Schwarz und Deutsch:
Zur Geschichte einer ignoranten Gegenwartsgesellschaft

Rassismus

Publiziert: 2015

Vortrag gehalten auf der Tagung „Rassisten sind immer die Anderen. Über Verstrickung und Handlungsmöglichkeit“ vom 13. bis 15. März 2015 in der Evangelischen Bildungstagungsstätte auf Schwanenwerder

Einleitung

Das gewaltsame Eindringen in andere Lebenswelten. Ausbeuterische Aggression, die das Leben der Einwohner veränderte, aber auch das der Eindringlinge. Mythen, Ideologien und Vorstellungen, die die Ausbeutung der so genannten „Anderen“ rechtfertigte.

Afrika: 54 Länder auf etwa 22 Prozent der Landfläche der Erde. Doch erscheinen wenige Weltgegenden von Deutschland aus so weit entfernt: Für Tiere das Paradies, für Menschen die Hölle. Armut, Hunger, Seuchen, Staatszerfall und Kriege – wenig Potentiale. Für viele gilt Afrika als ein homogenes Land. Seit den achtziger Jahren betitelt mit: „Der vergessene Kontinent.“

Dass Deutschland in Afrika einmal Kolonien besaß und ein geschlossenes Kolonialreich anstrebte, wurde aus dem nationalen Gedächtnis weitgehend verdrängt. Dabei war die imperialistische Expansion für Generationen von Deutschen eine nationale Schicksalsfrage. Es ging um den so genannten „Platz an der Sonne“. Doch wer sich umschaut, wird sehen und hören wie uns diese Vergangenheit in unserer alltäglichen Sprache, in Bildern und in den Großstädten Deutschlands gespiegelt wird. Zum Beispiel in Berlin: Der einstigen Hauptstadt des deutschen Kolonialreiches.

Dorthin kamen geraubte Güter, Kunstschätze und Menschen aus den Kolonien. Manche kamen freiwillig als Diplomaten oder Händler. Die meisten wurden als Zwangsarbeiter, „Zooattraktionen“ und als „Kriegsbeute“ verschleppt. „Kolonie Togo“ heißt heute noch eine Kleingartensiedlung, die inmitten des Afrikanischen Viertels im Wedding liegt. Lüderitzstraße oder Nachtigalplatz: Es sind Straßennamen, die vermeintliche „Entdecker“ ehren, die im Auftrag des Deutschen Reiches gemordet und geplündert haben.

Schwarze Deutsche Geschichte besitzt wie jede andere Gemeinschaftsgeschichte eine eigene Chronologie. Es ist wichtig, ihre Eckdaten während der deutschen Kolonialzeit (1884-1918), der Weimarer Republik (1918-33) und der Nationalsozialismus 1933-45 zu verbinden, um das heute zu verstehen. Dazu kommt, dass die Erfahrungen Schwarzer Menschen in dieser Zeit facettenreich und zum Teil widersprüchlich sind. Neben dauerhaft hier lebenden Afro-Deutschen und afrikanischen Migranten_innen gab es auch Afro-Europäer_innen und Afro-Amerikaner_innen. Ihre jeweilige Herkunftsgeschichte sollte später Konsequenzen für den Charakter der Verfolgung im Nationalsozialismus haben. Denn dieser war sowohl von rassenpolitischen Vorgaben als auch von außenpolitischen Interessen bestimmt.

Das Jahr 1884

Afrika gilt als letzter „unerschlossener“ Kontinent als vergleichsweise billig, um risikoarm erobert und friedlich aufgeteilt werden zu können. Auf Einladung von Kanzler Bismarck treffen sich die Diplomaten der europäischen Kolonialmächte im Reichskanzlerpalais zur „Berliner Konferenz“, um den „scramble for africa“, zu Deutsch die „Balgerei um Afrika“ zu beenden. Unter Verwendung einer meterhohen Afrikakarte wird der Kontinent unter Europäern aufgeteilt. Zusammengehörige Völker willkürlich über verschiedene „Staaten“ verteilt.

Die Gründe, Kolonien zu erwerben sind nicht nur strategischer, weltpolitischer oder wirtschaftlicher Natur. Das Vorhaben ist von Exotik, Erotik und Fernweh, von Reiseberichten und Abenteuerromanen geschürt. Mit „deutschen Schutzbriefen“ ausgestattet, formieren Abenteuer suchenden Händler wie Adolf Lüderitz oder Eroberer wie Carl Peters das deutsche Kolonialreich. Peters erschließt für Deutschland mit Waffengewalt den Kilimandscharo und empfiehlt dem Auswärtigen Amt, die dort ansässigen Warombo „auszurotten wie die Rothäute Amerikas, um ihr breites und fruchtbares Gebiet der deutschen Kultivation zu gewinnen“[1].

Peters hielt er nicht viel von Schwarzen Menschen. Für den so genannten Herrenmensch  entsprangen sie einer „Sklavennatur“, der nur ein „männlicher selbstbewusster Wille“ imponiere. Während des Nationalsozialismus galt er als einer der „Großen Deutschen“, dessen Leben aufwendig verfilmt wird. Bis in die 80er Jahre ehrt ihn eine eigene Straße in Berlin, die es heute noch namentlich gibt: Die Petersallee.

