Leben auf der Grenze
Die Externität christlicher Identität und die Sprachgestalt kirchlicher Gottesrede

Antisemitismus

Artikel erschienen in: Identität. Biblische und theologische Erkundungen (BThS 30), hg.v.Alexander Deeg, Stefan Heuser und Arne Manzeschke, Göttingen 2007, S. 277-300

Krisenphänomen Identität – eine Umschau

Nach Identität fragt man, wenn diese unsicher wird oder verloren scheint. So ist es in Milan Kunderas Roman „Die Identität“, in dem die älter werdende Chantal auf einmal nicht mehr dieselbe, nicht mehr „identisch“ zu sein scheint, und dies vor allem daran erkennt, dass sich die Männer nicht mehr nach ihr umdrehen.1 So ist es in der Psychotherapie, wo die Frage nach Ich-Identität eben dort aufbricht, wo Menschen nicht mehr das Gefühl haben, im eigenen Körper oder in ihrer sozialen Umwelt zu Hause zu sein. So ist es im größer gewordenen Europa, dessen Parlament bereits 1984 die Schaffung eines gemeinsamen Bewusstseins, aus dem europäische Identität entstehen könne, gefordert hatte, das aber noch immer (und nach dem Scheitern der EU-Verfassung mehr denn je) mit der Frage ringt, wie dies zu realisieren sei.2 Und nicht grundlegend anders ist es, wenn evangelische Landeskirchen, Kirchengemeinden, Akademien, Beratungseinrichtungen oder diakonische Werke sich fragen, wer sie sind, und auf der Suche nach einer Antwort Leitbilder und Logos entwickeln. Die Leichtigkeit eines postmodernen Lebensgefühls scheint, so sie denn je außerhalb einer intellektuellen Avantgarde vorhanden war, verloren gegangen. Eine „Patchwork-Identität“ (Heiner Keupp 3) verlockt nur noch wenige. Ein heiteres Spiel mit verschiedenen Rollen, eine Feier der Diversitäten, ein Leben in ständigen, unberechenbaren Übergängen –all dies scheint vielen eher Angst zu machen, denn verheißungsvolle Perspektive zu sein. Es sieht so aus, als sei die postmoderne Kritik am Begriff und Konzept von Identität gegenwärtig verklungen, und es stellt sich stattdessen wieder vermehrt die Frage nach der „Einheit der Person angesichts der Unüberschaubarkeit des eigenen Lebenslaufs“4. Die Folge: Menschen suchen nach Identität, allein oder gemeinsam. Identität gilt als erstrebenswert, der Begriff erscheint gegenwärtig (kleine universitäre Kreise ausgenommen!) ganz überwiegend positiv konnotiert –auch im Bereich der Kirchen, auf den ich mich im Folgenden ausschließlich konzentriere. Dort erkenne ich –idealtypisch abstrahiert –zwei Wege,5 auf die einzelne oder Gemeinschaften sich begeben, um christliche Identität zu beschreiben:
(1) Identität durch Abstraktion: Wenn eine Kirchengemeinde oder eine evangelische Landeskirche die Frage stellt, wer sie ist –und damit die klassische Frage nach Identität formuliert –, dann steht sie vor dem Problem, von der Vielfalt der einzelnen Individuen, die sich zu ihr rechnen, von der –vielleicht manchmal widerstreitenden –Pluralität ihrer Lebensäußerungen absehen zu müssen. Es gilt, Allgemeines zu formulieren; es gilt, vom Konkreten zu abstrahieren. So lautet der Kernsatz des Leitbildes einer evangelischen Landeskirche: „offen und deutlich, aufgeschlossen und verlässlich dem Glauben und dem Leben dienen“ – ein in sich spannungsreicher und eminent offener Satz; eine Kirchengemeinde fand „Leben aus der Mitte, mitten im Leben“ als ihren Leitsatz – eine sicher gelungene Formulierung, aber eine Wendung, die sich so wohl die Mehrzahl aller Gemeinden auch auf ihre Fahne schreiben könnten. Natürlich, die Formulierung solcher Leitbilder dient vor allem denen, die bei dem Prozess selbst dabei sind und sich gemeinsam retrospektiv und prospektiv Gedanken über sich selbst machen; demgegenüber leisten sie meist wenig für Außenstehende, die nur das kompromisshafte Destillat eines langen Prozesses mitbekommen. Dennoch liegt das Problem auf der Hand: Abstrahierende Identitätsformulierungen sind so richtig und so allgemein zugleich, dass sie kaum Aussagekraft zur Charakterisierung spezifischer Identität besitzen.6
(2) Identität durch Essentialisierung: Wenn sich ein Christenmensch als einzelner die Frage stellt, was eigentlich seine christliche Identität ausmache, was in all den divergenten Lebenserfahrungen des Alltags dasselbe „Christliche“ bleibe,7 so kann er oder sie entweder auf Daten und Fakten aus der eigenen Biographie verweisen: Taufe, Konfirmation, Kirchenmitgliedschaft samt Kirchensteuer, gelegentliche Gottesdienstbesuche. Oder er oder sie kann aus der Vielfalt der Erlebnisse und Erfahrungen gleichsam einen Schritt zurücktreten und sich auf sich selbst, auf sein Inneres konzentrieren. Andreas v. Heyletwa meint, Kirche müsse genau dazu ihren spezifischen Beitrag leisten, sie müsse „den in der dünnen Luft postmoderner Beliebigkeit immer hektischer agierenden Menschen vermitteln, dass sie die tief im Innern wurzelnde ‚Sehnsucht nach Leben‘ eben nicht in der anstrengenden Jagd nach immer noch stärkeren Erlebnissen und Beziehungen stillen können, sondern nur durch Einüben ins ‚Loslassen‘ und langsam reifende Konzentration auf die innere Welt.“8 Finde ich im Rückzug auf meine „innere Welt“ christliche Identität? Kommt der „Friede“ des herausgeforderten Ich „aus dem inneren Raum“, wie etwa auch der Psychotherapeut Erik H. Erikson meinte?9 Ist der „Glaube“ in dieser Hinsicht „immer wiederholte Bestätigung der Ich-Identität“, wie Dorothee Sölleformulierte?10 Gibt es eine Art Personkern, der dafür einstehen kann? Lässt sich ein solches Innen überhaupt von dem Außen unterscheiden, oder ist dies einfach das alte platonische Denken–nun im Kleid der Spiritualität neu aufpoliert? Und weiter lässt sich fragen: Bricht die Frage nach Identität nicht im Kern dort auf, wo ich nicht als einzelner im stillen Kämmerlein sitze, sondern in Interaktion mit anderen trete? Darauf verweist eindrucksvoll Dietrich Bonhoeffers berühmtes Gedicht aus der Zeit der Inhaftierung. „Wer bin ich?“, so fragt Bonhoeffer und fährt fort: „Bin ich wirklich das, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? […] Bin ich beides zugleich?“11 George Herbert Mead (1863–1931), der Philosoph und Sozialwissenschaftler, meinte: Das objektvierte Selbst eines Menschen, seine „Identität“ (so wird der Leitbegriff „self“ ins Deutsche übertragen) entwickele sich nicht aus sich heraus, sondern ergebe sich als Folge der sozialen Strukturen und Interaktionen, in denen ein Ich lebt.12 Und auch der Psychotherapeut Erik H. Erikson (1902–1994) sieht Identität als einen reziproken Prozess von Ich und Umwelt, der mit der Begegnung zweier Individuen (zunächst: Mutter und Säugling) einsetzt und nicht endet, solange der Mensch mit anderen im Austausch steht.Abstraktion und Essentialisierung –sicherlich sind dies nicht die einzigen Wege, die gegenwärtig beschritten werden, um christliche Identität zu formulieren.13 Und sicherlich gibt es so eindeutig weder den einen noch den anderen Weg; es handelt sich eher um Pole in einem weiten Feld gegenwärtiger (christlicher) Identitätsbestimmungen. Beide Pole aber erscheinen mir nicht nur in ihrer Leistungsfähigkeit zur Beschreibung christlicher Identität beschränkt, sondern gleichzeitig in theologischer Hinsicht unterbestimmt; denn – kurz formuliert: Auf beiden Wegen wird christliche Identität selbst gemacht; für beide Wege gilt: „Identitätsbildung ist allemal Ich-Leistung […].“14 Gremien setzen sich zusammen und diskutieren, was zum eigenen Wesen gehört und tauglich wäre für die Formulierung eines Leitbildes; einzelne suchen den Weg nach innen, um mit sich identisch(er) zu werden. Der Mensch wird letztlich zum „Garant seiner selbst“15. Entspricht das einem Glauben, der – wie Martin Luther befreiend entdeckte – von außenkommt, durch das äußere Wort (verbum externum) des Urteils und Freispruchs Gottes? Den ich mir nicht selbst sagen kann, sondern der mir gesagt werden muss?Der den Menschen „von außerhalb seiner selbst“ identifiziert?16 Den ich nicht habe, sondern nur immer neu empfange? Und der gerade so der Sünde entgegentritt, die im Kern das In-sich-Verkrümmtsein des Menschen (incurvatio in se ipsum) bedeutet? Nimmt man diese Anfrage ernst, so muss sehr viel grundsätzlicher überlegt werden: Ist das vielfach unbestimmte Modewort Identität überhaupt ein christlich möglicher Begriff?

