Mehr Bibel oder mehr Luther?
Beobachtungen und Impressionen zur neuen Revision der Lutherbibel

AntisemitismusRassismus

Publiziert: 2016

I.

Unlängst sind zwei gewichtige neue deutschsprachige Bibelausgaben erschienen. Da ist die neue Revision der Lutherbibel (im Folgenden: „Luther 2017“), die zur Frankfurter Buchmesse im Oktober 2016 vorgelegt und in einem Gottesdienst zum folgenden Reformationstag[1] feierlich den Gemeinden übergeben wurde, sowie die neue katholische Einheitsübersetzung, die im September 2016 vorgestellt wurde und, beziehungsreich gabenträchtig, seit dem Nikolaustag im Dezember im Buchhandel erhältlich ist.

Dazu zunächst eine formale, doch auch erhellende Beobachtung: Sowohl die neue Lutherrevision[2] als auch die neue Einheitsübersetzung lagen im Herbst 2016 in Buchform vor. In der Einheitsübersetzung steht korrekt 2016 als Erscheinungsjahr. Die nahezu zeitgleich erschienene Lutherbibel aber firmiert unter „revidiert 2017“. Hervorgehoben wird so das Jahr der 500. Wiederkehr des sogenannten „Thesenanschlags“ Luthers, der (oft arg undifferenziert) als Beginn der Reformation gefeiert wird. Die neue Lutherbibel wird durch diese Vordatierung demonstrativ dem Lutherjahr 2017 zugeordnet. Ist der Eindruck überzogen, es gehe bei dieser Lutherbibel mehr um Luther als um die Bibel? Diese Frage wird sich in den folgenden Beobachtungen und Impressionen noch öfter stellen und die Antworten werden nicht einlinig ausfallen.

„Luther 2017“ und die neue Einheitsübersetzung sind nicht die einzigen recht neuen Bibelübersetzungen im deutschsprachigen Raum. Eine neue Fassung der Zürcher Bibel erschien 2007 und die Bibel in gerechter Sprache ein Jahr zuvor 2006 – sie liegt inzwischen in der bearbeiteten 4. Auflage 2011 vor. Dazu kommen weitere abgeschlossene oder laufende Übersetzungsprojekte wie das der Basisbibel, der Neuen Genfer Bibel, aber etwa auch der Volxbibel. In den folgenden Beobachtungen und Impressionen steht „Luther 2017“ im Zentrum, aber zuweilen wird sich der Blick auch auf andere Übersetzungen richten.

Da ist zunächst eine grundsätzliche Frage. Was ist in „Luther 2017“ neu? Die erste Antwort lautet: Da ist sehr viel neu gegenüber der voraufgehenden Revision von 1984[3]; es gibt mehrere tausend Abweichungen – freilich all die kleinen Veränderungen in Rechtschreibung und Zeichensetzung einbegriffen.[4] Aber da ist gegenüber Luthers eigenen Übersetzungen erkennbar weniger neu, als es 1984 war. Vielmehr stellte sich den Bearbeiterinnen und Bearbeitern von „Luther 2017“ eine doppelte Aufgabe. Es ging darum, die Übersetzung vor den biblischen Originaltexten zu verantworten, d.h. für das Alte Testament den masoretischen Text zugrunde zu legen und sehr viel sparsamer mit Vermutungen über einen dahinterliegenden und zu (re)konstruierenden „Urtext“ umzugehen. Dabei erwies sich oft und auch für die Bearbeitenden nach ihren eigenen Bekundungen recht überraschend, dass Luthers eigene Übersetzungen an vielen Stellen den biblischen Originaltexten näher sind als spätere Revisionen.[5] Das wahrzunehmen wurde zu einer weiteren Aufgabe dieser Revision. Eine Antwort auf die Frage: „Mehr Luther oder mehr Bibel?“ lautet also: Mit mehr Luther mehr Bibel! Vor allem für das Alten Testament lässt sich auch umgekehrt festhalten: Mit mehr Beachtung des masoretischen Textes mehr Luther! Es wird sich jedoch zeigen, dass das nicht die einzigen Antworten bleiben.

Im Blick auf die Sprachform ging bei „Luther 2017“ nicht vorrangig um eine erneute Anpassung an heutige Sprachkonventionen, sondern darum, wenn möglich und sachgemäß, Luthers eigene Wiedergaben zu bewahren oder auch im Ausdruck oder in der Sache auf sie wieder zurück zu gehen.[6]

Dazu einige Beispiele: In Joh 11,25 heißt es in der Revision von 1984: „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“ In „Luther 2017“ steht wie bei Luther selbst: „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ So sprechen heute nicht einmal an deutschen Klassikern geschulte BildungsbürgerInnen, aber – und dieses Kriterium wurde zum Grund der Rückkehr zu Luthers Wiedergabe – man kann es auch heute verstehen. Aus demselben Grund wurde im sogenannten „Hohenlied der Liebe“ in 1Kor 13,1 Luthers Fassung „und hätte der Liebe nicht“ wieder aufgenommen, während es 1984, übrigens näher am Akkusativ agapēn des griechischen Texts, hieß: „und hätte die Liebe nicht“. Nicht der neutestamentlich-griechische Wortlaut legte mithin den heute ungewöhnlichen Genitiv nahe, sondern die Treue zu Luthers Wendung, die manchen noch im Ohr klingen mag. Erweist sich da Philologie, Theologie oder Nostalgie?[7]

Zur Beibehaltung der Sprache Luthers gehört auch, dass öfter die alte Nebensatzeinleitung „auf dass“ wieder auftaucht, wo wir heute eher „damit“ sagen würden. Mir gefällt jenes „auf dass“ gut, denn es verbindet auf schöne Weise eine Absicht und eine Folge. Ich nehme also manche dieser Sprachentscheidungen mit Sympathie wahr. Aber die Frage bleibt, ob die Annahme, Wendungen wie „ob er gleich stürbe“ oder „und hätte der Liebe nicht“ seien auch heute verstehbar, wirklich zutrifft bzw. für wen sie noch zutrifft. Einen altvertrauten Wortlaut wiederzuerkennen, heißt zudem ja nicht immer, ihn auch zu verstehen.[8]

Auch die neue Einheitsübersetzung von 2016 unterscheidet sich von der 1979 abgeschlossenen und 1980 erschienenen früheren Fassung durch einen gewissen Konservatismus. Auch sie geht an vielen Stellen hinter Modernisierungen der früheren Ausgabe zurück und bleibt bei manchen biblischen Wortbildern und Bildworten, die zwar altertümlich klingen, aber verstehbar sind. So behält sie z.B. öfter als die frühere Fassung die biblisch-metaphorische Rede von der „Hand“ bei und setzt sie nicht mehr in „Macht“ oder „Gewalt“ um oder paraphrasiert sie auf andere Weise.[9]

Hier geht es freilich um die Bewahrung der biblischen Sprachwelt und nicht wie bei „Luther 2017“ um die Bewahrung einer bestimmten Übersetzung und deren konfessionsbildender Dignität. Dass es für die katholische deutsche Übersetzungstradition keinen „Luther“ gibt, macht sie in der Wahrnehmung des biblischen Texts freier. Dagegen steht dort allerdings die Gewichtung der katholischen Lehr- und Glaubenstradition, der diese Übersetzung nicht widersprechen soll.[10] In beiden Fällen, scheint mir, haben es die biblischen Texte zuweilen schwer, selbst zu Wort zu kommen.

[1] Zu diesem Gottesdienst und seinem fragwürdigen Umgang mit den beiden Teilen der Bibel s. den kritischen Zwischenruf von Magdalene L. Frettlöh, „Am Anfang war das Wort“ – doch welches?, in: reformiert-info, 1.11.2016, abrufbar unter http://www.reformiert-info.de/16510-4-8-2.html.

[2] Die Bearbeitung war zunächst dezidiert als lediglich eine „Durchsicht“ angekündigt, sie firmiert nun aber auch offiziell als „Revision“. Gleichwohl ging es nicht um eine Neuübersetzung. Der Revision gegenüber angemessene Fragen sind daher nicht so sehr, wie man eine biblische Passage womöglich auch übersetzen könnte, sondern vor allem: Wo war es gut oder nachvollziehbar, bei Luther zu bleiben oder auch hinter die Revision von 1984 auf Luther zurückzugehen, und wo nicht? Aber dann auch: Wo ist Luthers Übersetzung fragwürdig oder gar falsch oder wo ist sie im Blick auf die gegenwärtige Lektüre falsch geworden?

[3] Die Angabe bezieht sich auf die 1984 vorliegende Gesamtfassung der Bibel, welche die Revisionen des AT (1964), der Apokryphen (1970) und des NT (1984) enthält.

[4] Die umfangreichsten Änderungen gegenüber Luther und seinen Mitübersetzern sowie gegenüber den früheren Revisionen gibt es in „Luther 2017“ bei den Apokryphen. Zur Textgrundlage wurde nun gegenüber den teilweise weniger zuverlässigen Vorlagen Luthers und seiner Mitübersetzer durchgängig die Septuaginta. Hier handelt es sich mithin in mancher Hinsicht um eine Neuübersetzung. Allerdings stand sie unter der Maßgabe, sie solle den Ton Luthers haben. Die Übersetzenden sollten sich mithin jeweils fragen, wie Luther diesen Text übersetzt hätte, wenn er diesen Text übersetzt hätte. Obwohl das für die BearbeiterInnen eine ebenso anspruchsvolle wie auch reizvolle Aufgabe gewesen sein dürfte, zielt es m.E. auf „Stilübungen“, um nicht zu sagen: auf pseudooriginale gleichsam kunsthandwerkliche Produkte. Dass die nun vorliegenden Übersetzungen der Apokryphen jenen „Luther-Sound“ zuweilen nur gemäßigt erklingen lassen, sei ihnen darum gerade nicht vorgeworfen.