Das Jahr 1904

Deutsche Siedler besetzen das Land der Herero und Nama im heutigen Namibia, die sie abfällig als „Hottentotten“ bezeichnen[2]. 1904 erklärt Herero-Führer Samuel Maharero den Eindringlingen den Krieg, weil sie sich nicht an Abmachungen halten. General Lothar von Trotha spekuliert auf eine „rein weiße“ Kolonie. So wendet sich mit der Schlacht am Waterberg der Aufstand in einen Vernichtungsfeldzug. Trotha lässt zehntausende Herero in die wasserlose Omaheke-Wüste treiben und verdursten. Andere werden in Konzentrationslager gebracht und sterben dort an Seuchen, Unterernährung und den Folgen der Zwangsarbeit. Trotas Feldzug enthält Formen der späteren Praxis der Eroberung von „Lebensraum“ und „Vernichtungskrieg“, die wir später im Zweiten Weltkrieg wieder erleben sollten. Rund 80 Prozent der 80 000 Herero und zehn Prozent der 20 000 Nama sterben. Viele Historiker sprechen heute vom ersten Genozid des 20. Jahrhunderts.

Das Jahr 1915

Nach Ausbruch des ersten Weltkrieges dringen Franzosen und Briten in die deutschen Kolonien ein. Mit einer etwa 5000 Mann starken Schutztruppe vorwiegend schwarzer Askari bewegte sich General Paul Emil von LettowVorbeck in Deutsch-Ostafrika jahrelang im Zickzack-Kurs durch Ostafrika, um das deutsche Gebiet zu verteidigen. Am Ende verliert Deutschland seine Kolonien: Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Togo. Sie werden laut Versailler Vertrag Mandatsgebiete des Völkerbundes.

Damit endet die deutsche Kolonialzeit als Realgeschichte, besteht jedoch als Phantasie- und Projektionsgeschichte weiter. Bei vielen Deutschen herrschte eine Art von „Phantomschmerz“. Denn im Zeitalter des Imperialismus gilt eine weltweite Erschließung von Raum und Ressourcen als notwendig. So nährt die Koloniallobby bis in die frühen 40er Jahre die Hoffnung, dass die Kolonien wieder in Besitz genommen werden könnten. Beachtliche Geldbeträge fließen in die deutsche Kolonialforschung und Pläne für eine erneute Inbesitznahme. Und unzählige Freiwillige melden sich für einen neuen Einsatz auf dem südlichen Kontinent. „Quax in Afrika“, einer der letzten Spielfilme in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, der jedoch nicht mehr uraufgeführt wird, lässt Heinz Rühmann 1945 noch einmal nach Afrika fliegen. Viele sehe auch danach den Kontinent noch als „Europas Gemeinschaftsaufgabe Nr. 1“[3].

[1]  http://afrikaimwedding.jimdo.com/was-im-wedding/umbenennung-der-stra%C3%9Fennamen-im-afrikanischen-viertel/

[2]  http://www.tagesspiegel.de/wissen/genozid-in-afrika-ermordet-praepariert-und-erforscht/4665882.html
http://www.deutschlandfunk.de/man-nannte-sie-hottentotten.724.de.html?dram:article_id=99992

[3]  Über alles in der Welt: deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, Dirk van Laak, 2005, Seite 167

Wie Schwarze Menschen in Deutschland gelebt haben

Jahrelang waren Schwarze Menschen in Deutschland kein Gegenstand der historischen Forschung. Dabei ist ihre Geschichte über 130 Jahre alt. Erst spät haben sich Historiker_innen auf die Suche nach den Zeugnissen ihres Lebens gemacht und Skizzen afrikanischen Zuwanderung und ihrer Lebensbedingungen in Deutschland über mehrere historische Perioden zu entwerfen[1].

Die deutschen Kolonien bildete die Voraussetzung für die erstmals in größerer Zahl stattfindenden Einreisen von Afrikanern nach Deutschland. Es brauchte einheimische Fachkräften für die Kolonialverwaltung auf dem Kontinent, so dass viele junge Afrikanerinnen und Afrikaner zur Ausbildung nach Deutschland kamen. Die Mehrzahl wurde an Missions- und Kolonialschulen als Handwerker, zu einheimischen Facharbeitern für die Arbeit in den Kolonien ausgebildet. Wieder andere reisten auf Schiffen der deutschen Afrikalinien als Koch, Stewards oder Heizer nach Deutschland ein. Häufig wurden sie als Sprachgehilfen für afrikanische Sprachen bei den deutschen Afrikaforschern und der Missionsarbeit eingesetzt oder sie kamen als ehemalige Angehörige der deutschen Schutztruppen, den Askari, nach Deutschland. Außerdem gab es noch die große Gruppe meist junge Afrikaner, die von deutschen Kaufleuten oder Reisenden als Hilfen für den Haushalt oder als sentimentales ‚Mitbringsel‘, mit nach Deutschland zurückgebracht wurden.
Die so genannten „Landsleute“ kamen und viele blieben für den Rest ihres Lebens in Deutschland, arbeiteten dort und gründeten Familien. Einige von ihnen brachten sich auch auf politischer Ebene in die deutsche Gesellschaft ein. In den letzten Jahren der deutschen Kolonialherrschaft hatten diejenigen, die noch Verbindungen zu ihren Heimatländern hatten mit Petitionen beim deutschen Reichstag versucht, die Öffentlichkeit über die Zustände in den Kolonien zu informieren. Eine Gruppe politisch links orientierter Afrikaner rief den deutschen Zweig einer Menschenrechtsorganisation ins Leben, deren Hauptsitz sich in Paris befand. All diese Interventionen markieren die Geschichte und Meilensteine der so genannten älteren Schwarzen Bewegung in Deutschland, die etwa bis nach dem Zweiten Weltkrieg reicht[2].
Gleichzeitig wendete sich deutsche Gesellschaft nach der Besatzungszeit des Ersten Weltkrieges immer stärker gegen sie. So sahen Deutsche Nationalisten ihr Land 1920 selbst zu einer Kolonie herabgewürdigt. Sie werteten die Schwarzen Soldaten der französischen Alliierten als eine schwere Gefahr für die so genannte „weiße Rasse“. Am heftigsten reagierten die völkischen Rassisten unter Adolf Hitler. Ihre Kampagne hatte fatale Folgen.