1 Vgl. Kundera, Milan,Die Identität, aus dem Französischen von Uli Aumüller, Frankfurt/M. 2004; vgl. auch die Beispiele aus der Welt des Films, die Julia Helmkein ihrem Beitrag zu diesem Band vor Augen führt.
2 Vgl. Meyer, Thomas,Die Identität Europas. Der EU eine Seele?, Frankfurt/M. 2004; Furhmann, Manfred,Bildung. Europas kulturelle Identität, Stuttgart 2002.
3 Vgl. Keupp, Heiner,Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbek 1999.
4 Josuttis, Manfred,„Unsere Volkskirche“ und die Gemeinde der Heiligen. Erinnerungen an die Zukunft der Kirche, Gütersloh 1997, 99.
5 Vgl. zum Folgenden auch die Überlegungen von Erik H. Erikson zu den Phänomenen der „Gruppen-Identität und Ich-Identität“: Erikson, Jugend und Krise. Die Psychodynamik im sozialen Wandel, Stuttgart 1970, 42–51.
6 Vgl. ausführlicher dazu die Sammelbände:Mehlhausen, Joachim (Hg.),Pluralismus und Identität (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 8), Gütersloh 1995, sowie Schreiner, Martin Schreiner,Vielfalt und Profil. Zur evangelischen Identität heute, Neukirchen-Vluyn 1999.
7 Vgl. Theodor W. Adornos Bestimmung der Frage nach Identität als Frage danach, „daß ein Ich in all seinen Erfahrungen als dasselbe sich erhalte“ (Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1975, 145).
8 Heyl, Andreas v.,Der gebrochene Spiegel. Zur Identitätsbildung in der modernen Gesellschaft, in:Stollberg, DietrichStollberg (Hg.),Identität im Wandel in Kirche und Gesellschaft, Göttingen 1998 (=FS Richard Riess), 23–33, hier: 31f.
9 Erikson, Erik H.,Der junge Mann Luther. Eine psychoanalytische und historische Studie, München 1958, 293.
10 Sölle, Dorothee,Die Hinreise. Zur religiösen Erfahrung. Texte und Überlegungen, Stuttgart 51979, 127 [vgl. insg. ebd., 121–185]; vgl. zum theologischen und philosophischen Diskussionsstand Ende der 1970er Jahre Ritter, Werner H., Zum Problem der Identität in christlich-theologischer Perspektive,in: WzM 31, 1979, 469–490, sowie Marquard, Odo/Stierle, Karlheinz (Hg.), Identität, München 1979.
11 Bonhoeffer, Dietrich, Wer bin ich?, in: ders.,Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Eberhard Bethge, Gütersloh 131985, 179.
12 Vgl. Mead, George Herbert,Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus, stw 28, mit einer Einl. hg. v.Charles W. Morris, Frankfurt/M. 101995 [amerik. Original: Mind, self, and society, Chicago (IL) 1934].
13 Ein dritterWeg, Identität zu suchen, wäre wohl noch zu untersuchen: derFundamentalismus. Gekennzeichnet ist fundamentalistische Identitätssuche durch eine rigide Abgrenzung von anderen sowie durch ein eigenes absolutes System von regulativen Sätzen und Verhaltensnormen. Dieses System gilt ungefragt; es wird nicht diskutiert, sondern lediglich in seiner vermeintlichen Überlegenheit dargestellt. Die Schwarz-Weiß-Konstruktion der Welt (wir, die Guten –die anderen, die Schlechten) vermittelt –in scharfemWiderspruch zu allen Postmodernetheorien –ein äußerst simples Identitätsmuster, das gerade deshalb Suggestivkraft gewinnt. Ein unreflektiertes „anything goes“ hat solchen Identitätskonzepten nichts entgegenzusetzen, und die Frage nach der Möglichkeit derBeschreibung christlicher Identität muss angesichts der fundamentalistischen Herausforderungen mit Dringlichkeit gestellt werden.
14 Schneider-Flume, Gunda,Die Identität des Sünders. Eine Auseinandersetzung theologischer Anthropologie mit dem Konzept der psychosozialen Identität Erich H. Eriksons, Göttingen 1985, 111.
15 Ebd., 10.
16 Lange, Ernst,Was nützt uns der Gottesdienst?, in: ders., Predigen als Beruf, München 21982, 83–95, hier: 85.