[5] Etliche Beispiele dazu bei Christoph Levin, Die Durchsicht 2017 des Alten Testaments der Lutherbibel, in: Melanie Lange/ Martin Rösel (Hg.), „Was Dolmetschen für Kunst und Arbeit sei“. Die Lutherbibel und andere deutsche Bibelübersetzungen. Beiträge der Rostocker Konferenz 2013, Leipzig/ Stuttgart 2014, 189-219; dazu auch die in diesem Band auf Levins Bericht folgende Reaktion von Hermann Spieckermann, Antwort auf die ersten Ergebnisse der Durchsicht des Alten Testaments, ebd. 213-219.

[6] Zum Verfahren, zu den leitenden Gesichtspunkten sowie zu einer Reihe zentraler Stellen und den sie betreffenden Entscheidungen sei auf die Beiträge des Themenhefts „Die Revision der Lutherbibel für das Jahr 2017“, EvTh 76 (4/2016) verwiesen, aber auch auf die in Lange/ Rösel, Dolmetschen, sowie in: Corinna Dahlgrün/ Jens Haustein (Hg.), Anmut und Sprachgewalt. Zur Zukunft der Lutherbibel. Beiträge der Jenaer Tagung 2012, Stuttgart 2013, versammelten Beiträge.

[7] Öfter ist in diesem Zusammenhang vom „Denkmalschutz“ die Rede, so im o. gen. Themenheft der EvTh bei Martina Böhm, Warum sich Josef nun (besser) in das judäische Land aufmacht und die Prophetin Hanna (leider) um 21 Jahre jünger geworden ist. Chancen und Probleme der Revision der Lutherbibel, an Beispielen aus dem Lukasevangelium gezeigt, ebd. 281-293, hier 289, und bei Jörg Lauster, Loyalität und Freiheit. Systematisch-theologische Erwägungen zum Thema der Bibelübersetzung aus Anlass der Lutherbibel 2017, ebd. 294-305, hier 303, in Aufnahme von Albrecht Beutel, „Es ist mein testament und mein dolmetschung, und so! mein bleiben unnd sein“, in: Dahlgrün/ Haustein, Anmut, 17-37, hier 20.
Der Aspekt des Denkmalsschutzes kommt dabei freilich mit einer Revision in ein spannungsvolles Verhältnis. Die Re-Vision auf ein Denkmal wird es ja gerade auch in seinen heute womöglich problematischen Seiten in den Blick nehmen und im Denkmal in die Aufforderung „Denk mal!“ mithören lassen. Aber darum muss das Denkmal dann gerade auch mit diesen problematischen Seiten erhalten bleiben und darf in dieser Hinsicht nicht „revidiert“ werden. Fatal wäre jedenfalls ein „Lutherdenkmal“, bei dem die bösen judenfeindlichen Seiten des Reformators sozusagen wegretuschiert wären. Eine revidierte Lutherbibel, die problematische oder problematisch gewordene Wörter und Worte in heute angemessene(re) verändert, gleicht einem Bismarckdenkmal, bei dem man die Pickelhaube entfernt und sie je nach den Revisionsphasen und Revisionsinteressen durch einen Zylinder, einen Elbsegler oder gar eine Baseballkappe ersetzt hätte. Gleichwohl soll, um bei diesem Beispiel zu bleiben, die Pickelhaube nicht als heute vorbildliche Kopfbedeckung propagiert werden. Es bleibt bei der wohl unvermeidlichen Spannung zwischen Re-Vision und Revision.

[8] Dazu am Beispiel von Lk 2,5 u. Anm. 39.

[9] Das zeigt etwa, um nur einige Stellen zu nennen, der Vergleich beider Fassungen in Gen 9,2; 16,9; Jes 36,19; Ez 3,18: 11,9; Ps 31,9; 107,2.

[10] Das war einer der Gründe, warum das Projekt einer in beiden großen Konfessionen erarbeiteten und von ihnen gemeinsam anerkannten Übersetzung der ganzen Bibel im Herbst 2005 durch den Widerspruch des Rates der EKD nicht zustande kam. Es scheiterte an unüberwindlich unterschiedenen Vorstellungen über das Verfahren, aber auch, weil die katholische Seite auf der in der päpstlichen Instruktion „Liturgiam authenticam“ (2001) formulierten Vorgabe einer an die Tradition gebundenen Wiedergabe biblischer Passagen beharrte. Obwohl sich diese Vorgabe nur indirekt auf eine Bibelübersetzung bezog, bleibt zu würdigen, wie frei die neue Einheitsübersetzung an vielen Stellen (wenn auch nicht an allen, zu Jes 7,14 s.u.) mit diesem Traditionsbezug umging.
Eine konfessionsverbindende Einheitsübersetzung scheiterte aber auch daran, dass der Rat der EKD darauf abhob, dass eine solche Traditionsbindung die vorrangige Bindung an die biblischen Texte behindern werde. Stattdessen kam es parallel zur Erarbeitung der neuen Einheitsübersetzung und der neuen Revision der Lutherbibel. Gerade angesichts dieser Erinnerung ist es bemerkenswert, wie viele Gemeinsamkeiten zwischen beiden nun nahezu zeitgleich abgeschlossenen Übersetzungen zu beobachten sind. Sie beziehen sich auf manche ähnliche oder auch gleiche Entscheidungen im sprachlichen Duktus und an etlichen Einzelstellen (dazu im Folgenden einige Beispiele), aber ebenso auf die in beiden Fällen recht ähnlichen hierarchischen Entscheidungsstrukturen. In ihnen hatten die Optionen der jeweils für die einzelnen Bücher oder Schriftteilen fachwissenschaftlich ausgewiesenen Exegetinnen und Exegeten nur einen Vorschlagscharakter, während die letzten Entscheidungen jeweils deutlich stärker kirchlich besetzten Gremien bzw. kirchlichen Instanzen vorbehalten blieben.
Bemerkenswert ist zudem, dass eben die Vorgaben, an denen das geplante gemeinsame Projekt gescheitert war, nun vice versa auch für „Luther 2017“ bindend wurden, indem gerade solche Texte, Passagen und Worte, die für die evangelische Glaubenstradition als prägend betrachtet wurden, der Veränderung weithin bis gänzlich entzogen wurden. Der einst gegen „Liturgiam authenticam“ von evangelischer Seite erhobene Einwand, eine kirchliche Tradition dürfe nicht zur Herrin der Übersetzung werden, lässt sich mit gutem Grund nun im Blick auf die Kriterien wie die Entscheidungsstrukturen für die Revision auch gegen „Luther 2017“ erheben (dazu auch u. Anm. 53).

II.

Aber nun noch eine weitere Frage in diesem Themenkreis: Wie geht „Luther 2017“ mit den Stellen um, an denen Martin Luther selbst biblische Wörter und Begriffe modernisiert, d.h. sie gezielt in die Alltagssprache seiner Zeit transferiert hat? Auch dazu ein Beispiel: In Mk 12,42, in der Passage vom „Scherflein der Witwe“, heißt es, die arme Frau habe zwei kleine Kupfermünzen ihrer Lokalwährung (zwei Lepta) in den Spendenkasten geworfen. Der geringe Münzwert wird dann durch die Angabe erläutert, die ergäben zusammen einen kodrantēs. Das ist die griechische Form des lateinischen „Quadrans“, der kleinsten römischen Münze. Wie soll man das übersetzen? Luther selbst gab den kodrantēs mit „Heller“ wieder, d.h. mit einer in seiner Zeit kleinsten Münze. Die Revision von 1984 verwandelte den Heller in einen Pfennig. Folgte man dieser Aktualisierungsabsicht, müsste es heute „Cent“ heißen. Dass „Luther 2017“ so nicht verfährt, verstehe ich gut. Von einem Pfennig wusste man 1984, dass es den schon sehr lange gab, aber einen „Cent“ gibt es im deutschsprachigen Raum erst seit wenigen Jahren und deshalb klänge diese Wiedergabe wohl doch zu modern und eben darum für den biblischen Text selbst zu fremd. Doch ist es besser, Luthers Aktualisierung auf Dauer zu stellen und wieder den Heller erscheinen zu lassen? Aber was stattdessen? Sollte man den letzten Teilsatz mit der Einheitsübersetzung von 1980 wie der von 2016 weglassen und lediglich sagen: „Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein“? Doch dabei werden mehrere Wörter des neutestamentlichen Texts unterschlagen, nämlich gerade die, welche eine schon in seiner Abfassungszeit unzureichend verständliche Angabe mit Hilfe einer geläufigen erläutern, ja geradezu übersetzen. Sollte man darum nicht lieber die „Lepta“[1] und den „Kodrantes“ stehen lassen?

So jedenfalls verfährt „Luther 2017“ bei einer anderen Geldangabe, nämlich dem Schekel, den sie eben so und nicht – mit Luther selbst und bis Luther ’84 – als „Lot“ wiedergibt.[2] Dass ein Schekel eine Währung ist – im biblischen Israel wie im gegenwärtigen –, verstehen deutschsprachige Leserinnen und -hörer allemal eher, als im „Lot“ eine Geldwertangabe zu erkennen. Bei Luther selbst bleibt „Luther 2017“ wiederum in der Wiedergabe des Denars und der Drachme mit einem „Silbergroschen“.

Ist alles im Lot, wenn auf Heller und Pfennig abgerechnet wird, oder muss der Groschen fallen, damit die biblischen Prägungen selbst den Kurs bestimmen? Die kleine Sottise mag daran erinnern, wie sehr das Geld die Sprache prägt, aber darüber hinaus wird hier an einem kleinen Beispiel ein großes Problem deutlich. Denn Luther hat ja nicht nur biblische Münzen und weitere Maßangaben aktualisierend verdeutscht, er hat überhaupt die soziale Welt der Bibel weithin in Strukturen und Begriffe spätmittelalterlicher Bauernhöfe und Handwerksbetriebe übertragen. So wurden ihm die Sklaven und Sklavinnen der Bibel zu Knechten und Mägden, die Schüler zu Jüngern (in Luthers Zeit war das ein Begriff für Junghandwerker) und der Lehrer wurde zum Meister.[3] Luther hat die biblischen Wörter in seine Lebenswelt übertragen. Doch wenn „Luther 2017“ die damaligen Anpassungen beibehält – auch sie spricht von Knechten und Mägden, von den Jüngern und dem Meister –, wird Luthers Aktualisierung zu Musealisierung Luthers.