[1]  http://www.homestory-deutschland.de

[2]  Schwarze Europäer im Alten Reich: Handel, Migration, Hof, Anne Kuhlmann-Smirnov, 2013

Die Geschichte Schwarzer Menschen während des Nationalsozialismus

Die Geschichte könnte einfach dargestellt werden: als Geschichte der damaligen Politik, die eine physische Vernichtung zur Folge hatte. Doch würde das den vielschichtigen Lebenswegen von Kolonialmigranten, so genannten Rheinlandkindern oder Einzelfamilien nicht gerecht werden. Es sind vielfältige Geschichten zum Beispiel über Afrikaner, die eingebürgerte Deutsche waren und durch die Verschärfung der rechtlichen Situation – nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze 1935 ihre Pässe verloren, die meist durch staatenlose Ausweise ersetzt wurden. So wurde das Leben für Schwarze Menschen in Deutschland zwischen augenscheinlicher Sichtbarkeit und dem Zwang sich unsichtbar machen zu müssen zu einem Balanceakt.
So erscheint die Politik des NS-Staates und seiner Behörden gegenüber Schwarzen Menschen in Deutschland beim ersten Ansehen überaus widersprüchlich und irrational. Eine der wenigen Nischen, in der viele von ihnen ihr Überleben sichern konnten, waren entwürdigende Auftritte in so genannten „Völkerschauen“ und Kolonialfilmen. Die Landsleute wurden zu „lebendem Kapital“ und traten in „Deutschen Afrikaschauen“ als ehemalige koloniale Untertanen auf, um an die einstige deutsche Größe zu erinnern. Dieser kulturpolitische Teil der nationalsozialistischen Politik eines „Kolonialismus ohne Kolonien“ erklärt die abwartende Haltung der offiziellen Behörden bis zu Beginn der Vierzigerjahre. Dennoch wurden nicht wenige Schwarze Menschen auch zur Zwangsarbeit verschleppt und in KZs interniert. Als Grund dienten oft Ehen oder Partnerschaften zu weißen Deutschen oder ein vermuteter Sabotageakt.
Während die Behandlung der Kolonialmigranten sich uneinheitlich gestaltete, entlud sich über die auf bis 800 geschätzten afro- und asiatisch-deutschen Kinder der Rheinlandbesetzung die „Schwarze Schmach“ eine beispiellose Hetzkampagne, die auch ihre Nachkommen traf[1]. Bereits 1923 begannen Regierungsstellen mit der Erfassung der so genannten Rheinlandkinder. Sie wurden abfällig als „Rheinlandbastarde“ diffamiert. Da eine legale Sterilisierung von ihnen auf der Basis des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nicht möglich war, wurden sie ab 1937 illegal zwangssterilisiert.[2]
Die Geschichte Schwarzer Menschen in Konzentrationslagern ist aufgrund der Quellenlage schwer rekonstruierbar. Die Schwierigkeiten bestehen unter anderem darin, dass nur in einigen Häftlingszugangsakten die Nationalität dokumentiert bzw. die Häftlinge unter „asozial“ aufgeführt wurden. Aus bislang gesichteten Häftlingslisten ist zudem bekannt, dass der Einweisungsgrund nicht immer angegeben wurde. Insbesondere bei Männern und Frauen mit deutschen Namen ist es schwer möglich, ihre Schwarze Deutsche Identität nachzuweisen. In der historischen Forschung schätzt man die Zahl der in KZs ermordeten Menschen afrikanischer Herkunft auf 2.000. Sie berücksichtigt jedoch nicht die zahlreichen Opfer der in Kriegsgefangen-Lagern inhaftierten Afro-Amerikaner sowie der afrikanischen Soldaten der französischen, belgischen und britischen Kolonialtruppen. Weitere Recherchen über schwarze Menschen im Nationalsozialismus sind notwendig[3].

[1]  In „Mein Kampf beschrieb Adolf Hitler die französische Stationierung von „N-Horden“ im Rheinland als eine gezielte Strategie von „Juden“, durch die „dadurch zwangsläufig eintretende Bastardierung die ihnen verhasste weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe zu stürzen und selber zu ihren Herren aufzusteigen“. Siehe auch Wolfe M. Schmokel, Der Traum vom Reich, Der deutsche Kolonialismus zwischen 1919 und 1945. Gütersloh 1967, S. 30

[2]  http://www.rheinland-movie.com/

[3]  http://www.kantara.de/2009/06/04/ein-afro-deutscher-im-kz-buchenwald-barack-obama/
Serge Bilé: „Das schwarze Blut meiner Brüder. Vergessene Opfer des Nationalsozialismus“. Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Bettina Runge, Claassen Verlag, Berlin 2006, 159 Seiten, 18 Euro

