auf die EKD, die Deutsche Bischofskonferenz oder auf konkrete Bischöfe, die bisweilen diffamiert werden als „Mietlinge“, die sich einer unchristlichen „Meinungsdiktatur“ anbiederten. Solche Verschwörungsrhetoriken dienen unter anderem dazu, Aussagen, die von der eigenen Meinung abweichen, pauschal ablehnen zu können, indem man sie einer als ‚Feind‘ ausgemachten Gruppe unterstellt, die alle anderen Menschen wie Marionetten in der Hand habe. Auf diese Weise können selbst bischöfliche oder päpstliche Aussagen abgewertet werden bei gleichzeitigem Hochhalten von Hierarchie, Gehorsam und sogenannter ‚Papsttreue‘.

Diese Sprach- und Denkformen von Abwertung, Skandalisierung, Feindseligkeit, Diffamierung, Rigidität, Strafbedürfnis, Verschwörungsdenken entsprechen in allen Punkten denjenigen Denkmustern, die Erich Fromm, Theodor Adorno und andere als typisch für die sogenannte „autoritäre Persönlichkeit“ herausgearbeitet haben. Von der „starren Bindung an Konventionen“ und der „Disposition, in rigiden Kategorien zu denken“ über die „unkritische Unterwerfung unter idealisierte Autoritäten“, die „Tendenz, nach Menschen Ausschau zu halten, die konventionelle Werte mißachten, um sie verurteilen, ablehnen und bestrafen zu können“ (autoritäre Aggression), die „Abwehr des Sensiblen“ (Anti-Intrazeption), die „übertriebene Zurschaustellung von Stärke und Robustheit“, „Destruktivität und Zynismus, allgemeine Feindseligkeit, Diffamierung des Menschlichen“ bis hin zur „übertriebene[n] Beschäftigung mit sexuellen ‚Vorgängen‘“ findet sich alles, was die „F-Skala“ Adornos benannte.[10]

Offenbar kommen in christlichen Medien, die eine Brücke ins politisch rechte Lager schlagen, bevorzugt Menschen zu Wort, deren persönliches autoritäres Einstellungsmuster ihre politischen wie auch religiösen Einstellungen prägt. Bestimmte rigide oder autoritäre religiöse Denkfiguren werden dabei zu zusätzlichen argumentativen Stützen einer bestimmten feindseligen Einstellung zur Welt sowie einer vorurteilig-menschenfeindlichen politischen Grundhaltung. Von den Protagonisten, die durch Vorträge, Veröffentlichungen, Redaktionsarbeit, Artikel, Blogs oder Kommentare öffentlich in Erscheinung treten und deren Sprach- und Argumentationsstile daher analysiert werden können, ist die Leserschaft zu unterscheiden, die auch Personen umfasst, die nicht notwendigerweise mit der Linie der Redaktion übereinstimmen, sie gegebenenfalls gar nicht als solche wahrnehmen, weil sie die Website nur sporadisch, themenbezogen oder mit einer Haltung der Harmlosigkeit lesen. Auf Seiten der Leserschaft ist deshalb nicht pauschal mit autoritären Persönlichkeitsmerkmalen zu rechnen.

Allgemeinmenschliche Versuchungen

Die soeben aufgezeigten Parallelen könnten dazu verführen, allein bestimmte rigide Persönlichkeitsstrukturen für problematische Einstellungen und Verhaltensweisen verantwortlich zu machen und Menschen mit diesen Persönlichkeitsstrukturen zu pathologisieren. Meine Vermutung ist jedoch, dass kein Mensch per se immun ist gegen die Versuchung, komplexe, unübersichtliche und daher anstrengende Lebensrealitäten durch Vereindeutigungen und das Ausblenden von Ambivalenzen zu vereinfachen. Eher gehört diese Tendenz zur Vereindeutigung zur Grundausstattung unserer Überlebensstrategien, ist daher selbst ambivalent und bedarf nicht der ‚Ausmerzung‘, sondern der Kultivierung und des gesunden Ausgleichs durch eine sie ausbalancierende „Schwestertugend“[11].

Daher wäre es mehr als sinnvoll, nun auch allgemeinmenschliche Sehnsüchte zu besprechen, die auch Menschen ohne rigide Frömmigkeitsstile anfällig machen können für ‚totalitäre Versuchungen‘. Zu nennen wären im Anschluss an Beobachtungen von Rainer Bucher (neben der Versuchung eines „theologischen Totalitarismus“) etwa die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Kränkungslinderung, nach dem „heroischen“ Leben;[12] mit Stefan von Hoyningen-Huene erwähne ich auch die allgemeinmenschliche Neigung zur Idealisierung und Romantisierung der Vergangenheit.[13] Doch mit Blick auf meine Leserschaft komme ich zum Schluss.

[1] Exemplarisch: Artikel „Der jakobinische ‚Geist des Konzils“ auf www.kreuz-net.at/index.php?id=266.