Man kann so verfahren; man wird wohl weithin auch so verfahren müssen, wenn es um die Bewahrung der Sprache Luthers gehen soll. Aber man sollte dann ganz deutlich sagen, dass bei der Abwägung zwischen einer den originalen biblischen Texten entsprechenden Bedeutung und der Bewahrung der Sprache Luthers oft letztere die Oberhand behielt.

[1] Lepta waren auch im modernen Griechenland die kleinen Münzen, eine Drachme enthielt 100 Lepta. Auch nach der Einführung des Euro blieb der Lepto anstelle des Cent.

[2] Auch ein anderes „Lot“ begegnet in „Luther 2017“ nicht mehr, nämlich das „Bleilot“ in Am 7,7 in Luther ’84, das in der neuen Revision entsprechend neuerer exegetischer und archäologischer Einsicht in „Zinn“ korrigiert wurde (dazu auch eine *-Anmerkung).

[3] Dazu die – auch gegenüber der nur „halbherzige(n) Veränderung“ der üblichen Rede von den Jüngern und dem Meister in der Bibel in gerechter Sprache kritischen – Bemerkungen bei Klaus Wengst, Blicke aus meiner Mitarbeit an der „Bibel in gerechter Sprache“ auf die Lutherbibel und ihre Revisionen, in: Lange/ Rösel, Dolmetschen, 291-305, hier 301-303.

Ich will freilich keineswegs unterschlagen, dass ich „Luther 2017“ an vielen Stellen deutlich gelungener finde als die Revision von 1984. Auch dazu seien Beispiele genannt und dabei zuerst ein m.E. sehr erfreuliches. In Gen 2,18 übersetzte Luther (1545) die Worte Gottes vor der Erschaffung der Frau so: „Es ist nicht gut, das der Mensch allein sey / Jch wil jm ein Gehülffen machen / die vmb jn sey.” So blieb es, lediglich graphisch und orthographisch modernisiert, bis zur Revision von 1984. Hier erscheint die Frau als ebenso fürsorgliche wie subalterne „Gehilfin“ des Mannes. Dasselbe hebräische Wort ezer, das Luther hier mit „Gehülffen […], die“ und noch Luther ’84 mit „Gehilfin“ wieder gibt, steht auch in einem aus der Gottesdienstliturgie vertrauten Psalmenvers (Ps 124,8), in dem es (in den Lutherbibeln) heißt: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn“. Gott als Hilfe, die Frau als Gehilfin? Was motiviert diese verschiedenen Übersetzungen desselben hebräischen Wortes? Philologische Gründe sind es jedenfalls nicht. „Luther 2017“ folgt nun endlich dem hebräischen Text und verdeutscht in Gen 2,18: „Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ So steht es übrigens auch in der alten Einheitsübersetzung; die neue Ausgabe will die Gleichrangigkeit von Mann und Frau noch stärker betonen und verdeutscht: „eine Hilfe (…), die ihm ebenbürtig ist.“[1] Noch genauer am hebräischen Text übersetzt Frank Crüsemann in der Bibel in gerechter Sprache: „Ich will für ihn eine Hilfe machen, so etwas wie ein Gegenüber“.

Hat sich „Luther 2017“ glücklicher Weise von Luthers „Gehilfin“ verabschiedet, so begegnen wir wenige Verse danach noch immer der „Rippe“, aus der die Frau gemacht ist, obwohl das hier stehende hebräische Wort zela nicht „Rippe“, sondern „Seite“ heißt. Jedenfalls heißt es an all den vielen anderen Stellen, an denen es vorkommt, „Seite“ – warum sollte es an dieser einen „Rippe“ heißen? Von der Seite (pleura) spricht auch die (griechische) Septuaginta und erst die (lateinische) Vulgata hat hier mit „costa“ ein Wort, das (meistens) die Rippe bezeichnet. Dass „Luther 2017“ bei der Rippe bleibt[2], hängt wohl mit einem für diese Revision grundlegenden Kriterium zusammen, nämlich der Maßgabe für die Übersetzung, dass es umso weniger Veränderungen von Luthers Wortlaut geben solle, je bekannter die Texte sind.

Dazu sagt Christoph Kähler, der Leiter des Gesamtprojekts „Luther 2017“: „Bei Texten, die viele in den Gemeinden auswendig können wie Psalm 23, ändern wir kein Jota, geben aber in dringenden Fällen eine korrektere Übersetzung in der Fußnote.“[3] Bei Texten, die kaum jemand kenne, heißt es weiter, habe sich das Gremium eher zu Eingriffen entschließen können – falls notwendig. Das Wenige, das Menschen heute noch an biblischen Texten kennen, sollte ihnen möglichst unbeschädigt erhalten bleiben. Ich kann dem durchaus etwas abgewinnen. Allerdings ist dagegen zu fragen, ob das Festhalten am noch Bekannten und Vertrauten im Wissen darum, dass es immer weniger wird, nicht zu einer Art Bunkermentalität geraten kann, die sich gegen neue und frische Sprachformen verbarrikadiert. Vermutlich haben beide Sichtweisen ihr Recht. Doch abermals bleibt es dabei, dass in „Luther 2017“ im nicht seltenen Konflikt zwischen den originalen biblischen Texten und der Luthertradition oft letztere das größere Gewicht bekam.

Dazu eine Grundfrage: Wäre es dann nicht folgerichtig, ganz zu Luthers letzter eigener Übersetzung von 1545 zurück zu gehen? Präsentierte man sie orthographisch aktualisiert und in einem heute gängigen Druckbild, könnte man sie durchaus verstehen. Jedenfalls könnten es diejenigen, welche die in „Luther 2017“ stehen gebliebenen Wendungen wie „ob er gleich stürbe“, „auf dass“ oder „und hätte der Liebe nicht“ verstehen. Der Versuch, so stellt es sich mir dar, Luthers Bibel zu bewahren und zugleich den originalen biblischen Texten gerecht zu werden, gleicht dem der bekanntlich unmöglichen Quadratur des Kreises.

Zurück zur „Rippe“, aus der die Frau erschaffen sei. Gehört sie zu dem, was alle kennen und was darum nicht geändert werden darf, wie sehr auch das hebräische Wort danach verlangt? So dürfte es sein, doch da geht es viel mehr als um die lexikalische Bedeutung eines einzelnen Wortes. Denn es ist allemal ein gewaltiger Unterschied, ob die Frau aus einem überzähligen Knochen des Mannes erschaffen wurde, wie es nach verbreiteter Vorstellung im Alten Testament erzählt wird, oder aus der Seite und dann als Seite des Menschen, wie es wirklich in der hebräischen Bibel steht und wie es dann auch in ihre Verdeutschung stehen sollte.

[1] In der Tat weist die so ausgedrückte Absicht Gottes auf die Erschaffung der Frau voraus. Freilich bleibt zu beachten, dass dieser Satz zunächst Gottes (allerdings scheiternden) Versuch einleitet, dem Menschen in Gestalt der Tiere eine solche ihm entsprechende Hilfe zukommen zu lassen. Dann erweist sich aber, dass eine dem Menschen wirklich entsprechende Hilfe nur ein Mensch sein kann. Für die Übersetzung von Gen 2,18 stellt sich darum die Aufgabe, den Vers sowohl im Blick auf seine unmittelbare Fortsetzung als auch als Vorverweis auf die Erschaffung der Frau wiederzugeben. Gerade ersteres erweist die Wiedergabe von ezer mit „Gehilfin“ noch einmal als verfehlt. Nahezu obszön gefragt: Sollte Gott bei seinen ersten Versuchen lediglich weibliche Tiere im Blick gehabt haben?