Und heute? Über einen fehlenden postkolonialen Diskurs

So gäbe es noch viel mehr aus 130 Jahre Zeitgeschichte Schwarzer Menschen in Deutschland zu erzählen, doch sollte dieser Exkurs zumindest einen Einblick in einen Teil unserer Geschichte liefern, über den im Mainstream wenig Wissen herrscht: Der in der deutschen Erinnerungspolitik gerne ausgeblendet, verniedlicht, als Beitrag zur Modernisierung der Länder des Südens positiv erinnert oder als „Traum von einem Weltreich der Deutschen“ nostalgisch verklärt wird. Fast immer wird die Geschichte des deutschen Kolonialismus als eine gedacht, die vom Rest der „deutschen Geschichte“ abgetrennt verlaufen ist – als gäbe es zwischen Kolonialismus und Populärkultur, Reichstagsdebatten oder Wissenschaften keinen Zusammenhang.
So zeigt sich heute noch in unzähligen Museen ethnologischer oder so genannter völkerkundlicher Art die Sammelwut der deutschen Kolonisatoren, die nicht als solche gekennzeichnet wird. Die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin beispielsweise versammelt beeindruckende Exponate zur „Geschichte von Deutschen und Europäern“. Die Geschichte des deutschen Kolonialismus ist darin allerdings fast unsichtbar: Im umfangreichen Abschnitt, der sich dem deutschen Kaiserreich widmet, findet sie lediglich in einer versteckten Vitrine Erwähnung[1].
Aktuell stellt das Humboldt-Forum in Berlin das mutmaßlich größte aktuelle Projekt der deutschen Kulturpolitik dar. Ein Showroom in einer glänzenden Ausstellungsfläche von Raubkunst vor allem aus Afrika. Kritiker fragen: Welche Kultur da inszeniert und welche womöglich abgedrängt wird?  Gegner fordern einen Baustopp[2]. Nach ihrer Ansicht müssten viele Objekte, die im künftigen Schloss ausgestellt werden sollen, ihren ursprünglichen Eigentümern zurückgegeben werden. Es reicht ihnen nicht, wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz versichert, dass die problematische Entstehung der Sammlung thematisiert wird.  Das ist zu wenig in einer Gesellschaft, die nicht mehr zu über 90 Prozent aus Nachkommen der damaligen Kolonisatoren besteht, sondern auch aus denen der Kolonisierten.
Doch erweisen sich Debatten über die Verantwortung eines kolonialen Erbes in Deutschland generell als schwierig. Als beispielsweise in den Achtzigerjahren Kritik an der Namensgebung der Petersallee laut wurde, handelte die zuständige Verwaltung zwar: Die Straße wurde allerdings nicht umbenannt, sondern umgewidmet. Sie heißt immer noch Petersallee – soll jetzt aber an den Stadtverordneten Prof. Dr. Hans Peters erinnern.
Eine andere große Debatte verlief 2011. Als nach über 100 Jahren die Charité in Berlin dem Land Namibia Schädel von Opfern des deutschen Genozids an den Herero und Nama zurückgab. Vier Frauen, 16 Männer – darunter ein Kind. Elf von ihnen waren Nama, neun Herero, das konnten die Forscher an den abgeschliffenen Zähnen feststellen. 18 der Toten sind im Konzentrationslager der Haifischinsel Lüderitz umgekommen.
Die Wissenschaft und Forschung hat sich damit schuldig gemacht … habe sich der Politik bedient und an dem „kranken Mord“ mitgewirkt, hieß es von Seiten der Charité, die sich entschuldigt hat. Die Bundesregierung schwieg und einzig die damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper kam zum Treffen mit der 60-köpfige Delegation aus Namibia. Ein diplomatischer Eklat. Pieper ging vorzeitig ohne Verabschiedung[3].
So wird die Niederschlagung des Aufstandes der Herero und Nama von der Bundesregierung offiziell nicht als Völkermord bewertet. Die UN-Konvention über Verhütung und Bestrafung des Völkermordes aus dem Jahre 1948 sei für die Bundesrepublik erst 1955 in Kraft getreten. Rückwirkende Bewertungen würden nicht vorgenommen. Gleichwohl habe sich die Bundesrepublik wiederholt zur „historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands“ gegenüber dem heutigen Namibia bekannt, schreibt sie in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion[4].

[1]  http://www.kolonialismusimkasten.de/

[2]  http://www.no-humboldt21.de/

[3]  http://www.tagesspiegel.de/politik/ausgebuht-pieper-sorgt-bei-schaedeluebergabe-an-namibia-fuer-eklat/4678962.html

[4]  http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710481.pdf

Wo die Aufarbeitung fehlt, können Bilder und Vorstellungsweisen besser weiter leben – ungeahndet und subtil