Konversion statt Identität? – eine Erinnerung

Manfred Josuttis erinnert eine Kirche, die ängstlich nach eigener Identität sucht und sich als Vermittlerin von personaler Identität vermarktet, seit einigen Jahren deutlich daran, dass dieser Weg scheitern muss. Natürlichkann Josuttises verstehen, dass eine ihrer Aufgabe unsicher gewordene und Einfluss verlierende Kirche auf die Karte Identität setzt. Er schreibt: „In der Gesellschaft wird personale Identität gefährdet oder beschädigt, in der Kirche versucht man, gefährdete Identität zu stabilisieren. Die Theolog/innen greifen dabei nicht zuletzt auf die Identitätskonzepte zurück, weil sie mit ihrer Hilfe das gesellschaftlich angegriffene christliche bzw. pastorale Selbstbewußtsein zu fundieren vermögen.“17 Josuttis kann bei seiner Kritik am Identitätsbegriff vor allem auf die Überlegungen von Henning Luther aus den 1980er Jahren verweisen. Luther wollte das bereits damals viel strapazierte Wort Identität nur noch im Zusammenhang mit der bleibenden Fragmentarität christlicher Existenz sehen.18 Er schrieb: „Das eigentümlich Christliche scheint mir […] darin zu liegen, davor zu bewahren, die prinzipielle Fragmentarität von Ich-Identität zu leugnen oder zu verdrängen. Glaube hieße dann, als Fragment zu leben und leben zu können.“19 Josuttis geht noch über Henning Luther hinaus. Es sei selbstverständlich, dass man nur als Fragment leben könne; das Selbstverständliche aber brauche man nicht zum Konzept erheben. Dabei werde, so Josuttis, die Radikalität des System-Wechsels übersehen. Angesichts der neuen Schöpfung (kaine ktisis;2Kor 5,17), angesichts der Existenz des Getauften in Christus könne „weder die Geschlossenheit noch die Gebrochenheit menschlicher Existenz einfach“ fortgesetzt werden.20 In der Taufe geschehe nach dem Zeugnis des Neuen Testaments der „Transitus aus der alten in die neue Welt“, die „Konversion aus der alten zur neuen Existenz“.21 Und daraus folgt: „Christ/innen gehören zur Gemeinde der Heiligen, weil sie durch das Werbungswort Gottes aus der Welt des Unheils in den Machtbereich des Heils überführt worden sind.“22 Es gelte: „Wer vom Geist Gottes erfaßt und in die Geschichte Jesu verwickelt ist, dessen fragmentarische Identität partizipiert an der Vollendung des Auferstandenen.“23 Auf diesem Hintergrund arbeitet Josuttis den Unterschied zwischen Identitätund Konversionheraus. Kurz gefasst: „‚Konversion‘ zielt auf Veränderung. ‚Identität‘ will konservieren.“24P aulus schreibt: „Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Und Josuttis führt zu diesem Satz aus: „Die neue Existenz, die das Evangelium dem Glauben verleiht, bedeutet nicht einfach die Verlängerung oder Gesundung bisherigen Lebens, sondern dessen gründliche Umstrukturierung.“25 Paulus selbst wird für Josuttis zum Beispiel. Er habe eine „personale Transformation“ erfahren, als er kurz vor Damaskus vom Verfolger der Gemeinde zum Apostel wurde (vgl. Apg 9; 22; 26; Gal 1,11–24).26 Paulus sei den schmerzhaften „Weg vom alten zum neuen Menschen“ gegangen.27 Dabei sei es charakteristisch, dass Paulus lediglich den alten Menschen, seine Existenz vor der Konversion, begrifflich klar beschreiben kann: „Ich stamme aus dem Geschlecht Israel, Stamm Benjamin, Hebräer von Hebräern!“ (Phil 3,5)28 Das Neue aber, das Leben post conversionem, lasse sich nicht mehr in klare Worte fassen; Paulus sei sich „durch seine Konversion fremd geworden“.29 Und allgemein gelte: „Für den, den der Schicksalsschlag [!] einer Konversion ereilt hat, ist gefestigte Identität eine Illusion, die allenfalls auf unvorstellbare Weise in der anderen Welt Erfüllung finden wird.“30Wenn überhaupt, dann könne nur noch eschatologisch von Identität gesprochen werden –im Blick auf das, was noch nicht ist, aber verheißen ist.

17 Josuttis, Manfred,Identität und Konversion, in: Stollberg (Hg.): Identität (oben Anm. 8), 118–127, hier: 120.
18 Vgl. Luther, Henning,Identität und Fragment. Praktisch-theologische Überlegungen zur Unabschließbarkeit von Bildungsprozessen, in: ders.,Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart 1992, 160–182 [283–293 Anm.].
19 Ebd, 172.
20 Josuttis, Identität (oben Anm. 17), 123.
21 Josuttis, Manfred,„Unsere Volkskirche“, 96.
22 Ebd., 95.
23 Josuttis, Identität und Konversion, 126.
24 Josuttis, „Unsere Volkskirche“(oben Anm. 4), 97.
25 Ebd., 100.
26 Vgl. Josuttis, Manfred,Segenskräfte. Potentiale einer energetischen Seelsorge, Gütersloh 2000, 65–78 [Von der Identität zur Konversion], hier: 65.
27 Ebd., 68.
28 Vgl. ebd., 69.
29 Ebd., 70.
30 Ebd., 72.

Liminalität statt Identität – ein terminologischer Versuch

Manfred Josuttishat recht. Man würde die biblische Botschaft nicht ernst nehmen, wenn Theologie und Kirche stabilisierende Identitätskonzepte verfassen und dabei den „Trennungsstrich“ „zwischen dem alten und dem neuen Leben“ aus dem Blick verlieren würden.31 Aber natürlich gilt ebenso (und das weiß auch Josuttis): Das Leben des Christen ist nicht eindeutig. So klar gibt es weder das Vorher noch das Nachher (nicht einmal dort, wo sich Lebenswenden und Bekehrungen vermeintlich exakt beschreiben und datieren lassen).32 Der neue Mensch der Taufe bleibt in vieler Hinsicht der alte; weranderes behauptet, blendet Aspekte des Lebens aus oder lässt Ehrlichkeit vermissen.33 Mir scheint es daher problematisch, Identität oderKonversion als klare Alternativen voneinander abzuheben. Christliches Leben ist ein Leben auf der Grenze: Ein Leben zwischen dem alten Menschen, als der wir uns erfahren, und dem neuen Menschen, der wir sind, dem Sünder und dem Gerechten (simul iustus et peccator), dem Menschen dieses Lebens und dem Menschen, der von Gott her das ist, was er sein wird. Grenze heißt auf Lateinisch „limes“. Ich schlage daher vor, von Liminalitätzu reden statt von Identität oder Konversion, wenn es darum geht, christliche Existenz zu charakterisieren. Der Neutestamentler Christian Strecker hat den Begriff der Liminalität aus der Kulturanthropologie aufgegriffen und in seiner Dissertation als einer der ersten in die theologische Theoriebildung gebracht. Der Begriff entstammt der Ritualtheorie und wurde in den letzten Jahren vor allem von dem schottischen Ethnologen und Religionswissenschaftler Victor W. Turnerverwendet und ausgebaut. Turner beobachtet, was sich im Ritual ereignet, z.B. bei der Heirat. Da gibt es – sehr vereinfacht – einen Zustand davor: die Partner leben getrennt; und es gibt einen Zustand danach: die beiden sind ein Paar. Dazwischen steht das Ritual und markiert den Übergang, die „liminale Phase“, in der sie nicht mehr Single und noch nicht ein Paar sind. Für die Dauer des Rituals sind sie „Schwellenwesen“. Und: „Schwellenwesen sind weder hier noch dort; sie existieren zwischen[engl.: ‚betwixt and between‘] den von Gesetz, Tradition, Konvention und dem Zeremonial fixierten Positionen.“34 Nimmt man diese Begrifflichkeit auf, so bedeutet Christsein das Leben in einer auf Dauer gesetzten liminalen Phase, ein Leben im Übergang: in der Welt, doch nicht von ihr, Bürger der Bundesrepublik und zugleich Bürger des Himmelreichs, Mitglieder einer Landeskirche und zugleich Einwohner des neuen Jerusalem. Liminal zu leben, auf der Grenze, ist sicher nicht bequem; und dennoch ist der Ort an der Grenze verheißungsvoll. Das, was ist in dieser Welt und scheinbar unabänderlich gilt, verliert seine determinierende Kraft. Neues kommt in den Blick durch den Gott, der Neues schafft. Aber gleichzeitig hebt der liminale Mensch nicht utopisch ab, sondern bleibt mit beiden Beinen am Boden. Die Erwartung des neuen Jerusalem und der Einsatz für eine bessere Welt schließen sich nicht aus, sondern befruchten sich gegenseitig. Ora etlabora, vita passiva undvita activa geraten ins Wechselspiel, wo der Christenmensch sich nicht stabilisierende Identität konstruiert, sondern liminal lebt.Liminalität statt Identität –ist damit mehr gefunden als eine neuerlich abstrakte Formel, wie sie so viele Leitbildkonstruktionen kennzeichnet? Wo findet liminales Leben seinen Haftpunkt? Worauf kann ich zeigen, wenn ich sagen will, wer ich bin, wenn ich liminal lebe? –Zum Beispiel auf biblische Erzählungen:

31 Ebd., 78.
32 Vgl. z.B. Popp-Baier, Ulrike,Bekehrung als Gegenstand der Religionspsychologie, in: Henning, Christian/Murken, Sebastian/Nestler, Erich (Hg.), Einführung in die Religionspsychologie, UTB 2435, Paderborn u.a. 2003, 94–117.
33 Vgl. auch die sensible religionsphänomenologische Beschreibung des gegenwärtigen Protestantismus bei Clausen,Johann Hinrich,Religion ohne Gewissheit. Eine zeitdiagnostisch-systematische Problemanzeige, in: PTh 94, 2005, 439–454.
34 Turner, Victor W., Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt/M./New York 1989, 95, zit. nach Strecker, Christian,Die liminale Theologie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive, FRLANT 185, Göttingen 1999, 43.

Hinneni, hier bin ich – eine biblische Meditation

In der Bibel zeigt sich immer wieder, wie Menschen zu Grenzgängern werden: durch Gottes Wort und ihre eigene Antwort. Zum Beispiel Abram: Mit einem Wort des HERRN beginnt sein Aufbruch: „Geh aus deinem Vaterland und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ (Gen 12,1) In geradezu lakonischer Kürze fordert Gott Abram auf, all das zurückzulassen, was Identität vermitteln könnte: Vaterland, Heimat, Familie. Nicht mehr als das Wort Gottes, das Segen und reiche Nachkommenschaft verheißt, hat Abram. Und in erneut äußerster Knappheit heißt es dann: „Da zog Abram aus, wie der HERR ihm gesagt hatte.“ (Gen 12,4) Wort und Antwort – so geht Abram den ersten Schritt in ein neues und einigermaßen unbehaustes Leben. Wer er ist, erfährt er nicht selbstreflexiv; es wird ihm unterwegs gesagt: „Du sollst nicht mehr Abram heißen, sondern Abraham soll dein Name sein; denn ich habe dich gemacht zum Vater vieler Völker.“ (Gen 17,5) Abraham entwickelt nicht eigene Identität, JHWH identifiziert ihn durch sein Wort. Ganz analog werden es auch viele andere erfahren: Jakob, der Israel genannt wird, Mose, der mit seinem Volk aus Ägypten aufbricht, oder jene zwei Brüder, Simon und Andreas, die Fischer waren am Galiläischen Meer. Jesus kam des Wegs, sah die beiden, „und er sprach zu ihnen: Folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen! Sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.“ (Mt 4,19f) Simon wird wenig später Petrus genannt, Fels, denn, so sagt Jesus, „auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen“ (Mt 16,18). Abram/Abraham, Simon/Petrus – zwei aus einer Wolke der Zeugen, die auf das Wort hin aufbrechen und alte Identität – Vaterland und Fischereigewerbe – hinter sich lassen und sich auf einen reichlich ungewissen Weg begeben. Unterwegs begegnet Erfüllung der Verheißung. Abraham und Sara wird ein Sohn geboren, Isaak. Aber zugleich bleibt der Weg dunkel und abgründig, unverständlich und immer neu herausfordernd. Als Isaak älter geworden war, rief Gott Abraham erneut beim Namen. Und Abraham antwortete: Hinneni, „hier bin ich“ (Gen 22,1). Was folgte, war unerhört: Gott befahl, Isaak zu opfern. Auf diesen Befehl antwortet Abraham nicht mit einem Hinneni, sondern schweigt und kehrt heim. Als er sich am nächsten Tag dennoch mit Isaak auf den Weg macht, gehen die beiden zunächst schweigend miteinander, bis Isaak das Schweigen bricht und „Mein Vater!“ sagt. Abraham antwortet, wie er Gott antwortete: Hinneni, „hier bin ich, mein Sohn“ (V.7). Auf dem Berg wird das Opfer vorbereitet –und im letzten Moment durch einen Engel verhindert. „Da rief ihn der Engel des HERRNvom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.“ Hinneni–ein drittes Mal (V.11). Wenn Abraham hier „identisch“ bleibt, dann nur so, dass er jeweils gleich auf die Anrede reagiert: auf die Anrede Gottes, seines Sohnes, des Engels des HERRN; dass er offen bleibt und bereit für das, was auf ihn zukommt im Wort Gottes, im Wort des Nächsten.