[2] Hier empfiehlt sich eine längere Anmerkung: Als die Bibel in gerechter Sprache 2006 erschienen war, führte Frank Crüsemanns Übersetzung des Wortes zela mit „Seite“ – ebenso wie weitere, eng beim hebräischen Wortlaut bleibende Wiedergaben wie etwa in Gen 3,1 – zu heftigen Irritationen. Wörterbücher geben zwar für zela durchaus die Bedeutung „Rippe“ an, aber eben nur für Gen 2,21f., während es an all den vielen anderen Stellen „Seite“, „Seitenteil“ o.ä. meine. Samson Raphael Hirsch (Der Pentateuch, Erster Teil: Die Genesis [1893], 2. Neuauflage Frankfurt a.M. 1994, 58) notiert knapp und präzise, das Wort komme sonst im TaNaCH niemals als Rippe, sondern stets als Seite vor, und übersetzt dementsprechend in V. 21: Gott „nahm eine von seinen Seiten“ und in V. 22: „Sodann gestaltete Gott die Seite, die er vom Menschen genommen hatte“.
Zu den wenigen Belegen, in denen die Bedeutung „Seite“ vertreten und ausdrücklich stark gemacht wird, gehört (für diesen Hinweis danke ich Frank Crüsemann) ein Disput im Film „Yentl“, in dem Barbra Streisand die Hauptrolle spielte, Regie führte und gemeinsam mit Jack Rosenthal auch das Drehbuch verfasst hat. In einer Sequenz des Films beharrt die Protagonistin (als vermeintlich männlicher Tora- und Talmudschüler) gegenüber ihren Mitstudenten gegen die „Rippe“ wiederholt auf der „Seite“. (In der dem Film zugrundeliegenden Erzählung von Isaac B. Singer, „Yentl the Yeshiva Boy“, in: Ders., Short Friday, Philadelphia 1964, dt. „Jentl der Talmudstudent, in: Ders., Jentl, Reinbek bei Hamburg 1968, kommt dieser Disput nicht vor.)
Dagegen setzen nahezu alle deutschsprachigen Bibeln wie Kommentare für diese Genesis-Stelle(n), wie wenn es selbstverständlich wäre, die Sonderbedeutung „Rippe“ voraus. Das gilt merkwürdiger Weise auch für die bekannten deutschsprachigen jüdischen Übersetzungen aus dem 19. und 20. Jh., nämlich für die von Leopold Zunz edierte Ausgabe, in der Heymann Arnheim die Genesis übersetzt hat, ebenso wie für die Toraübersetzungen von Ludwig Philippson, von Joseph Wohlgemuth/ Isidor Bleichrode wie auch für die Verdeutschung der „Schrift“ von Martin Buber/ Franz Rosenzweig. Mag man über die Wiedergabe des Wortes zela noch streiten können, so ist es mehr als eigentümlich, dass selbst herausragende Exegeten hier nicht nur von der Rippe sprechen, sondern dabei die Rippe des Mannes voraussetzen, obwohl sie doch wissen, dass adam in Gen 2 nicht der „Mann“, sondern der „Mensch“ ist. So gibt Benno Jacob in seinem Kommentar (Das erste Buch der Tora. Genesis, [1934] Nachdruck New York o.J. [1974]) das hebräische Wort adam zwar unübersetzt als Adam wieder, spricht dann aber von einer „Bildung aus einem Gliede an der Seite des Mannes“ (ebd. 98). Noch verblüffender ist, dass Claus Westermann in seinem Kommentar (Genesis 1‐11 [BK I/1], Neukirchen‐Vluyn 1974) nicht nur von der „Erschaffung der Frau aus einer Rippe des Mannes“ (313) spricht, sondern die Wiedergabe: „die Rippe, die er vom Mann genommen hat“ auch in seiner der Kommentierung vorangehenden Übersetzung (hier 250) bietet.
Wie kommen solche Wiedergaben zustande? Ich kann mir nur vorstellen: Man(n) weiß eben, dass die Frau aus der Rippe des Mannes erschaffen ist, und das – um es noch mehr zuzuspitzen – soll dann so eben auch in der Übersetzung und Kommentierung von Gen 2 stehen. Mir geht es (auch an dieser Stelle) nicht darum, bedeutenden Übersetzern und Kommentatoren anmaßend-oberlehrerhaft Fehler anzustreichen; ich frage (mich) vielmehr, wie und in welchen Verstehenskontexten solche Fehler zustande kommen. – Angesichts der fast übermächtigen Zeugnisse für dieses Verstehen nimmt es kaum Wunder, dass auch „Luther 2017“ bei der Rippe geblieben ist. Immerhin bleibt adam in den Lutherbibeln an den betreffenden Stellen zutreffend mit „Mensch“ und nicht mit „Mann“ wiedergegeben.

[3] Zitiert nach dpa, 27.07.2015; ebenso in vielen weiteren Präsentationen von „Luther 2017“.

IV.

Immerhin macht „Luther 2017“ an nicht wenigen Stellen den biblischen Text auch gegen Luther stark. Das gilt nicht zuletzt für Aussagen über Frauen. In Gen 29,17 hatte Luther eine Charakterisierung der beiden Frauen Jakobs, der Schwestern Lea und Rahel, so übersetzt: „Aber Lea hatte ein Blöde gesicht, Rahel war hubsch vnd schön.“ 1984 hieß es: „Aber Leas Augen waren ohne Glanz, Rahel dagegen war schön von Gestalt und von Angesicht.“ Die Einheitsübersetzung lässt Leas Augen weiterhin „matt“ sein. Die Übersetzenden der neuen Lutherbibel nehmen wahr, dass das hebräische rakkkot der Augen hier kaum „blöde“ oder „glanzlos“ meint[1], sondern eher so etwas wie „sanft, zärtlich, mild“, und verdeutschen zutreffend und ansprechend: „Leas Augen waren sanft, Rahel aber war schön von Gestalt und von Angesicht.“

In diesen Zusammenhang gehört, dass gelegentlich auch eindeutige Fehlübersetzungen Luthers korrigiert wurden. Mit dem hebräischen Text in Gen 24,36 ist nun von „ihrem“, nämlich von Saras Alter die Rede und nicht, wie bei Luther selbst und bis Luther ’84 von „seinem“, Abrahams Alter. Wäre es, nebenbei, nicht souveräner gewesen, wenn es an solchen Stellen in den Fußnoten einen Hinweis auf Luthers Versehen gäbe?

An anderen Stellen sind zumindest problematische Übersetzungen Luthers stehengeblieben. In Ps 94,15 heißt es in einer dem hebräischen Text (ki-ad-zedek jaschuv mischpat) entsprechenden Wiedergabe: „Denn zur Gerechtigkeit soll/ wird das Recht zurückkehren“, und so oder ganz ähnlich steht es in allen ernst zu nehmenden Übersetzungen und auch (für diesen Hinweis danke ich Christoph Kähler) in Luthers erster gedruckter Psalmenübersetzung von 1524 („Denn das gericht wird widder zu recht komen“). In den Lutherbibeln von 1534 bis 2017 heißt es dagegen fortdauernd: „Denn Recht muss doch Recht bleiben“, und das war und bleibt sogar im Druckbild (in den früheren Fassungen durch Fett-, in „Luther 2017“ bei den Psalmen durch Kursivdruck) hervorgehoben. Was bewegte Luther selbst zur Veränderung seiner früheren Übersetzung? Ging es ihm hier – wie bei anderen Psalmenstellen – vor allem um eine prägnante deutsche Ausdrucksweise? Oder ist es denkbar, dass Martin Luther 1524 noch der Fassung der Septuaginta (heōs hou dikaiosynē epistrepsē eis krisin) und der entsprechenden der Vulgata (quoadusque iustitia convertatur in iudicium) nahe blieb und dann bei der Konzentration auf den hebräischen Text eine Verbform irrtümlich abgeleitet hat, nämlich das jaschuv nicht von schuv – „umkehren/ zurückkehren“, sondern von jaschav – „wohnen/ bleiben“?

Solche (bei Luther und seinen Mitübersetzern übrigens erstaunlich wenigen) Fehler können sich immerhin einschleichen, zudem in einem Fall wie diesem, denn Formen jener beiden hebräischen Verben können sehr ähnlich sein und darum leicht verwechselt werden. Wenn es so gewesen wäre, wäre das wahrlich kein Grund, dem Übersetzer Luther einen solchen Fehler allzu sehr anzukreiden. Und doch ist die Wiedergabe „Denn Recht muss doch Recht bleiben“ m.E. als Fehlübersetzung anzusehen, wie immer sie begründet sein mochte. Denn schuv heißt nicht „bleiben“, sondern „zurückkehren“ und hier finden sich im hebräischen Text mit zedek und mischpat nicht ohne Grund zwei unterschiedliche Rechtsbegriffe und nicht zweimal derselbe. Warum ist diese mindestens problematische Übersetzung noch in „Luther 2017“ stehen geblieben? Dieser Psalm gehört nun wahrlich nicht zu den bekannten und unter den im Evangelischen Gesangbuch stehenden Psalmen oder Psalmenausschnitten[2] für den gottesdienstlichen Gebrauch findet er sich gar nicht. Ich kann mir nur vorstellen, dass man bei Luthers „Recht muss doch Recht bleiben“ geblieben ist, weil es zu einer fast sprichwörtlichen Formulierung geworden ist.[3] Wollte man auch hier Luther als Sprachbildner die Ehre geben? Aber setzt das die Beibehaltung einer m.E. groben Verzeichnung des hebräischen Texts ins Recht? Dazu kommt, dass diese Wiedergabe die Brisanz der Aussage in diesem Psalmenvers mit ihrer Unterscheidung von zedek und mischpat, von Gerechtigkeit und Recht unkenntlich macht. An vielen alttestamentlichen Stellen erscheinen zedek/ zedaka und mischpat parallel. Aber hier kommt gerade ins Bild, dass es zwischen dem geltenden Recht und der Gerechtigkeit einen schreienden Widerspruch geben konnte und immer wieder gibt.[4]

Doch zurück zu besonders Frauen betreffenden Stellen und deren Wiedergabe in „Luther 2017“. Auch an anderen und gewichtigen Stellen werden Frauen glücklicher Weise nicht länger unsichtbar gemacht. So heißt es in Lk 1,5 nun gegen die 1984er Revision, die von einer Frau „aus dem Geschlecht Aaron“ spricht, mit dem griechischen Text: „von den Töchtern Aaron“. Und so wird endlich ohne Umschweife der Name einer von Paulus in Röm 16,7 ausdrücklich gegrüßten Person so wiedergegeben, wie er in den verlässlichsten neutestamentlichen Textzeugnissen steht, nämlich als „die Junia“. Das hat eine viel größere Bedeutung, als man auf den ersten Blick denken könnte. Denn diese Junia zählt Paulus unter die, „die berühmt sind unter den Aposteln“. Eine Frau unter den Aposteln?! Man versteht, warum spätere Textzeugnisse jene Junia mittels einer Geschlechtsumwandlung in einen Junias verwandelt haben.[5] Es ist gut, dass „Luther 2017“ nun im Text die Junia nennt (Luther ’84 hat im Text Junias und lediglich eine Fußnote besagt, dass es „wahrscheinlich“ eine Junia gewesen sei). Noch bemerkenswerter aber ist, dass die neue Einheitsübersetzung nun auch die Junia nennt, denn in der römisch-katholischen Kirche und ihrem Amtsverständnis bekommt die Rede von einer Frau unter den Aposteln ja noch viel mehr Gewicht.