Zusammengefasst erfand Europa sein eigenes Afrika, um das politische Konzept der Sklaverei und des Kolonialismus moralisch „zu legitimieren“. Der Kontinent wurde als das homogene und unterlegene „Andere“ definiert, dass der „Zivilisierung“ bedarf. In diesem Prozess war auch Sprache ein wichtiges Kriterium.
Afrikanische Eigenbezeichnungen wurden ignoriert und neue Begriffe erfunden. Aus Völkern wurden primitive Stämme. Aus Herrscherinnen und Herrschern Häuptlinge gemacht, was die Macht von Frauen völlig ausblendete. Der Bezeichnung „Schwarzafrika“ erfolgte auf die Unterteilung Afrikas in einen „weißen“ Norden, dem der Westen ein gewisses Maß an Kultur und Geschichte zubilligte, und einem subsaharischem Afrika ohne jede Geschichte und Kultur. Bis heute gilt Schwarzafrika als eine homogene Einheit. Eine ähnliche Dekonstruktion kann man bei dem Begriff des „Schwarzafrikaners“ vornehmen. Die Vokabel konstruiert ein Afrika entlang einer weißen Ideologie. Als würde es ein Schwarzes und ein nicht-Schwarzes Afrika geben. Das „Andere“ – der Schwarzafrikaner wird markiert. Er ist keiner von uns.
Wer sich die Afrikaterminologie anschaut wird noch andere Neologismen finden, die sich auf Chaos, Unordnung und Regellosigkeit beziehen. Begriffen wie „Busch“ oder „Wir sind hier doch nicht bei den Hottentotten“. Oder sie bauen auf der überholten Annahme auf, dass Menschen in „Rassen“ unterteilt werden könnten. Dazu gehören etwa Termini wie das N-Wort, „Schwarzafrika“, oder „Mischling“. Viele Wörter unterstellen eine ausgeprägte Tiermetaphorik zwischen Schwarzen und Tieren. „Mulatte“[1] etwa geht auf Portugiesisch „mulo“ (Maulesel) zurück. Ein Tier, das den „Bastarden“ gezählt wird. In der Tier- und Pflanzenwelt gelten diese als nicht fortpflanzungsfähig. Eben dies wurde auch Kindern aus Beziehungen von Schwarzen und Weißen unterstellt.
Die Art der Stereotypisierung beschreibt die Professorin Grada Kilomba als so genannte „Dezivilisierung“. Schwarze Menschen verkörperten dabei Gewalt und Strukturlosigkeit. Weiße Menschen wiederum gelten als kontrolliert, friedliebend und gewaltlos[2].

„Im Titel müssen Sie immer Afrika oder Finsternis oder Safari unterbringen. Im Untertitel können Worte wie Sansibar und Massai vorkommen oder Zulu, Sambesi, Kongo… Nützlich sind auch die Begriffe Guerilla, zeitlos, ursprünglich, Stamm…Auf einem einschlägigen Buchcover sollte nie ein ordentlich angezogener afrikanischer Mann oder Frau zu sehen sein, es sei denn sie oder er hat den Nobelpreis gewonnen. Eine AK-47, hervorstehende Rippen, nackte Brüste: Verwenden Sie dies. Wenn doch ein/e Afrikaner/in sein muss, dann nehmen Sie eine/n in Massai, Zulu oder Dogon-Tracht.“ 

Was uns dieser Auszug sagt:
Wenn ein Klischee erst einmal da ist, ist es schwer, es wieder wegzubekommen.
Binyavanga Wainan beschreibt in seinem Text gängige Klischees, die die westliche Berichterstattung aber auch Filme und Bücher und Medien über Afrika prägen. Goldkettchenbehangenen Zuhälter, Dienstboten, lustigen Dummköpfe ohne Persönlichkeit oder Drogendealer. In den selteneren Fällen sind Schwarze Menschen intellektuell und im Fernsehen nur in Ausnahmefällen als Anwälte, oder Lehrer zu sehen. Gerne werden sie auch sexualisiert dargestellt. Es ist ein Exotismus, der als eine Form von Rassismus gilt, der Schwarze Menschen „positiv“ kategorisieren soll: Zum Beispiel damit, dass sie von Natur aus tanzen oder singen könnten, ausgelassen oder temperamentvoll seien.
All das zeigt: Dass der koloniale Afrikadiskurs sich nachhaltig in unsere Gesellschaft eingeschrieben hat. Viele Begriffe und Bilder sind bis heute gebräuchlich. Oft werden sie für legitim  erklärt, weil sie historisch gewachsen oder „nicht so schlimm“ seien. Die „andere“ Seite sei einfach nur zu empfindlich. So ist besonders auch die Wahrnehmung in der weiß-deutschen Kultur- und Medienlandschaft von einer beharrlichen Deutungshoheit über das geprägt, was als rassistische gilt und was nicht. Nicht sein kann, was nicht so gemeint ist. Dieser Argumentation begegnen Schwarze Menschen und People of colour immer wieder, wenn sie versuchen auf rassistische Begriffe aufmerksam zu machen. In Deutschland wird nicht gerne über Rassismus und auch nicht gerne über Sprache und Rassismus gesprochen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist auch die mediale Verrenkung, mit der seit 2012 im Mainstream der Fortbestand diskriminierender Begriffe verteidigt wird.

Sie erinnern sich vielleicht? Die Mainstream-Debatte wurde durch ein Interview mit Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und der Entscheidung des Thienemann Verlags ausgelöst, der entschieden hatte, diskriminierende Wörter wie das N-Wort aus Otfried Preußlers „Kleine Hexe“ zu streichen. Zeit-Journalist Ulrich Greiner empörte sich daraufhin, wie man in der menschenfreundlichen Absicht, auf die Gefühle von Minderheiten Rücksicht zu nehmen“ zur „Zensur“ greife. Ob wir auf dem Weg zur Trottelsprache wären, fragte Spiegel-Autor Jan Fleischauer. Zuletzt machte ARD-Buchmann Denis Scheck in Blackface-Tradition, schwarz angemaltem Gesicht und weißen Handschuhen ganz offen eine Anspielung auf die rassistische Tradition der Minstrel-Shows. Er habe auf die „Absurdität der Diskussion“ mit Mitteln der Satire reagieren wollen, hieß es in einer Erklärung der ARD.

[1]  An dieser Stelle nur einmal ausgeschrieben, um das Wort erkenntlich zu machen – aber es nicht weiter zu reproduzieren.