Wohin führt der Weg derer, die Gott identifiziert und die auf die Anrede Gottes hinneniantworten, „hier bin ich“? Sicher nicht in den sicheren Hafen, in dem Gott restlos verstehbar und die eigene Identität gefestigt scheint. Eher führt der Weg an die Grenze – wie bei Abraham zwischen einem in seiner Verheißung faszinierend nahen und in seiner Versuchung abgründig fernen Gott, zwischen „Furcht“ und „Glaube“, „Furcht und Lachen“35, wie bei Petrus zwischen Bekenntnis und Verrat, Mut zum Sein und Klage der Verzweiflung.Emanuel Lévinas kontrastierte Abraham und Odysseus – und mit den beiden Figuren hebräisches und griechischesDenken. Abraham breche ins Ungewisse auf – nur auf Gott geworfen. Odysseus hingegen verlasse seine Heimat, mache neue Erfahrungen und kehre dann (natürlich ein wenig verändert) in den Heimathafen zurück. So unterscheiden sich – nach Lévinas – biblische und griechische Menschenbilder und Vorstellungen von Identität: da ist die Heimatlosigkeit des glaubenden Abraham einerseits und die sich selbst behauptende und so sehr neuzeitlich anmutende Subjektivität des Odysseus andererseits.36 Henning Luther führt diesen Gedanken unter Aufnahme der Metapher vom wandernden Gottesvolk aus dem Hebräerbrief weiter und schreibt: „Nicht drinnen bleiben, bei sich, sondern herausgehen – aus sich, zu den Anderen, sich aussetzen, sich der Fremde und dem Befremdenden, ja der Entfremdung aussetzen –dies ist die Bewegung des wandernden Gottesvolkes.“37 Das wandernde Gottesvolk bricht auf – und antwortet so auf Gottes Wort. Wort und Antwort –so kann nach dieser biblischen Meditation die Logik biblischer Identifikation beschrieben werden. Gott redet, wir antworten (oder verweigern die Antwort –man denke nur an Adam, der sich im Paradiesgarten vor Gott versteckt; Gen 3,7–9). Gottes Wort fordert heraus, Menschen sagen hinneniund stellen sich so in die Geschichte Gottes mit ihnen.EineNebenbemerkung: Im täglichen jüdischen Gebet gibt es kein Glaubensbekenntnis, aber doch einen Satz, der den Status eines Credos gewonnen hat: das „Höre Israel“ („Schema Jisrael“) aus Dtn 6,4. Es erscheint nicht verwunderlich, dass dieses „Bekenntnis“ Israels kein Aussagesatz ist, keine deklaratorische Feststellung, sondern ein Imperativ, eine Aufforderung zum Hören: „Höre Jisrael: ERunser Gott, ER Einer!“38 Ich fasse die bisherigen Überlegungen zusammen: Wo christliche Existenz liminal verstanden wird, dageht es nicht um eine Identität, die man haben oder entwickeln kann, da geht es um Gott, der Menschen identifiziert, und um Menschen, die darauf antworten. Dynamisch ist dieses Geschehen, wechselvoll, verheißungsvoll. Wahrnehmen und greifen lässt sich dieses dynamische Geschehen u.a. in Sprachformen, die das christliche Leben prägen. Für Lutherspielten Gebet und Predigt eine besondere Rolle. Er meinte, diese beiden seien die höchsten Ämter in der Christenheit. Daher konkretisiere ich die liminale Logik der Identifikation im Folgenden im Blick auf Gebet (V) und Predigt (VI) und nehme dazu grundlegende sozialphilosophische bzw. entwicklungspsychologische Theorien, die in den Identitätsdiskursen des 20. Jahrhunderts umfangreich Bedeutung erlangten, in meine Überlegungen auf.

35 Wiesel, Elie, Adam oder das Geheimnis des Anfangs. Legenden und Porträts, aus dem Französischen von Hanns Bücker, Freiburg/Basel/Wien 31998, 75.
36 Lévinas, Emmanuel,Die Spur des anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, Freiburg/München 21987, 215f.
37 Luther, Henning, Die Lügen der Tröster. Das Beunruhigende des Glaubens als Herausforderung für die Seelsorge, in: PrTh 33, 1990, 163–176, Zitat: 173.
38 Dtn 6,4 in der Übersetzung nach Buber/Rosenzweig.