Endlich ist auch die Anrede „Brüder“ in neutestamentlichen Briefen zu „Brüder und Schwestern“ geworden. Obwohl das entsprechende griechische Wort adelphoi nach lexikalischer Auskunft „Brüder“ heißt, meint es hier doch inklusiv Frauen und Männer. Denn unter den auf diese Anrede folgenden Namen können explizit auch die von Frauen genannt sein wie die erwähnte Junia, aber auch weitere. Darum ist es keiner political correctness geschuldet, sondern schlicht richtig, hier Brüder und Schwestern angeredet sein zu lassen.[6]

Dazu eine persönliche Anmerkung: Meine Freude über diese Änderung, der übrigens auch die neue Einheitsübersetzung folgt (man hört, das sei ein letztes Problem der für die Druckgenehmigung unerlässlichen katholisch-kirchenamtlichen Zustimmung gewesen), verbindet sich mir mit einer lebhaften Erinnerung. Als wir vor nun etwas mehr als zehn Jahren die Bibel in gerechter Sprache vorlegten, war unsere Wiedergabe „Brüder und Schwestern“ oder „Geschwister“ noch für Viele und dabei auch manche, die der Bibel in gerechter Sprache keineswegs schlechthin feindlich gegenüber standen, ein Grund, uns eine falsche Übersetzung vorzuhalten. Denn adelphoi heiße nun einmal Brüder und es gehe nicht an, die Bibel unseren gegenwärtigen Interessen anzupassen. Die 2007 erschienene Neue Zürcher Bibel entsprach in einer kurz vor ihrem Abschluss getroffenen Entscheidung in diesem Punkt der Bibel in gerechter Sprache und sowohl die neue Einheitsübersetzung als auch „Luther 2017“ entsprechen ihr jetzt.

[1] Dazu Klara Butting, Rachel und Lea, Texte und Kontexte 33 (1987) 25-54; Roland Gradwohl, VT 49 (1999) 129-141.

[2] Im christlichen Gottesdienst werden die Psalmen meist nach den Vorlagen im Evangelischen Gesangbuch und im (katholischen) Gotteslob gesprochen. Dabei sind nicht wenige Psalmen ganz weggelassen und viele sind erheblich gekürzt, um nicht zu sagen „amputiert“. Zu dieser Problematik J. Ebach, Das Alte Testament als Klangraum des evangelischen Gottesdienstes, Gütersloh 2016, 88-95.

[3] So steht sie etwa in der Schlusszeile der Gedichterzählung „Der Prozeß“ (1746) von Christian Fürchtegott Gellert (u.a. in: Gottfried Honnefelder [Hg.], Christian Fürchtegott Gellert. Werke, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1979, 53-55) und dürfte dort eine Anleihe an die Psalmenstelle in Luthers Wiedergabe sein. Aber ist die Anschlussfähigkeit einer Bibelübersetzung an den Zitatenschatz der Literaturgeschichte ein hinreichender Grund, bei einer Fehlübersetzung zu bleiben? – Die Beobachtung, dass durchaus auch gegenwärtige Schriftstellerinnen und Schriftsteller dann, wenn sie biblische Worte zitieren oder auf sie anspielen, das allermeist in der Fassung einer Lutherbibel tun (und dabei nicht selten in der von 1912), lässt zwei Blickweisen zu. Auf der einen Seite repräsentiert sich darin die noch immer prägende Sprachkraft der Lutherbibel(n), der in dieser Hinsicht im deutschsprachigen Raum keine andere Bibelübersetzung gleichkommt. Der Wortlaut einer Lutherbibel zeigt da an, dass es um die Bibel geht. Auf der anderen Seite wird ebenso deutlich, dass biblische Worte auf diese Weise als im doppelten Wortsinn überkommen, d.h. ebenso tradiert wie verstaubt, eingesetzt werden.
Nicht selten korrespondiert diese Sicht der auf die Kirche(n) überhaupt. Dazu ein kleiner Seitenblick: Als 2013 die „Orientierungshilfe“ des Rates der EKD zum Thema „Familie“ erschien, wurde von mehreren Seiten der Vorwurf erhoben, die evangelische Kirche habe sich damit von den biblischen und theologischen Grundlagen entfernt, um sich einem fragwürdigen Zeitgeist anzupassen. In dieser Kritik vereinten sich – und nur darum soll es jetzt gehen – diejenigen, welche aus eigener Überzeugung an vertrauten Positionen festhalten wollen, mit denen, welche die Kirche auf eben diese Positionen festlegen wollen, um sich weiterhin über verstaubte Kirchenansichten mokieren zu können. So erfuhr die Orientierungshilfe gerade in solchen Publikationsorganen gnadenlosen Spott, die sich selbst eher als linksliberal ansehen dürften – wie SPIEGEL oder TAZ. Zugespitzt formuliert: Kirche hat gefälligst altbacken bis reaktionär zu sein und zu bleiben, wenn sie Kirche sein und bleiben will. Auch wenn das nur indirekt mit der Frage der Tonlage einer Bibelübersetzung zu tun hat, bekommt es doch mit der Beobachtung zu tun, dass Bibel und Kirche offenbar weithin nur dann als authentisch erscheinen, wenn sie dem – noch einmal im doppeltem Wortsinn: überkommenen Bild verhaftet bleiben. Die Traditionspflege und dabei auch die in „Luther 2017“ transportiert darum – gewollt oder ungewollt – auch dieses Bild weiter. Das ist (abermals) kein Plädoyer dafür, „Luther 2017“ hätte sich besser um eine „moderne“ Sprache bemühen sollen, aber es ist eine kritische Rückfrage an eine Entscheidung, auch gegen den biblischen Wortlaut Luthers Wiedergabe beizubehalten, weil sie in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist.

[4] Zum Konflikt von Gerechtigkeit und Recht und damit zur Erinnerung an das, was Ps 94,15 zum Ausdruck bringt, eine aktuelle Impression: Wie oft steigen die Börsenkurse von Konzernen, wenn sie ankündigen, Tausende von Arbeitsplätzen weg zu rationalisieren? Das verstößt nicht gegen das Recht. Aber ist es gerecht? Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. 85 Milliardäre in der Welt besitzen so viel wie die arme Hälfte der ganzen Menschheit, d.h. so viel wie mehr als 3,5 Milliarden Menschen zusammen. Vorstandsmitglieder, deren Versagen zu Milliardenverlusten führte, konnten bei ihrem Ausscheiden die oft Millionen betragenden Boni einbehalten, während eine langjährige Angestellte fristlos entlassen wurde, weil sie von einem Buffet zwei Frikadellen mitgenommen hatte. Beides entspricht dem Recht. Vertraglich gesicherte Zusagen müssen eingehalten werden und ein Diebstahl ist auch dann ein Diebstahl, wenn es um einen kleinen Betrag geht. Gerecht ist es nicht und erst recht verletzt es jedes Gefühl für Gerechtigkeit, wenn beides gleichzeitig geschieht.

[5] Dazu – inzwischen klassisch – Bernadette Brooten, Junia … hervorragend unter den Aposteln (Röm. 16,7), in: Elisabeth Moltmann-Wendel (Hg.), Frauenbefreiung. Biblische und theologische Argumente, München 1982, 148–151.

[6] Zu fragen bleibt jedoch, ob das nur für die Anrede einer Gruppe von Menschen als adelphoi gilt und nicht auch für die Bezeichnung einer Gruppe von Menschen als adelphoi und ob die inklusive Sprache in „Luther 2017“ hier nicht auf zu wenige Stellen beschränkt bleibt. In 1Kor 15,1 erinnert Paulus in der Fassung in „Luther 2017“ „euch aber, Brüder und Schwestern“ (adelphoi) an das Evangelium. Wenige Verse danach erinnert er daran, dass Christus von mehr als fünfhundert adelphoi gesehen wurde. Hier bleibt es auch in der neuen Revision bei „Brüder“. Sind da wirklich nur Männer gemeint und lediglich in der vorausgehenden Anrede Männer und Frauen?

V.