[2]  https://www.projekte.hu-berlin.de/migrationddr/projekte/namibia/04

Bei der Debatte um Sprache geht es nicht um formelhafte politische Korrektheit, sondern Verantwortung

Sprachanpassungen hat es immer gegeben. Meist und vor allem aus einer geschichtlichen Verantwortung heraus – wie uns die Auseinandersetzung mit Antisemitismus in unserer Sprache zeigt. So zählt auch die Begegnung mit dem N-Wort zu den alltagsrassistischen Erfahrung Schwarzer Menschen, die eine gewaltvolle Geschichte aufweist, die aber will nicht gerne gesehen werden.
Kilomba definiert sie in ihrem Essay „das N-Wort“ als Reinszenierung kolonialer Szenen, die das Gefühl von Unterlegenheit vermitteln. Den meisten dürfte das immerwährende Sterben der „zehn kleinen N.-lein“ noch im Gedächtnis sein. Der Text erschien 1884. Das Jahr, in dem in Berlin die „Kongokonferenz“ über die Aufteilung Afrikas am grünen Tisch entschied.  Zusammen mit dem deutschen Imperialismus prägte sich mit dem N-Wort ein zunehmend herablassender Blick auf Schwarz positionierte Menschen ein, den schon Kant in seinen Vorlesungen 1791 skizzierte:  Sie seien wie Kinder und benötigten Erziehung, zudem hätten „die N. von Afrika […] von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“[1]
So geht es bei der Debatte um Sprache und Rassismus nicht um formelhafte politische Korrektheit, sondern um Respekt und Verantwortung. Denn im Sprachgebrauch schlagen sich nicht nur Werte und Hierarchien einer Gesellschaft nieder; zugleich werden diese auch verfestigt und getragen. Im persönlichen Gespräch mit Einzelnen ergibt sich vielleicht, dass jemand die Bezeichnung „Afrodeutsch“ oder Person of Colour bevorzugt. Auch das ein selbstgewählter Begriffe aus der Schwarzen Bewegung in Deutschland heraus. Interessanterweise haben jedoch viele Menschen ein Problem mit der Bezeichnung „Schwarz“. Nicht selten wird sie mit einem rassistischen Ausdruck oder etwas schlechtem assoziiert. Der Hintergrund dieses Irrglaubens ist simpel. Er ist sozialisiert: Schwarz fahren, Schwarzer Peter. Die Geschichte der bösen Jungen aus dem „Struwwelpeter“, die den kleinen Schwarzen Jungen (den M*) ärgern und zur Strafe ins Tintenfass gesteckt werden, um noch schwärzer zu werden, erklären das Denkmuster.
Die Unterscheidung ging mit einer Politik unterschiedlicher „Wert-Einstufungen“ der Menschen einher, die weiße Menschen als besser und schöner bewerten und sich weltweit bis heute fortsetzt. So gilt auch der Begriff „Farbig“ als die „höfliche“ Form der Aufwertung vom Schwarz-sein und einer Positionierung näher zum Weiß-sein. Ein Begriff, der einen angeblichen Makel beschönigen soll und damit, wie alle anderen Beschreibungen, zu einer rassistischen Farce wird.

[1]  http://www.derbraunemob.info/shared/download/warum_nicht.pdf

Sprache eliminiert Rassismus nicht, aber sie ist ein wichtiger Träger

Aus dem Ersetzen rassistischer Begriffe resultiert keineswegs automatisch auch das Verschwinden rassistischer Auffassungen. Doch zumindest werden sie nicht mehr unreflektiert reproduziert. Wichtig ist aber vor allem auch sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und unsere gemeinsame Geschichte nachzuvollziehen.
Die Geschichte Schwarzer Menschen sichtbar zu machen, die historische Verantwortung, aber auch die Auswirkungen und den damit einhergehenden Rassismus auf Schwarze Menschen damals wie heute zu reflektieren. Diese Aufgabe machen sich seit vielen Jahrzehnten Schwarze Menschen in Deutschland. Der Verein der ISD vertritt sie seit 30 Jahren als namentliche Organisation. Er vertritt ihre Interessen, interveniert bei Fällen von Diskriminierung und bezieht Stellung gegenüber der Öffentlichkeit.
Angeschoben wurde die Bewegung von Schwarzen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost und West aus der Isolation ausbrechen wollten und mussten und dabei nach selbstbestimmten Definitionen ihres Daseins und nach eigenen, ihnen angemessenen Lebensentwürfen suchten. Der Begriff „Schwarze Deutsche“ ebenso „Afro-Deutsch“ sind Eigenbezeichnungen, die in den Anfängen der sich in den 1980er Jahren formierenden Schwarzen Bewegung geprägt wurden. Sie lösten sämtliche bis dato diskriminierenden Bezeichnungen der Mehrheitsgesellschaft ab und erlauben seither die Bezeichnung und Ausformung eines menschenwürdigen (Selbst-)Bildnisses Schwarzer Menschen in Deutschland. Unter dem Namen der ISD sprossen bundesweit lokale Initiativen hervor, die nach und nach ihre Lebenszusammenhänge und ihre Perspektiven  veränderten. Die ISD und ihre Schwesterorganisation ADEFRA (Schwarze Frauen in Deutschland) waren dabei stets eine treibende Kraft[1].
Inzwischen steht die ISD mit ihrem Ansatz in einem bundesweiten Kontext mit vielen Vereinen und Persönlichkeiten zusammen, die ebenfalls die Lebenssituation Schwarzer Menschen und Menschen of colour und Widerstand gegen Rassismus in Deutschland auf ihre Agenda schreiben. Die „rassenideologische“ Begründung, warum Schwarze keine Deutsche sein können stellt dabei nur einen Aspekt dar, der durch das Auslassen der Kolonialgeschichte in der Geschichtsschreibung bis heute unterstützt wird.