[2] Eva Groß/Andreas Hövermann, Marktförmiger Extremismus – ein Phänomen der Mitte? in: Andreas Zick/Anna Klein (Hg.), Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Bonn 2014, 102-118, www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_14/FragileMitte-FeindseligeZustaende.pdf.

[3] Stephan Goertz, Autonomie kontrovers. Die katholische Kirche und das Moralprinzip der freien Selbstbestimmung, in: ders./Magnus Striet (Hg.), Nach dem Gesetz Gottes. Autonomie als christliches Prinzip. Freiburg 2014, 151-197, 192.

[4] Vgl. Beate Küpper/Andreas Zick, Religiosität und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Ergebnisse der GMF-Studien des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, in: Strube, Herausforderung (Anm. 1) 48-63.

[5] Uwe Gerber, Fundamentalismen in Europa. Streit um die Deutungshoheit in Religion, Politik, Ökonomie und Medien, Frankfurt a.M. 2015.

[6] Vgl. z.B. Iman Attia/Alexander Häusler/Yasemin Shooman, Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand. Münster 2014.

[7] Vgl. Esther Lehnert/Heike Radvan, Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis. Analysen und Handlungsstrategien, 24-27, www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/4-2.pdf.

[8] Uwe Gerber, Vereindeutigen und Fundamentalisieren als theologische Probleme, in: Strube, Herausforderung, 113-128, 114.

[9] Rainer Bucher, Hitlers Theologie, Würzburg 2008, 168f.

[10] Vgl. Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt 1995, 45. – In Modifikation der frühen Studien wird heute teilweise dynamischer und mit Blick auf Interaktionen von „autoritären Reaktionen“ gesprochen, vgl. Detlef Oesterreich, Flucht in die Sicherheit. Zur Theorie des Autoritarismus und der autoritären Reaktion. Opladen 1996; Susanne Rippl (Hg.), Autoritarismus. Kontroversen und Ansätze der aktuellen Autoritarismusforschung. Opladen 2000.

[11] Vgl. Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden 2, Reinbek bei Hamburg 1989.

[12] Bucher, Hitler, 157-173.

[13] Stefan von Hoyningen-Huene, Religiosität bei rechtsextrem orientierten Jugendlichen, Münster 2001.

3. Was tun? Eigene Impulse

Die ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit dargestellten Anschlussmöglichkeiten führen zur Frage nach Konsequenzen und Gegenstrategien, für die hier nur erste Impulse gegeben werden können.

Ein erster wichtiger Schritt ist bereits getan, wenn über bürgerliche Erscheinungsweisen, rechte Strategien (Mimikry, Querfrontstrategie usw.), Vernetzungen und das Bilden von Scharnieren in christliche Milieus informiert wird, sodass die unbemerkte Unterwanderung christlicher Gruppen durch rechte Ideologien erschwert wird. Für konservative christliche wie bürgerliche Personenkreise stellt sich die Aufgabe einer klaren Abgrenzung und Grenzbestimmung: Worin und wodurch unterscheidet sich ihr berechtigter Konservativismus innerhalb des demokratischen Meinungsspektrums von extrem rechten Einstellungen? Für alle Demokraten gilt die Frage: Was ist zu tun und zu beachten, damit sich klare Werthaltungen nicht mit menschenfeindlichen Einstellungen Andersdenkenden gegenüber paaren?

Schon allein das Verstehen von Veränderungen reduziert die Angst vor ihnen

Für Theologien und Kirchen ergibt sich die Aufgabe, die wertebezogenen Paradigmenwechsel, die sich in Gesellschaft und Gottesvolk vollziehen, differenziert und wertschätzend wahrzunehmen und sie insbesondere konservativen Gläubigen verstehbar zu machen, denn schon allein das Verstehen von Veränderungen reduziert die Angst vor ihnen und damit auch die Anfälligkeit für Idealisierungen des Vergangenen und für Ideologien. Es gilt, die Gegenwart in ihrer Ambivalenz und mit allem Kritikwürdigen dennoch auch als Begegnungsraum mit Gott und Resonanzraum Gottes theologisch wahrzunehmen, statt gesellschaftliche Veränderungen einseitig nur als fortschreitende Dekadenz zu verurteilen.

Im erst noch zu schaffenden größeren Kontext einer Konzeption von Kirche, die wertschätzend-integrativ und theologisch fundiert (und damit gerade nicht ‚gleichgültig‘ oder ‚beliebig‘) Raum bietet für unterschiedliche Frömmigkeitsstile, für Reformgruppen, feministische und Befreiungstheologien, bildlose Meditation und anderes mehr, ist dann auch zu erarbeiten, wie konstruktiv, integrativ und wertschätzend mit konservativen – nicht mit rechten! – Positionen und Personen umgegangen werden kann, – freilich ohne sich von diesen, einer kleinen Minderheit, dominieren zu lassen.