Nicht so sensibel wie bei manchen Aussagen über Frauen verfährt „Luther 2017“ bei Jer 13,23. Da begegnet die rhetorische Frage, ob etwa ein Kuschit, d.h. ein Mensch aus Äthiopien oder dem heutigen Sudan, seine Hautfarbe oder ob ein Panther seine Fellstruktur ändern könne. Hier ist die Fassung der Revision von 1984: „Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln (…)?“ und damit Luthers eigene Rede vom Mohren stehen geblieben. In Luthers Sprachwelt klang im Wort „Mohr“ etwas Exotisches mit, aber nichts Verächtliches. Das ist heute allerdings anders. Während die alte Einheitsübersetzung an dieser Stelle vom „Neger“ sprach, hat die neue an Stelle dieser inzwischen zum „Unwort“ gewordenen Bezeichnung die dem hebräischen Text selbst folgende Wiedergabe „Kuschit“. Auch in den Zürcher Bibeln ist das Wort „Mohr“ der alten Ausgabe in der neuen in „Kuschit“ verändert. Aus dem Bearbeitungskreis von „Luther 2017“ ist zu vernehmen, man sei beim „Mohren“ geblieben, weil es sich um eine bereits in der Abfassungszeit des biblischen Textes sprichwortartige Wendung handele, die heutige Lesende nicht verstünden, wenn da „ein Mensch aus Kusch“ stünde. Mich überzeugt dieses Argument nicht[1], denn spätestens der zweite Teil des Satzes macht deutlich, was da bildhaft ausgedrückt ist. Es geht beim Kuschiten wie beim Panther um ein unveränderliches, doch weder beim Panther noch beim Kuschiten um ein negativ gewertetes Merkmal. Zudem ist die Wiedergabe von kuschi mit „Mohr“ ein Kategorienfehler. Denn das hebräische kuschi („Kuschit“) ist ja kein spezifisches Wort für Menschen einer bestimmten Hautfarbe, es bezeichnet vielmehr einen Menschen aus einem bestimmten Land, eben dem in der Bibel oft erwähnten und auch in „Luther 2017“ an den anderen Stellen so wiedergegebenen Land Kusch. Wenn Jer 13,23 von einem Kuschiten spricht, impliziert das freilich, dass der eine bestimmte Hautfarbe hat. Eine Übersetzung, die allein darauf abheben wollte, spräche heute allemal besser von einem „Schwarzen“ als von einem „Mohren“. Am besten wäre es jedoch gewesen, auch die neue Lutherrevision hätte die Sensibilität der Übersetzenden der Neuen Zürcher Bibel und der neuen Einheitsübersetzung und deren Lernfähigkeit im Umgang mit den jeweiligen früheren Fassungen erwiesen. Dass sie es nicht tat, kann ich mir abermals nur so erklären, dass in „Luther 2017“ möglichst viel Luther bleiben sollte. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“, wenn er nach Luther klingt. In Apg 8,27 ist die neue Revision immerhin nicht zu Luthers Kämmerer aus dem „Mohrenland“ zurückgekehrt, sondern lässt ihn wie die Revision von 1984 mit dem neutestamentlich-griechischen Wortlaut einen „aus Äthiopien“ sein. Das wäre auch für Jer 13,23 eine Möglichkeit, die Septuaginta gibt dort kuschi mit Aithiops wieder. Indem die neue Revision jedoch an dieser Stelle bei Luthers „Mohr“ bleibt, lässt sie gerade im stehengebliebenen alten Wort einen neuen, nämlich einen nun verächtlichen oder – wie es beim berühmten „Sarotti-Mohr“ einstiger Schokoladenwerbung war, die freilich 2004 aufgegeben wurde – einen kolonialistischen Ton erklingen oder doch mitklingen. Sie tut damit in ihrer darin nur scheinbaren Treue zu Luthers Übersetzung dem Übersetzer Luther Unrecht. Abermals bleibt die Frage, ob eine Wendung Luthers inzwischen falsch geworden sein kann, unterbelichtet. Und darum schiene mir hier die Beherzigung der Fortsetzung der eben angespielten Anleihe bei Schiller passender: „Der Mohr kann gehen.“[2]

Eine weitere die Hautfarbe eines Menschen betreffende Stelle ist in Hld 1,5 die Aussage der Geliebten: „sch´chora ani“. Hier kehrt „Luther 2017“ gegen das „Ich bin braun“ der Revision von 1984 zurück zu Luthers: „Ich bin schwarz“. Ganz entsprechend hat nun auch die neue Einheitsübersetzung „schwarz“ gegenüber der Wiedergabe „braun“ in der alten Fassung. „Braun“ heißt es auch in der (alten) Zürcher Bibel, die Neue Zürcher Bibel hat hier: „Dunkel“. Das hebräische Wort sch´chora gibt wohl all diese Möglichkeiten her. Für die Interpretation der Stelle ist es ist eine offene Frage, ob da an die von der Sonne gebräunte Haut zu denken ist, die jene Frau von den feinen Stadtfrauen unterscheidet, oder ob die Protagonistin des Hohenlieds sich hier als eine Schwarze, womöglich eine Kuschitin bezeichnet. Nicht weniger schillernd ist die in diesem Vers folgende Wortverbindung w´nawa. Das waw (w´) kann sowohl „und“ als auch „aber“ meinen und nawa bedeutet so etwas wie „schön, lieblich, anmutig“. Was zeigt die Wortverbindung hier an? Jedenfalls klingt die Übersetzung: „aber gar lieblich“ (Luther) sehr anders als die mit einem geradezu hörbaren Gedankenstrich einsetzende: „ – und schön“ (so Ulrike Eichler in der Bibel in gerechter Sprache). Während bei der Verbindung beider Adjektive mit „aber“ ausgedrückt ist, dass eine Frau, die braun oder schwarz ist, nicht schön, lieblich, anmutig wäre, kommt sie mit einem betonten „und“ der selbstbewussten Bekundung „Black is beautiful“ nahe. Oder kommt hier etwas ganz Anderes ins Bild, nämlich die Anspielung an eine schwarze Göttin und damit ein mythologisch-erotisches Motiv? Diese und weitere der vielschichtigen Verstehensfragen lassen sich schwerlich durch die bloße Übersetzung vorspuren. Da die Revision von 1984, die Luthers „schwarz“ in „braun“ änderte, sprachlich und sachlich keineswegs ausreichend begründet oder gar zwingend ist, lässt sich die Re-Revision in Luthers „schwarz“ in „Luther 2017“ gut vertreten. Freilich bleibt die Frage, ob heutige Leserinnen und Hörer bei jenem „Ich bin schwarz“ überhaupt etwas Anderes in Betracht ziehen werden, als dass es sich um eine Schwarze handele. Aber das wäre ja angesichts der europäisch-christlichen Auslegungsgeschichte des Hohenlieds und namentlich deren dominanten mariologischen Dimensionen ein allemal reizvolles Verstehen – dann womöglich gerade gegen das Stereotyp einer im europäisch-gotischen Gewand dargestellten Maria in berühmten Bildern der Kunstgeschichte und in den üblichen Krippenfiguren. All das kann ins Bild und vor Augen kommen, wenn es um die Wiedergabe jener Wortfolge in Hld 1,5 geht. Die Übersetzung eines biblischen Textes sollte sich nicht von der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte seiner Wörter, Worte und Motive abhängig machen, aber die Übersetzenden sollten sich bewusst sein, dass ihre jeweilige Entscheidung mit all dem zu tun bekommen kann. – Ob diese Impressionen übrigens gegen die Wiedergabe „schwarz“ oder für sie sprechen, bleibt mir ebenso schillernd wie es jene drei Wörter in Hld 1,5 selbst sind.[3]

Stehengeblieben ist in „Luther 2017“ weithin auch Luthers Wiedergabe des hebräischen Wortes gojim mit „Heiden“. Warum es manchmal zutreffend mit „Völker“ wiedergegeben wird, während es an anderen Stellen bei den „Heiden“ blieb, erschließt sich nicht wirklich. Dasselbe gilt für das neutestamentlich-griechische Äquivalent für die gojim, nämlich die ethnē, für die sich in „Luther 2017“ an manchen Stellen nun „Völker“ findet, an anderen aber weiter „Heiden“ steht. Bleiben die „Heiden“, wo es um negative Wertungen geht, während in positiven Kontexten von „Völkern“ die Rede ist? Aber auch das geht, soweit ich sehe, nicht ganz auf. War es doch eher das Sprachgefühl der jeweils mit der Bearbeitung der biblischen Bücher Betrauten, das zu diesem zwiespältigen Ergebnis führte.[4]

Doch auch hier geht es um mehr als ein Sprachgefühl. Nichtjüdische Menschen aus den Völkern – eben das meint gojim wie ethnē – „Heiden“ zu nennen, führt gegenwärtige Leserinnen und Hörer nämlich in die Irre. Mitglieder einer christlichen Kerngemeinde in Deutschland werden sich kaum selbst zu den „Heiden“ rechnen, obwohl sie es nach dem biblischen Sprachgebrauch von gojim und ethnē sind, sofern sie nicht, was eher selten ist, aus einer jüdischen Familie stammen. Von „Heiden“ spricht man heute – abgesehen vom „Heidenlärm“, vom „Heidengeld“ oder vom „Heidenspaß“ – fast nur noch im Kontext von Bildern von, mit Verlaub, Wilden mit ihren Baströckchen und ihren „heidnischen Bräuchen“ oder aber – inzwischen wohl häufiger – in dem selbstironischen oder auch selbstbewussten Ton, in dem sich jemand als ein „Heidenkind“ bezeichnet, um damit zu bekunden, sie oder er sei ohne christliche oder kirchliche Sozialisation aufgewachsen.

Was immer da heute erklingt oder mitklingt, das Wort „Heiden“ als Wiedergabe der gojim und der ethnē ist falsch geworden. Der Vergleich der Lutherbibeln von 1545 über 1912, 1984 bis 2017 zeigt, dass es zunehmend weniger vorkommt, aber es wäre an der Zeit, es gar nicht mehr zu gebrauchen. Doch die Überwindung solcher inzwischen falsch gewordener und darum nur auf den ersten Blick Luther selbst treu bleibender Wiedergaben ist offenbar weiterhin eine „Heidenarbeit“.

[1] Anders verhält es sich bei biblischen Redewendungen, die (in einer wirkungsvollen Übersetzung) noch heute sprichwörtlich sind und die man darum versteht, obwohl man womöglich ein einzelnes Wort meist nicht mehr versteht. Das gilt für die Redewendung, sein Licht (nicht) unter den Scheffel zu stellen, die auf das in Mt 5,15 gebrauchte Bild zurückgeht, das „Luther 2017“ mit Luther selbst und den vorangehenden Revisionen so wiedergibt: „Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel (…)“. Dass der Scheffel ein altes, meist für Getreide gebrauchtes Messgefäß ist, weiß freilich kaum noch jemand. Vertrauter ist heute das Verb „scheffeln“, aber das führte angesichts seiner stereotypen Verbindung mit „Geld“ zum gänzlichen Missverstehen der biblischen Wendung. Verständlicher verdeutscht die (alte) Einheitsübersetzung: „Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber“, während die neue auf den sprichwörtlich gewordenen „Scheffel“ zurückgeht und (fast) wie Luther übersetzt: „Man zündet auch nicht eine Leuchte an uns stellt sie unter den Scheffel (…).“ In einer Übersetzung geht fast immer etwas verloren; hier wird die Übersetzung zur Entscheidung, was man verloren gehen lässt: das Bildwort selbst oder das zum Sprichwort gewordene Bild, die Bibel in ihrer historischen Sprachgestalt oder die Bibel als Fundus deutscher Sprachkultur. „Was mich beim Übersetzen von Anfang an interessiert hat“, schreibt die große Dostojewski-Übersetzerin Swetlana Geier, „ist der Transportverlust. Mich interessierte, was verloren geht“ (in: S. Geier, Ein Leben zwischen den Sprachen, Dornach 52011, 142). – Bei der Wiedergabe von kuschi mit „Mohr“ geht es freilich weniger um einen Transportverlust als um etwas Mittransportiertes, das heute zu einer Last wird.