[1]  http://isdonline.de/  und http://www.adefra.de/

Schwarz und Deutsch – kein Widerspruch

So können Schwarze Menschen in Deutschland keine Deutschen sein, weil sie in der deutschen Geschichte angeblich nicht vorkamen. Die Aneignung Schwarzer Geschichte in Deutschland ist deshalb ein wesentliches Instrument von Emanzipation der Schwarzen Bewegung. Begleitet wird dieser Prozess von einer Auseinandersetzung um Zugehörigkeit, die in einem demokratisch orientierten Staat nicht nach „völkischen“, sondern rein nach formalen Kriterien definiert werden sollte.
So bin auch ich es gewohnt, dass mich andere permanent einordnen, zuordnen, manchmal bestimmten Bildern unterordnen. Es passiert schnell, weil ich einen Migrations-Vordergrund habe. Nicht nur mein Name – auch meine Optik markieren mich in diesem Land. Weiß, Schwarz, People of Colour. Nicht ohne Grund tauchen diese Kategorien immer wieder auf. Oft ist es schwierig, sie anderen unabhängig von Hautfarbe und Herkunft begreifbar zu machen.
Dass es Menschen gibt, die nur von Schwarz und Weiß als politischen Begriffe sprechen, und mit People of Color ein Begriff für diejenigen nutzen, die sich in beiden vorherigen Kategorien nicht wiederfinden. Alle Begriffe eint, dass sie wichtige Bestandteile des Wissens über Rassismus sind. Wer einen Abend lang die Musik von Bob Marley hört, bekommt eine großartige Lektion über das so genannte Konzept der Critical Whiteness. In seinen Liedern liefert er ein Wissen ab: über Weißsein und über die Performance der damit verbundenen Privilegien. Critical Whiteness ist ein sehr detailliertes, komplexes und auch psychoanalytisches Lesen von Gesellschaft, das sich mit vorherrschenden Normdenken auseinandersetzt.

Mit Bildern der Angst vor „Überfremdung“ wird heute eine modernisierte Form von Rassismus geschürt.  Die Debatten werden von unterschiedlichen Sprechern geführt wird. Progressive Ansätze verschwinden dabei sehr schnell hinter restriktivem „sicherheitspolitischem“ Kalkül. Das hat auch strukturelle Folgen, was sich beispielsweise in der Praxis des Racial Profiling zeigt.
Per Definition werden damit polizeiliche Identitätskontrollen, Verhaftungen und Durchsuchungen von Menschen aufgrund äußerlicher Zuschreibungen ohne konkreten Verdachtsmoment beschrieben.  Schwarze Menschen oder Menschen of colour werden  unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen oder staatsbürgerlichen Status öffentlich unter Generalverdacht gestellt, als Verdächtige markiert und kriminalisiert. In der Forschung gilt der Zusammenhang von Herkunft und Verhaltensweisen und die Zuschreibung von negativen Eigenschaften als ein Grundprinzip rassistischer Logik.
Seit Jahren kritisieren neben der ISD Organisationen wie das Institut für Menschenrechte (DIM) dass verschiedenen gesetzliche Formulierungen und Paragraphen eine diskriminierende Willkür von Polizisten überhaupt erst ermöglichen[1]. Das besondere Problem dabei ist, dass eine Staatsgewalt Stereotype bekräftigt, die in der Bevölkerung ohnehin bestehen. Das Klischee des „afrikanischen Drogendealers“, „des Sinti und Roma Taschenräubers“ oder generell „kriminellen Ausländers“ sind im Mainstream bekannte Bilder. In der Kriminologie werden sie als „zweiter Code“ bezeichnet, als ungeschriebenen Regeln, die von vermeintlichem Alltagswissen aufgeladen sind.

[1]  http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/Studie_Racial_Profiling_Menschenrechtswidrige_Personenkontrollen_nach_Bundespolizeigesetz.pdf

Woher kommt die Furcht vor dem eigenen Verschwinden?