Du hast recht – Identifikation im Gebet

Bonhoeffers berühmtes „Wer bin ich?“-Gedicht aus der Zeit seiner Gefangenschaft wurde oben bereits erwähnt. Es entwickelt sich aus der Spannung zwischen Selbst-und Fremdwahrnehmung – und endet mit folgenden Zeilen: „Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott./Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“39 Die Frage nach Identität führt bei Bonhoeffer ins Gebet. Aus dem Um-Sich-Kreisen des „Ich“ wird in der letzten Zeile die Anrede an das „Du“ Gottes. Ist das Gebet der hervorgehobene Ort, an dem christliche Existenz Sprache findet und eingeübt wird? Die Frage ist rhetorisch. Überkonfessionell herrscht breiter Konsens in dieser Frage: Vor knapp 100 Jahren meinte etwa Romano Guardini, der katholische Theologe und Religionsphilosoph: „Ohne Gebet wird der Glaube matt, und das religiöse Leben verkümmert. Man kann auf die Dauer kein Christ sein, ohne zu beten –sowenig man leben kann, ohne zu atmen.“40 Und bereits vor etwa 500 Jahren formulierte Martin Luther: „Nächst dem Predigtamt ist das Gebet das höchste Amt in der Christenheit“.41 Was aber geschieht im Gebet, wenn es auf dem Hintergrund der Frage nach Identität, Identifikation und Liminalität betrachtet wird? Im Gebet geht es um eine spezifische Art und Weise der Interaktion: um die Interaktion des Menschen mit Gott. Interaktion – dieses Stichwort charakterisiert die sozialphilosophische Theorie zur Konstitution menschlicher Identität George Herbert Meads.42 Mead geht davon aus, dass sich das „self“ eines Menschen nicht solipsistisch, cartesianisch aus sich heraus konstituiert (so ein ontologischer Identitätsbegriff, der von einer Essenz, einer Substanz oder einem Wesenskern ausgeht), sondern prozesshaft aufgrund von Erfahrungen im Austausch mit anderen entsteht, d.h. durch Kommunikation. Eine Unterscheidung wird dabei für Mead grundlegend: Es gibt ein „Ich“ („I“) und ein „Mich“ („Me“). Mit „Me“ meint Mead die Summe der Haltungen und Meinungen anderer, die ein Subjekt als gültig annimmt. Das „I“ ist die subjektive und kreative Antwort des einzelnen auf das „Me“, das, was „ich“ aus dem mache, was andere über „mich“ denken. Dabei ist das Verhältnis von „I“ und „Me“ dynamisch; es bleibt durch ständig neue soziale Interaktionen in Bewegung. Auf diesem sozialphilosophischen Hintergrund könnte das Gebet definiert werden als die grundlegende Form der „sozialen Interaktion“ des Menschen mit Gott. Im Gebet geschieht die Aufnahme und Annahme dessen, was Gott über „mich“ gesagt hat („me“), in die eigene Sprache Gott gegenüber („I“). Es geht um eine Formung des „Ich“ im Kontext des Gerichts-und Befreiungswortes Gottes über „mich“. Es entwickelt sich eine Beziehung –und nur in dieser Beziehung (und eben nicht durch die Entfaltung eines Personkerns im Innern!) konstituiert sich das, was das „Ich“ ausmacht. Wie das „Ich“ in der sozialen Interaktion nach Mead veränderlich bleibt, so gilt das auch für das „Ich“ des Beters. Es entsteht nicht ein Identitätskonzept, sondern ein „I“, das abhängig bleibt vom „Me“, von dem Ruf Gottes, der provoziert, heraus-ruft.43 Herausgerufen ist der Mensch und dadurch an die Grenze geführt zwischen der erfahrbaren Wirklichkeit seines Lebens und der Wahrheit seines Lebens inmitten dieser Wirklichkeit. Herausgerufen ist er ausdem Kreisen um sich selbst und aus den Versuchen, eigene Identität zu garantieren. Herausgerufen ist er und aufgerufen, den schmerzlichen und zugleich befreienden Satz der Einstimmung zu sagen, der als Grund-Satz des Gebets bezeichnet werden könnte: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ (Lk 22,42) Das Gebet ist in diesem Verständnis nicht nur „Erziehung des Wunsches“ –wie Joachim Scharfenberg aus pastoralpsychologischer Perspektive meinte.44 Das ist es in seiner Konsequenz sicher auch. Es ist aber zunächst Antwort, Annahme der Provokation. Luther definierte den Menschen charakteristischerweise so, dass er ihn nicht zum Subjekt der Definition, sondern zum Objekt machte, mit dem von Gott her etwas geschieht: „hominem iustificari fide“45. Das Gebet ist die Sprachform, in der diese Definition konkret und erfahrbar wird.Daher auch formulierte der Lutherforscher und systematische Theologe Rudolf Hermann(1887–1962) die Pointe der Rechtfertigungslehre Luthers so, dass er auf das Sprachereignis des Gebets verwies. Im Gebet werde das Geschehen der Rechtfertigung konkret. „Du hast recht“, so sage der Mensch, der das Urteil Gottes über sich gelten lässt; dann „liegt in diesem Anerkennen der Gerechtigkeit Gottes bereits alles, Rechtfertigung, Buße und neues Leben, beschlossen.“46 Heinrich Assel schreibt in seiner Hermann-Interpretation: „Promissio als Tatwort Gottes erfordert oratio als Tatwort des Glaubens.“47 Das Gebet macht Menschen zu anderen, ist Sprachform der Verwandlung des Menschen. Im Gebet „wird der neue Mensch ins Dasein gerufen, indem er sich selbst als alter Mensch bekennt.“48 So beten zu können –dazu braucht es die Gebetsschule des Herrn („Herr, lehre uns beten“; Lk 11,1) und gleichzeitig die gemeinsame Einübung der Getauften im Gottesdienst. Luthermeinte: „Man kann und soll wohl überall, an allen Orten und zu jeder Stunde beten; aber das Gebet ist nirgends so kräftig und stark, als wenn der ganze Haufen einträchtig miteinander betet.“49 Sucht man nach einer Bestimmung, die zum Ausdruck bringt, wie Lutherden Gottesdienst verstand, so wird immer wieder aus seiner Predigt zur Einweihung der Schlosskirche zu Torgau zitiert. Luther sagte damals, der Bau sei errichtet, „daß nichts anderes darin geschehe, als daß unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir umgekehrt mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.“50 Die Formel klingt zunächst recht harmlos und nicht übermäßig spezifisch (Wort, Gebet, Lobgesang). Auf dem Hintergrund des bisher Erarbeiteten zeigt sie aber, dass LutherdenGottesdienst ganz vom Geschehen des Gebets her verstand. Und da geht es um Wort und Antwort in einem Sinn, der überhaupt nicht harmlos, sondern existenzverändernd ist. Gottesdienst ist Gebet –und damit ein Geschehen, in dem der Ortswechsel vollzogen, in dem der neue Mensch ins Dasein gerufen und der alte Mensch bekannt wird, in dem Individuen Worte finden für ihren Glauben und sich gleichzeitig die „Gemeinschaft der Heiligen“ über soziale und zeitliche Grenzen hinweg konstituiert, in dem Menschen feiern, was sie sein werden, und damit insgesamt die liminale Existenz des Christen so eingeübt wird, dass sie Leben prägt und formt.51 Nicht Sonntags-Matinée ist der Gottesdienst nach Luther, nicht musikalisch umrahmte Bildungsveranstaltung, nicht Wochenendevent neben anderen, sondern eine Feier, in der es „spannend“ wird, weil Gott und Mensch interagieren: Wort und Antwort, Pro-vocatio durch Gott und Einstimmung des Menschen. Ein Beispiel für die Spannung, die jeder Gottesdienst gestaltet, führe ich vor Augen, indem ich auf das Miteinander zweier Gebetstexte verweise, die beide in ein-und demselben Gottesdienst vorkommen können: das Vorbereitungsgebet und das Sanctus. Im Vorbereitungsgebet heißt es nach dem Evangelischen Gottesdienstbuch u.a. „Vor Gott erkennenwir, was uns schuldhaft von ihm trennt …“52 Der alte Mensch kommt da zu Beginn des Gottesdienstes zur Sprache, der Mensch, der „gesündigt“ hat „mit Gedanken, Worten und Werken“53.Später im Gottesdienst stimmen dieselben Christen in das Sanctus ein. Ihre „Herzen“ haben sie im Wechselgesang zu Beginn des Abendmahlsteils (Präfationsversikel) zu Gott erhoben. Was dann geschieht, beschreibt Martin Nicol in einer Predigt wie folgt:„[…] beim Abendmahl singen wir das Sanctus, als ob es nichts Besonderes wäre.Wir haben uns daran gewöhnt. Der Pfarrer, die Pfarrerin stimmt den Lobgesang an: ‚Wahrhaft würdig und recht ist es, billig und heilsam …‘ Der Gesang wächst an, löst sich von der Erde, schwingt sich zum Himmel empor: ‚Dich preisen die Mächte des Himmels mit einhelligem Jubel.‘ Die Engel singen da, die Mächte des Himmels. Und dann die Aufforderung: ‚Mit ihnen lass auch unsere Stimmen uns vereinen und ohne Ende bekennen …‘ Da passiert es. Da stimmt die ganze Gemeinde ein in den kosmischen Gesang der Engel. Die ganze Gemeinde: Sie und ich und ungezählte Menschen auf der ganzen Erde. […] Eigentlich absurd: Da singen die Engel – und ich bin dabei. Ein gemischter Chor aus irdischer Gemeinde und Engeln des Himmels.“54 Im gemeinsamen Sanctus ist, folgt man dieser liturgischen Dramaturgie, der alte Mensch überwunden, und der neue Mensch mischt sich schon jetzt (proleptisch sozusagen) unter den Chor der Engel, steht wie Jesaja vor dem Thron Gottes (vgl. Jes 6), findet sich mitten im Himmel wieder – wie Johannes, der Seher (vgl. Offb 4). Confiteor undSanctus – beides in ein-und demselben Gottesdienst. Es ist eine Art doppelter Staatsbürgerschaft der Christen, die im Gottesdienst besungen und eingeübt wird: Bürger dieser Erde sind sie und Bürger des Himmelreichs. Der Gottesdienst am Sonntag wird zum (kleinen) Grenzverkehr dazwischen.