[2] Nach: „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua“ (III/4), u.a. in: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, hg. v. Peter-André Alt u.a., München/ Wien 2004, Bd. 1, 704. Bei Schiller heißt es allerdings: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.“ – Eine hübsche und womöglich auch auf Übersetzungsdiskurse applizierbare Aufnahme des zweiten Teils des Schiller-Zitats findet sich in Theodor Fontanes Gedicht „Die Alten und die Jungen“ (u.a. in: Theodor Fontane, Sämtliche Werke, hg. v. Edgar Groß, Bd. 20, Balladen und Gedichte, München 1962, 71). Es beginnt mit den Zeilen: „‘Unverständlich sind uns die Jungen‘ / Wird von den Alten beständig gesungen; / Meinerseits möchte ich’s damit halten: / ‚Unverständlich sind mir die Alten.‘ / Dieses am Ruderbleibenwollen / In allen Stücken und allen Rollen / Dieses sich Unentbehrlichvermeinen (…).“ Ob freilich die Jungen „Wirklich was Besseres schaffen und leisten“, lässt der Dichter offen, aber er setzt sie ins Recht, denn – so die Schlussverse – „Sie haben den Tag, sie haben die Stunde; / Der Mohr kann gehn, neu Spiel hebt an, / Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.“ Das mag auch für manche alte und manche neue Bibelübersetzungen gelten. Und nicht zuletzt die souveräne Gelassenheit, in welcher der deutlich über Siebzigjährige (Fontanes Gedicht entstand zwischen 1892 und 1894) das Tun „der Jungen“ ohne jede Larmoyanz betrachtet und es nicht ansieht: „Als wäre der Welt ein Weh getan“, könnten sich auch wir „Alten“ unter den BibelübersetzerInnen ins Stammbuch geschrieben sein lassen.

[3] Es mag auf den ersten Blick keine zentrale Frage sein, wie Angaben der hebräischen Bibel über Haut- oder Haarfarben von Menschen am besten wiedergegeben werden können. In Anbetracht mancher Bildsuggestionen und deren subkutan rassistischen oder biologistischen Implikationen ist sie jedoch nicht so marginal. Wie ist die Angabe in 1Sam 16,12, David sei admoni gewesen, zu übersetzen? War er „blond“ (so die [alte] Einheitsübersetzung) oder „bräunlich“ (so an dieser Stelle die Lutherbibeln)? Was immer im hebräischen admoni bezeichnet sein mag, wahrzunehmen bleibt, dass dieses Wort in der „Schrift“ nur noch an einer einzigen anderen Stelle vorkommt, nämlich bei der Beschreibung Esaus als admoni in Gen 25,25.
Die neue Einheitsübersetzung, die Neue Zürcher Bibel, die Bibel in gerechter Sprache wie auch Buber/ Rosenzweig nennen Esau und David „rötlich“. Leider behält „Luther 2017“ hier die bei Luther selbst und in den vorangehenden Revisionen begegnende Inkonsequenz der Wiedergaben in Gen 25,25 und 1Sam 16,12 bei und lässt Esau „rötlich“ und David „bräunlich“ sein. Das hebräische Wort admoni mag beide Wiedergaben rechtfertigen, nicht aber diese Unterscheidung. Klang in der Beschreibung Esaus als womöglich Rothaarigem eine negative Wertung mit, von der Luthers Übersetzung David frei halten wollte? Dann wäre es umso bedauerlicher, dass eine solche wertende Unterscheidung in der neuen Revision nicht ausgeschlossen wurde. Oder handelt es sich bei dieser Inkonsequenz schlicht um eine angesichts der enormen Textfülle allemal verzeihliche Unaufmerksamkeit? Die beiden Stellen wären jedenfalls ein kleiner Merkpunkt für die dringend zu wünschende Weiterarbeit an der Übersetzung.

[4] So heißt es in der Wiedergabe von or gojim in Jes 49,6 nicht mehr „Licht der Heiden“, sondern „Licht der Völker“; in Lk 2,32 ist jedoch das eis apokalypsin ethnōn mit „zur Erleuchtung der Heiden“ übersetzt, obwohl die Fußnote an dieser Stelle ausdrücklich auf die Nähe zu Jes 49,6 verweist.
Solche Inkonsistenzen gibt es auch in der Bibel in gerechter Sprache. Allerdings gibt es da einen Unterschied. In der Bibel in gerechter Sprache war es so, dass der Herausgabekreis im Verfahren mehrfachen Lesens und Gegenlesens der Übersetzungen zwar Rückfragen an die Übersetzenden stellte, welche diese zu einer Modifizierung ihrer Übersetzungen bewegte oder auch nicht, dass aber die Letztentscheidung bei den ÜbersetzerInnen blieb. Bei „Luther 2017“ war es umgekehrt, denn da hatte der Lenkungskreis die Letztentscheidung. Und deshalb markieren dort die erkennbar unterschiedlichen Entscheidungen bei den unterschiedlichen Texten nicht die unvermeidliche und oft auch sachgemäße Vielfalt der Verstehensmöglichkeiten, sondern stellen sich als Inkonsistenz des zentral sanktionierten Gesamttextes dar.
Auch dazu noch eine mehr als nur formale Anmerkung: In der Bibel in gerechter Sprache sind die jeweiligen Übersetzenden deutlich kenntlich gemacht, indem ihre Namen in der Einleitung jedes biblischen Buches und noch einmal im Anhang erscheinen. Auch im Anhang der neuen Einheitsübersetzung werden die Übersetzenden der Bücher für die verschiedenen Ausgaben der Einheitsübersetzung aufgeführt. In Buchausgaben von „Luther 2017“ bleiben sie, abgesehen von der Möglichkeit, sie in Beiträgen zur Übersetzungsarbeit oder in (nach meinen Versuchen kaum aufzufindenden) Internet-Eintragungen verzeichnet zu finden, anonym. Wäre es nicht auch für die Lesenden der Buchausgaben hilfreich zu erfahren, dass da jeweils bestimmte Menschen mit ihren jeweiligen Kompetenzen, aber auch ihren jeweiligen Optionen und Interessen tätig waren? Wäre es ein Fehler, wenn die Übersetzenden ihr jeweils eigenes Profil und Gesicht hätten und dabei deutlich würde, dass es eben nicht nur um das Gesicht und Profil Luthers zu tun ist?
Nicht nur in dieser Hinsicht erscheint „Luther 2017“ geradezu als „katholischer“, d.h. als allgemeiner und weniger von den je individuellen Übersetzungsoptionen tingiert denn die katholische Einheitsübersetzung.

VI.

Kommen wir zu einem weiteren Merkmal von „Luther 2017“. Da gibt es an vielen Stellen mit einem Sternchen (*) versehene Anmerkungen, die angeben, wie eine Stelle „wörtlich“ zu lesen sei. Zur Wiedergabe in Joh 1,1 („und Gott war das Wort“) heißt es da: „Gemeint ist: Von göttlicher Art war das Wort.“ Das trifft zu, denn das Wort „theos“ steht hier im neutestamentlich-griechischen Text ohne Artikel und es ist darum kein Substantiv, das „Gott“ bedeutet, sondern ein Adjektiv, welches „göttlich“ oder „gottähnlich“ meint.[1] Aber warum steht dann nicht auch im Text von „Luther 2017“, was gemeint ist?

Dazu eine grundsätzliche Anmerkung: Der Hinweis auf eine „wörtliche“ Übersetzung ist da sinnvoll, wo man auf eine wörtliche Wiedergabe verzichtet, weil sie unverständlich wäre. Wenn etwa eine deutsche Übersetzung die englische Wendung: „It’s raining cats and dogs“ mit: „Es regnet Bindfäden“ wiedergibt, könnte die Anmerkung durchaus sinnvoll sein, wörtlich hieße es: „Es regnet Katzen und Hunde.“ In diesem Fall wären Wiedergaben wie: „Es regnet Bindfäden“ oder auch: „Es schüttet wie aus Eimern“ angemessen, weil sie das im Englischen Bezeichnete zutreffend in zwar ganz andere, aber gerade so dem Gemeinten entsprechende deutsche Sprachbilder übertrügen. Aber dieses Beispiel trifft auf die Wiedergabe des artikellosen theos mit „Gott“ überhaupt nicht zu. Denn die Wiedergabe dieses theos mit „göttlich“ oder „gottähnlich“ wäre ja keineswegs unverständlich. Sie besagte allerdings etwas theo-logisch durchaus Anderes. Warum also steht im Text in „Luther 2017“ gegen den in der Fußnote genannten Wortsinn „Gott“? Meine einzige Erklärung ist: Weil es bei Luther so steht und weil das ein sehr bekannter Text ist, an dem nichts geändert werden soll. Aber müssten nicht gerade auch bei bekannten und sehr bekannten Worten Luthers Wiedergaben kritisch geprüft und gegebenenfalls auch korrigiert werden?[2] Oder hat der deutsch schreibende israelische Aphoristiker Elazar Benyoëtz Recht und behält auch 2017 Recht, wenn er pointiert sagt: „Luther zwang die Bibel, ihm zu glauben; so entstand die Lutherbibel“[3]?