Was ist deutsch, frage ich? Eine Frage, die sich in all diesen Jahren und mehr denn je zuvor heute stellt. In einer Zeit, in der jedes fünfte Kind eine Migrationsgeschichte hat. Woher kommt die Angst vor dem Verlust des Deutsch seins und Furcht vor dem eigenen Verschwinden. Wo es das absolute Deutschsein nie gab. Und die wenigsten Menschen haben keine Migrationsgeschichte in ihrer Familienbiographie.
Es wird Zeit anzuerkennen, dass wir alle Einheimische sind. Und dass, wenn wir hier schon über nationale Zugehörigkeit reden – die Kinder der ersten Generation – auch Deutsche sind und deren Kinder und deren Kinder es auch sein werden. Und dass dieses Deutsch sein mit Teilhabe, Sozialisation und einem Zugehörigkeitsgefühl zu tun haben sollte. Sondern damit, wo man sich zu Hause fühlt.
Ich bin Hadija Haruna, Mensch, Frau, Schwarze Deutsche und Journalistin, Teil der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Mitglied beim Journalistenverband der Neuen Deutschen Medienmacher. Und ich will, dass vor allem die Medien – als die so genannte vierte Macht im Staat – die Dinge endlich beim Namen nennen: Nicht ‚Fremdenfeindlichkeitʼ schreiben oder ‚Ausländerfeindlichkeitʼ. Denn wer ist hier fremd?
Ich bin ein Mensch mit Migrationsgeschichte. Genauer gesagt, mit der meines ghanaisch-deutschen Vaters und meiner deutsch-deutschen Mutter. Das für alle, die mich gerne nach meiner Herkunft befragen wollen. Treffend schrieb es die Autorin Jagoda Marinić in einer Rede zur BAMF-Konferenz „Neue Begriffe für die Einwanderungsgesellschaft“ der Neuen Deutschen Medienmacher.
„Ich möchte mein LebennichtzermürbenimKampfumdieDaseinsberechtigung in diesem Land. Was wir wollen ist selbstbestimmt sein und Gehör finden, damit nicht nur „Deutsche ohne Migrationserfahrung“ über Menschen wie uns sprechen und ihre Maßstäbe anlegen. Uns benennen. Wir sind einheimisch, Nicht Gast. Nicht Deutsche mit Präposition plus Substantiv, nicht Neue Deutsche, nicht Alte Deutsche, sondern Deutsche“

Die selbstbewusste Bewegung der so genannten „Neue Deutschen“ steht symbolhaft für das neue Selbstbewusstsein einer wachsenden Generation. Sie fordern keine Rücksicht auf etwaige kulturelle Missverständnisse, sie wollen schlicht als zugehörig wahrgenommen werden. Sie argumentieren nicht unter ethnischen, sondern thematischen Gesichtspunkten. Ihre Organisation wenden sich an jene, die auf die eine oder andere Art zu verstehen bekommen haben, dass sie in diesem Land zwar etwas beitragen dürfen, Deutschsein aber letztlich eine Kulturtechnik ist, die sich ihnen nie vollends erschließen wird. Diese Menschen und ihre Vereine, die bislang vor allem von außen definiert wurde, haben sich Anfang 2015 erstmals in Berlin getroffen. Es war der erste „Bundeskongress der Neuen Deutschen Organisationen“.

Wann führen wir eine ehrliche Debatte über Rassismus in Deutschland?

Wer Rassismus bekämpfen will, muss sich trauen die bestehenden Verhältnisse offen zu benennen. Wer ihn überwinden will, muss die Vielfalt unserer Gesellschaft als Bereicherung begreifen. Wie lange wird es noch dauern, bis wir in Deutschland eine ehrliche Debatte über Rassismus führen? Und: lassen sich die gängigen Abwehrmechanismen in eine breite gesellschaftliche Reflexion verwandeln? Dazu muss unsere Gesellschaft den Gegnern und Opfern von Rassismus Stimme und Gehör verschaffen, ohne sie zu Opfern zu machen. Sie muss sie anerkennen anstatt auszugrenzen.
So wünsche ich mir mehr Menschen, die den Versuch wagen, die bestehenden Machtverhältnisse zu verändern. Sicherlich braucht es für jeden von uns Zeit und sensible und geschützte Räume, sich mit seiner Position auseinanderzusetzen. Es ist für uns alle nicht leicht. Doch wer sich auf diese Auseinandersetzung einlässt, wird begreifen, dass eine kritische Selbstreflexion ohne Selbstgeißelung möglich ist und es nur darum geht den Blick von denjenigen, die Rassismus erfahren, auf das System zu lenken – den Kern des Problems. Es geht mir um einen ehrlichen Diskurs und die Anerkennung unserer gemeinsamen Geschichte.

Zum Abschluss: Worte der Poetin, Autorin, Widerstands-Aktivistin und Mitbegründerin der jüngeren Schwarzen Bewegung May Ayim[1] aus dem Jahre 1990.

Ich werde trotzdem afrikanisch sein []
 auch wenn ihr mich gerne Deutsch haben wollt.

Und werde trotzdem Deutsch sein auch wenn euch meine Schwärze nicht passt [] 
Ich werde noch einen schritt weitergehen bis an den äußersten Rand,[] 
wo meine Schwestern sind, wo meine Brüder stehen, wo unsere Freiheit beginnt
 []

Ich werde noch einen Schritt weitergehen und noch einen Schritt weiter [] 
und wiederkehren, wann ich will, wenn ich will [] 
grenzenlos und unverschämt 
bleiben.

[1]    http://www.orlanda-verlag.de/schwarze-frauen/weitergehen-detail.html
http://missy-magazine.de/2014/05/02/unverschamt-schwarz/

Weitere Quellen & Zur Autorin

Weitere Quellen:

Farbe bekennen – Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, von Katharina Oguntoye, May Ayim, Dagmar Schultz (Hg.), 2012
http://www.adb-sachsen.de/tl_files/adb/pdf/Leitfaden_ADB_Koeln_disfreie_Sprache.pdf http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59371/geschichte

 

 

Zur Autorin

Hadija Haruna-Oelker lebt und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales, Migration und Rassismusforschung. Ihre Redakteurs-Ausbildung hat die Diplom-Politologin an der Berliner Journalistenschule (BJS) absolviert. Sie arbeitet unter anderem für den Hessischen Rundfunk, den Tagesspiegel, die ZEIT und das Fluter Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie ist Preisträgerin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gestifteten KAUSA Medienpreises 2012 und des ARD-Hörfunkpreises Kurt-Magnus 2015. Mehr zu ihrer Person: www.hadija-haruna.de