39 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung(oben Anm. 11), 179.
40 Guardini, Romano, Vorschule des Betens, 5. Aufl., Einsiedeln/Zürich/Köln 1956, 16.41WA 34/1, 395, 14f.
42 Eine knappe Übersicht findet sich bei Klessmann, Michael,Pastoralpsychologie. Ein Lehrbuch, Neukirchen-Vluyn 2004, 144f.
43 Das Gebet sei nicht eine „Sprachform der Identität, sondern des Übergangs“, so formuliert auch Hans Jürgen Luibl: Des Fremden Sprachgestalt. Beobachtungen zum Bedeutungswandel des Gebets in der Geschichte der Neuzeit, Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 30, Tübingen 1993, 38.
44 Vgl. in Aufnahme Scharfenbergs neuerdings Klessmann, Michael ,Das Gebet als Erziehung des Wunsches. Eine religions-und pastoralpsychologische Perspektive, in: PTh 94, 2005, 73–82.
45 WA 39/I, 176, 34.
46 Rudolf Hermann, zit. nach Assel, Heinrich,Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance –Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910–1935), FSÖT 72, Göttingen 1994, 377.
47 Ebd., 380.
48 Ebd., 389.
49 WA 49, 593, 24–26.
50 Aland, Kurt (Hg.),Luther Deutsch, Göttingen 31983, Bd. 8, 440.
51 Vgl. Anderson, E. Byron,Worship and Christian Identity. Practicing Ourselves, Collegeville (Minnesota) 2003. Vgl. auch die im christlich-jüdischen Kontext entstandenen Aufsätze von Wahle, Stephan, Identität durch Gebet? Die Selbst-Überschreitung des Menschen durch Gebet im Kontextinstitutionalisierten Betens in Judentum und Christentum, in: Gerhards, Albert/Henrix, Hans Hermann (Hg.), Dialog oder Monolog? Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum, QD 208, Freiburg/Basel/Wien 2004, 128–148, und Doeker, Andrea, Das Gebet als geprägte Sprache. Jüdisches und christliches Gebet als Konstituierung von Identität, in: Gerhards, Albert/Wahle, Stephan (Hg.),Kontinuität und Unterbrechung. Gottesdienst und Gebetin Judentum und Christentum, Studien zu Judentum und Christentum, Paderborn u.a. 2005, 15–61.
52 Evangelisches Gottesdienstbuch, Agende für die EKU und die VELKD, Berlin/Bielefeld/Hannover 2000, 88.
53 Ebd.
54 Nicol, Martin/Deeg, Alexander,Im Wechselschritt zur Kanzel. Praxisbuch Dramaturgische Homiletik, Göttingen 2005, 170. Vgl. zur Intertextualität des Sanctus auch Deeg, Alexander, Gottesdienst in Israels Gegenwart. Liturgie als intertextuelles Phänomen, in: LJ 54, 2004, 34–52, hier: 39f.

Amen, ja, so soll es sein – Identifikation in der Predigt

Für die philosophische und psychologische Diskussion der „Identität“ wurde nicht nur George Herbert MeadsInteraktionstheorie, sondern vor allem auch Erik H. Eriksons epigenetische Identitätstheorie wichtig. Seine Grundthese: Menschliche Identität entwickelt sich in verschiedenen Stufen (insgesamt acht, vom Säuglingsalter bis ins reife Erwachsenenalter), die jeweils durch psycho-soziale Krisen ausgelöst werden. Jede Krise lässt Identität fraglich werden, wobei Identität für Erikson eine „Grundhaltung“ meint, ein „Gefühl“, nämlich „das Erlebnis des nunmehr bleibenden So-Seins, das von der persönlichen Vergangenheit […] zu einer vorstellbaren Zukunft, und von der Vergangenheit der Gemeinschaft […] zu einer vorhersehbaren und vorstellbaren Wirklichkeit gekonnten Schaffens und ausgefüllter Rollen reicht.“55 Ausgebildet sollte dieses Gefühl bei gelingender Identitätsentwicklung im Jugendalter sein; Identitätskrisen kommen aber auch später noch auf das Individuum zu. Für Erikson ist das „Ich“ „das einzig gewisse Moment im Identitätsprozeß“.56 SeinModell ist daher konzentrisch auf das Ich als Subjekt der Identität bezogen. Dasepigentische Modell Eriksons ist suggestiv. Vor allem kann es mit dem Verweis auf das aktive Ich als Ausgangspunkt und Zielpunkt der Identität klar auf einen Ort verweisen, dem die Verantwortung zugewiesen wird. Und gleichzeitig entspricht es den Erfahrungen von Menschen, die sich als Autoren ihrer – wie auch immer brüchigen –Lebensgeschichte durch verschiedene Krisen hindurch wahrnehmen.Worauf kann man demgegenüber zeigen, wenn man nicht von Identität, sondern von einer christlich verstandenen Liminalität ausgehen möchte? Wo ist der Ort, der dann aufgesucht

55 Erik H. Erikson, zit. nach Klessmann, Pastoralpsychologie(oben Anm. 42), 143.
56 Schneider-Flume, Die Identität (oben Anm. 14), 77.