Die Bedeutung des Zweiten Vatikanums

Eine wichtige Konsequenz wird in weiten Teilen der katholischen Kirche täglich gelebt und verdient doch mehr Beachtung: Die Wertschätzung des Zweiten Vatikanums, seiner demokratischen Beratungs- und Beschlussformen, seines Mutes zu Schuldeingeständnis und Umkehr, seiner impulsgebenden Dokumente, die vor allem in Ökumene und Interreligiösem Dialog Früchte trugen und ein ganz neues theologisches Verständnis von der Bedeutung des Judentums für das Christentum initialisierten. Gegen Tendenzen, Frömmigkeit an der Massivität einer Abgrenzung von der Mitwelt zu messen, ist sein dialogbejahender Impuls stark zu machen. Die im Zweiten Vatikanum erfolgte theologische Würdigung demokratischer Kommunikationsformen muss auch in innerkirchlichen Debatten und im kirchlichen Alltag erlebbar werden.

Aushalten von Spannungen

Damit die durchaus wünschenswerte Überzeugung von der „Richtigkeit“, das heißt Tragfähigkeit des eigenen Glaubensweges nicht zu feindseligen Abwehrhaltungen gegen Andersgläubige führt, bedarf es der Fähigkeit zur Selbstrelativierung, zum Aushalten von Ambivalenzen, Paradoxien und Spannungen und zum konstruktiven Austragen von Konflikten[1]. Ebenso bedarf es der Fähigkeit bzw. des Bemühens, die Unverfügbarkeit Gottes anzuerkennen und sie emotional auszuhalten; der inneren Freiheit, mit Gott zu ringen, zu zweifeln, auch auf Distanz zu ihm gehen und all dies als Teil des eigenen Glaubenslebens zu begreifen statt als Unglaube, der um alles in der Welt vermieden werden muss. Daher gilt es, all diese notwendigen Fähigkeiten auch theologisch und kirchlich zu würdigen, sie in kirchlichen Zusammenhängen immer wieder einzuüben sowie in kirchlichen Räumen die behutsame Bearbeitung heikler und kontroverser Themen und das konstruktive Streiten zu ermöglichen.

Kirche kann psychische Lern- und Reifungsprozesse in ihren Räumen ermöglichen und fördern

Kirche kann psychische Lern- und Reifungsprozesse in ihren Räumen ermöglichen und fördern – und tut es längst, etwa im Rahmen persönlichkeitsorientierter Erwachsenenbildung. Nicht nur, aber auch, weil psychische Reifungsprozesse notwendiger Bestandteil spiritueller Reifung sind, gehören persönlichkeitsorientierte Bildungsarbeit und die Schaffung der Freiräume, derer sie bedarf, zu den Kernaufgaben der Kirche(n).

Unterwegs

Im Hinblick auf rigide Glaubensweisen gilt es, kirchlicherseits ein neues Verständnis und eine Neubewertung von Frömmigkeit zu erarbeiten. Es geht nicht an, eine besonders ausgeprägte Rigidität als Ausdruck besonders großer Frömmigkeit positiv zu bewerten, Menschen mit einem tiefen gelassenen Gottvertrauen dagegen der ‚Lauheit‘ zu bezichtigen, weil sie ihre Frömmigkeit ohne Schärfe und Aggressivität gegen andere leben. Hinter einer autoritären und verletzenden Persönlichkeit kann durchaus eine zutiefst verletzte Persönlichkeit vermutet werden, und dies sollte im unmittelbaren seelsorglichen Umgang mit einer solchen Person auch bedacht werden. Dennoch muss ihrem destruktiven Handeln anderen gegenüber unmissverständlich Einhalt geboten werden. Destruktive Haltungen dürfen nicht das Handeln bzw. die Lehre der Kirche dominieren.

Im Hinblick auf rigide Glaubensweisen gilt es, kirchlicherseits ein neues Verständnis und eine Neubewertung von Frömmigkeit zu erarbeiten.

Theologisch geht es darum, die Kontingenz und Ambivalenz der Schöpfung klar aussagen und zugleich wertschätzen zu lernen. Es braucht Theologien der Unverfügbarkeit Gottes ebenso wie Theologien eines annehmenden Umgangs mit Unzulänglichkeit, Schwäche und Schuld. Moraltheologisch bedarf es einer Umkehr, die das Tasten und Suchen der Menschen nach einem guten Weg zu würdigen weiß – in der Einsicht, als Kirche und Gottesvolk selbst suchend und tastend unterwegs zu sein.

Weiterführende Literatur

Sonja Angelika Strube (Hg.), Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie, Freiburg 2015.

[1] Uwe Gerber, Vereindeutigen und Fundamentalisieren als theologische Probleme, in: Strube, Herausforderung (Anm. 1) 113-128, 114.