werden muss, wenn man weder auf das rettende Ufer eines konzentrisch um sich selbst kreisenden Ichs deuten kann noch im Strom (vermeintlicher!) postmoderner Diversität versinken will? Die reformatorische Antwort ist einfach und hochkomplex zugleich: Dieser gesuchte Ort ist das Wort. Einfach ist die Antwort, weil ein einzelnes (und nicht einmal lateinisches) Wort genügt, um den Ort zu bestimmen, aus dem heraus sich christliche Existenz (immer neu) konstituiert. Hoch komplex ist die Antwort, weil „Wort“ ein schillernder Begriff ist. Folgt man der Differenzierung, die Karl Barth wirkmächtig vortrug, dann ist von einer dreifachen Gestalt des Wortes auszugehen: das fleischgewordene Wort Jesus Christus, das Wort der Heiligen Schrift und das Wort Gottes in der Verkündigung.57 Diese drei Gestalten des Wortes Gottes können differenziert, aber nicht getrennt werden: Die Verkündigung ist, so Gott will, Gottes lebendiges Wort, das sich auf das Wort der Schrift bezieht und den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus bezeugt. Greifbar, zugänglich ist zunächst die zweite Gestalt des Wortes Gottes: die Heilige Schrift. Sie liegt in den Schriften Alten und Neuen Testaments zwischen zwei Buchdeckeln vor. Martin Luther verweist auf sie und nicht auf das unsichere, von Anfechtung geplagte „Ich“, wenn er seine Herkunft und Zukunft als Christ, wenn er „Kraft und Grund der christlichen Existenz“58 beschreiben will. Er konnte bereits in seinen ersten Psalmenvorlesungen sagen, der Glaubende sei aus dem Muttergrund (der „Matrix“) der Schrift geboren: „ex matrice scriptur[a]e nati“.59 In der Römerbrief-Vorlesung beschreibt Luther dann (in Auslegung von Röm 3,4 sowie dem darin aufgenommenen Zitat aus Ps 51,6), wie der Hörer des Wortes in das Wort hinein verwandelt wird und dort Wahrheit findet: „Gott siegt nämlich in seinem Wort, insofern er uns so beschaffen macht, wie sein Wort ist, d.h. gerecht, wahr, weise usw. Und so verwandelt er uns in sein Wort […]“ („Vincit enim in verbo suo, dum nos tales facit, quale est verbum suum, hoc est Iustum, verum, Sapiens etc. Et ita nos in verbum suum […] mutuat.“60) In dieser Tradition lutherischer Worttheologie entstand 1602 das Lied „Wohl denen, die da wandeln“, das die exzentrische Verankerung christlicher Existenz im Wort eindrucksvoll besingt. Cornelius Becker (1561–1604) dichtet: „Mein Herz hängt treu und feste/an dem, was dein Wort lehrt.“ (EG 295,3) Im dynamischen Wechsel der Weltwirklichkeiten preist Becker die Beständigkeit von Gottes Wort: „Dein Wort, Herr, nicht vergehet,/es bleibet ewiglich,/so weit der Himmel gehet,/der stets beweget sich;/dein Wahrheit bleibt zu aller Zeit/gleichwie der Grund der Erden,/durch deine Hand bereit’.“ (V.4) Christenmenschen (wie auch Jüdinnen und Juden!) haben ihre Heimat im Wort und sind in dieser Hinsicht Lesemenschen, homines legentes.61 Und die Predigt im christlichen Gottesdienst – nach Luther das „höchste Amt in der Christenheit“ – hat, so meine ich, im Wesentlichen die eine Aufgabe: mit der Gemeinde die Schrift zu lesen und so hinzuführen zu einer Existenz, die sich „ex matrice scriptur[a]e nati“ erfährt. Die Predigt ist dann nicht primär Information über die Bibel oder den christlichen Glauben, nicht Kommentar zum Weltgeschehen oder zur kirchlichen, gesellschaftlichen oder politischen Großwetterlage und erst recht nicht abstrahierender Extrakt der Botschaft des Bibelwortes oder des „eigentlich in ihm Gemeinten“. Die Predigt ist Annäherung an die Heimat Bibel, die nicht wenigen Christen zur „fremden Heimat“ geworden ist.62 Martin Luther beschließt den ersten Teil seiner Kirchenpostille, einer Sammlung von „Predigtmeditationen“, mit dem eindringlichen Ruf: „Darumb hyneyn, hyneyn, lieben Christen, und last meyn und aller lerer außlegen nur eyn gerust seyn zum rechten baw, das wyr das blosse, lautter gottis wort selbs fassen, schmecken unnd da bleyben; denn da wonet gott alleyn ynn Zion. AMEN.“63 Die Predigt – wie jede Schriftauslegung – setzt sich diesem Verständnis Luthers folgend nicht an die Stelle der Schrift, sondern versteht sich als ein Gerüst, mit dessen Hilfe der schon längst fertige (!) Bau der Schrift begangen und bewohnt werden kann in der Erwartung, in diesem Bau dem Gott zu begegnen, der darin Wohnung genommen hat und der aus dem Bau heraus das Wort ergreift. Predigerinnen und Prediger tun so das Menschenmögliche;64alles Weitere tut Gott selbst. Er selbst ruft in seinem Wort heraus –und Hörerinnen und Hörer reagieren –so Gott will, indem sie am Ende der Predigt antworten und „Amen“ sagen. „Amen, ja, so soll es sein.“ Der Identifikationsprozess, der das Gebet kennzeichnet, die Logik von Wort und Antwort, prägt daher auch die Predigtrede (weswegen das „Amen“ am Ende der Predigt unbedingt der Gemeinde zurückgegeben werden muss, falls es nicht als Bestätigung des Predigers oder der Predigerin zur mehr oder minder großen Genialität seiner oder ihrer Gedanken gehört werden soll!). Eine solche Predigt als „Gerüst“ kann in doppelter Hinsicht als liminalbeschrieben werden. Zum einen deshalb, weil sie sich als eigene Predigtrede beständig an der Grenze zum Wort der Bibel bewegt. Sie baut Gerüste zum biblischen Wort, eröffnet Zugänge, lässt Neues sehen. Sie liest das Wort mit der Gemeinde, indem sie es groß macht, umkreist, hinterfragt, mit eigenenWorten kon-textualisiert und mit Lebenswirklichkeiten verspricht. Sie ist Rede als gemeinsame Lektüre. Hauerwas/Samuel (Hg.),The Blackwell Companion to Christian Ethics, Malden (MA)/Oxford/Victoria (Austr.) 2004, 141–155, und Deeg, Alexander, Pastor legens. Das Rabbinat als Impulsgeber für ein Leitbild evangelischen Pfarramts, in: PTh 93, 2004, 411–427. Zum andern ist Predigt liminale Rede, weil sie sich an der Grenze zu Gottes eigenem Wort bewegt. So Gott will, wird es geschehen, dass er selbst in, mit und unter dem Wort der Predigt das Wort ergreift. Dass Hören zum Ereignis wird, sich Existenz lichtet und der Grenzverkehr in jene andere Welt und fremde Heimat Bibel stattfindet. „Amen. Ja, so soll es sein“, antworten Hörerinnen und Hörer darauf, und stimmen ein in die exzentrische, verheißungsvolle, liminale Existenz im Wort.

57 Vgl. KD I/1, 89–128 [Das Wort Gottes in seiner dreifachen Gestalt].
58 Ebeling, Gerhard, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus. Zehnte Reihe, Bd. 1, München 1942, 374.
59 WA 4, 234, 17 [in der Auslegung zu Ps 109(110),3b].
60 WA 56, 227, 2–5; vgl. dazu auch Joest, Wilfried, Ontologie der Person bei Luther, Göttingen 1967, 222–228, bes. 224.
61 Vgl. Huizing, Klaas,Homo legens. Vom Ursprung der Theologie im Lesen, TBT 75, Berlin/New York 1996, Fodor, Jim, Reading the Scriptures: Rehearsing Identity, Practicing Character, in: Hauerwas, Stanley/Wells, Samuel.
62 Die religions-und gemeindepädagogische Aufgabe, die sich hinter dieser Bemerkung verbirgt, erscheint mir gewaltig. Wie kann Gemeinde zu dem Ort des Lesens werden, der sie nach reformatorischem Verständnis sein müsste!? Inwiefern kann der Religionsunterricht als kreatives, herausforderndes Lesenlernen gestaltet werden? –Eine lektorale und skripturale Bestimmung der Predigt habe ich –Anregungen aus dem Judentum aufnehmend –versucht in: Predigt und Derascha. Homiletische Textlektüre im Dialog mit dem Judentum, APTLH 48, Göttingen 2006, vgl. bes. Kap. 11.
63 WA 56, 227, 2–5.64Vgl. zur konkreten Gestaltung einer Predigtrede im Wechselspiel mit dem biblischen Wort die von uns zusammengetragenen und kommentierten Predigt-Moves: Nicol/Deeg, Im Wechselschritt zur Kanzel(oben Anm. 54), bes.: 108–128 [Bibelwort & Kanzelsprache].