Es gibt in „Luther 2017“ fast putzige „Rettungen“ des alten Luthertexts. So ist in Spr 1,10 Luthers Formulierung „wenn dich die bösen Buben locken“ beibehalten. In der *-Anmerkung heißt es: „Wörtlich: ‚Sünder‘“. Und warum steht dann nicht auch im Text „Sünder“? Weil es nun einmal bei Luther „böse Buben“ heißt? Aber dann kann diese butzenscheibenhafte Wendung, zumal wenn sie, entschieden anders als in Spr 1,10 selbst, auf Frauen oder Mädchen als Adressatinnen bezogen gelesen wird, auch die einst hübsche, doch heute selbst längst altbackene Fortsetzung in Erinnerung bringen: „Wenn dich die bösen Buben locken, dann bleib zu Haus und stopfe Socken!“
Nein, an dieser Stelle der biblischen Sprichwörter geht es keineswegs um böse kleine Jungs, die liebe kleine Mädchen vom Pfad der Tugend abbringen wollen, sondern, wie die folgenden Verse klar besagen, um mord- und raubgierige Verbrecher. Offenbar konnte man das zu Luthers Zeiten in der Rede von den „bösen Buben“ hören.[4] Heute hört man es gar nicht mehr und darum ist Luthers Verdeutschung inzwischen falsch geworden. Sie beizubehalten versetzt den biblischen Text in ein kleinbürgerliches Interieur des 19. Jahrhunderts und dessen mit Bibelsprüchen bestickten Vorhängen oder Stopfkissen. Das aber folgt gewiss nicht Luthers Absicht.

[1] Dazu Klaus Wengst, Das Johannesevangelium, 1. Teilbd.: Kapitel 1‐10 (ThKNT 4,1), Stuttgart 2000 (²2004), 46-48.

[2] Dass die „Lutherbibel“ im Konflikt zwischen „Bibel“ und „Luther“ immer wieder mehr Luther als Bibel präsentiert, zeigt sich etwa an Ps 90. Dieser Psalm gehört zu den nicht zuletzt wegen seiner Bedeutung in den Beerdigungsagenden vertrauten Bibelworten. Diese Bedeutung bekam er v.a. darum, weil in Luthers späteren Übersetzungen (anders übrigens noch 1524) das zweimal vorkommende Wort „sterben“ betont ist. An beiden Stellen (in V. 3 und V. 12) steht ein Wort für „sterben“ jedoch nicht im hebräischen Text von Ps 90 und es ist sogar fraglich, ob es an diesen Stellen in der Sache gemeint ist. „Luther 2017“ gibt hier „Luther 1545“ den Vorzug vor der „Schrift“. „Sola scriptura“? Oder doch eher: Wenn’s um die Kern- und Not-Ration geht, „allein nach der Lutherbibel“?

[3] In: E. Benyoëtz, Allerwegsdahin. Mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche, Zürich/ Hamburg 2001, 80.

[4] „Buben“ können in Luthers Sprache gewalttätige und machtvolle Übeltäter sein. Entsprechend sprach er in der Übersetzung von 1Kön 21,13 von den beiden Männern, deren Falschaussage Nabots Hinrichtung bewirkte, als den „zween losen Buben“ und noch die Revision von 1912 nennt sie: „zwei lose Buben“. „Luther 2017“ nimmt dagegen die Fassung von 1984 auf und bezeichnet sie als „die zwei ruchlosen Männer“. Ob „ruchlos“ zu den Wendungen gehört, die man zwar heute kaum noch benutzt, die aber noch immer verständlich sind, oder ob das heute weithin gar nicht mehr verstanden und etwa mit „geruchlos“ verwechselt wird, sei einmal dahin gestellt. Immerhin bleibt die Frage, ob es ratsam ist, die gleichsam vorgestrige Rede von den „losen Buben“ in die gestrige von den „ruchlosen Männer(n)“ zu verwandeln. Doch gewiss mit Recht kehrte die Bearbeitung von „Luther 2017“ hier nicht zu Luthers „losen Buben“ zurück. Eine solche Wiedergabe hätte in der Tat in heutiger Lektüre ihren den Justizmord bewirkenden Meineid zu einem „Bubenstreich“ vermindert. Dass es in Spr 1,10 gleichwohl bei den „bösen Buben“ blieb, zeigt jedoch nur zu deutlich an, dass hier nicht die bleibende Verstehbarkeit, sondern allein der bleibende Wiedererkennungswert der Luther’schen Wortwahl den Ausschlag gab. An dieser Stelle macht mich die Beibehaltung der Luther-Fassung fassungslos.

VII.

Die *-Anmerkung, „wörtlich“ bedeute es etwas anderes, bekommt es bei Jes 7,14 mit einer ungleich folgenreicheren Übersetzung zu tun. Auch „Luther 2017“ lässt die alma in diesem Vers eine „Jungfrau“ sein. Dazu lesen wir unter *: „Wörtlich: ‚junge Frau‘“. Abermals trifft die Anmerkung zu und abermals ist zu fragen: Und warum dann im Text nicht wörtlich?

Hier geht es um ein brisantes Thema. Kann sich die Jungfrauengeburt Jesu auf diese als deren Verheißung gelesene Jesajastelle stützen? Nein, sie kann es nicht. Vielleicht hat ja das bei der Erstellung von „Luther 2017“ letztlich entscheidende Lenkungsgremium hier gegen einen Übersetzungsvorschlag der Fachkundigen auf der „Jungfrau“ bestanden. Ich weiß das nicht. Aber auch die Mitglieder jenes Lenkungsgremiums wissen, dass das hebräische Wort alma eine junge Frau und keine Jungfrau meint. Und warum bleibt es im Text von Jes 7,14 dennoch bei der „Jungfrau“? Weil es bei Luther so steht und weil Luther an die Jungfrauengeburt glaubte? Ja, vermutlich darum. Immerhin hat diese Auffassung nicht nur das Glaubensbekenntnis, sondern auch Matthäus und Lukas auf ihrer Seite. Bei den beiden anderen Evangelisten und bei Paulus findet sich dieser Glaube allerdings nicht. Ist Jesus der Sohn einer Jungfrau oder ist er es nicht? Auf die Bibel kann sich beides stützen. Was immer da stimmen mag, jedenfalls liegt hier die Wahrheit nicht in der Mitte.

Aber nun ernsthaft: In der Tat konnte jene Jesajastelle in ihrer griechischen Fassung im Neuen Testament als Hinweis auf die Jungfrauengeburt Jesu gelesen werden. Aber es ist – das ist jetzt durchaus moralisch formuliert – nicht redlich, das hebräische Wort alma, das eine junge Frau meint, in der Übersetzung des hebräischen Textes von Jes 7,14 wider besseres Wissen mit „Jungfrau“ wiederzugeben.[1] Auch in der neuen Einheitsübersetzung ist es bei der „Jungfrau“ geblieben. An dieser Stelle, scheint mir, vermochte sie sich der Tradition nicht entgegen zu stellen. Allerdings – und das ist nicht wenig – hat sie in diesem Vers die Zeitform geändert. Indem es nun heißt: „die Jungfrau hat empfangen“, und nicht mehr: „wird ein Kind empfangen“ wird das Jesajawort immerhin nicht mehr als unmittelbare Verheißung einer dereinst heilsgeschichtlichen Jungfrauengeburt ins Bild gesetzt. Das gilt entsprechend für Jes 9,6. Auch da hat die neue Einheitsübersetzung nun ein Präteritum, während „Luther 2017“ beim Präsens bleibt.[2] Die Wiedergabe der Zeitform des hebräischen Textes ist (bei aller Schwierigkeit gerade der Zeitbestimmung hebräischer Verbformen) von größter Bedeutung. Denn es geht um die Frage, ob sich die prophetische Ansage auf etwas bezieht, das in Israel wirklich wurde, oder ob sie im inzwischen fragwürdig gewordenen Modell von „Verheißung und Erfüllung“ auf das Neue Testament vorausweist. Gleichwohl bleibt es in der neuen Einheitsübersetzung wie in „Luther 2017“ bei der mehr als fragwürdigen Übersetzung des Wortes alma mit „Jungfrau“.

Gewiss gibt es selten die richtige Übersetzung, aber es gibt falsche und das ist eine davon. Wir sollten uns dabei auch an eine böse christliche und namentlich Luther‘sche Erblast erinnern. Die (freilich schon in der hellenistisch-jüdischen Septuaginta zu findende) Übersetzung des hebräischen Wortes alma, welches eine junge Frau meint, in ein griechisches parthenos, welches (jedenfalls meistens[3]) eine Jungfrau bezeichnet, konnte zur Waffe werden, die man Juden vorhielt[4], um ihnen vorzuführen, sie verstünden ihre eigene „Schrift“ nicht, wenn sie Jesus nicht als den verheißenen Messias, ja, wenn sie ihn nicht als Gott anerkennen.[5]

[1] Es war gewiss keine textkritische Entscheidung, hier gegen den sonst und mit gutem Grund zugrunde gelegten masoretischen Text der Septuaginta zu folgen, denn es gibt keinen Anlass zu der Annahme, die griechische Fassung gebe hier einen ursprüngliche(re)n Text wieder. Die Übersetzung von alma mit „Jungfrau“ erspart freilich den aufmerksam Lesenden die Frage, wie sich die neutestamentliche Aufnahme von Jes 7,14 mit dem Text von Jes 7,14 verbinden lässt. Dabei bekommt man es mit Grundfragen und -problemen von Rezeptionsgeschichte und (biblischer) Hermeneutik zu tun und es gibt da keine einfache Antwort. Dieses komplexe Problem aber in der Beibehaltung der christlich-traditionellen Wiedergabe von alma mit „Jungfrau“ gleichsam weg zu übersetzen scheint mir kein guter Weg zu sein.

[2] Zu dieser Stelle und zur schwierigen Frage der hebräischen Tempora überhaupt Levin, Durchsicht, in: Lange/ Rösel, Dolmetschen, 201-204, sowie Spieckermann, Antwort, ebd., 214-218.

[3] Belege für parthenos in der griechischen Literatur außerhalb der Bibel zeigen immerhin, dass es nicht immer „Jungfrau“ meint, sondern auch eine „junge Frau“, d.h. eine Frau eines bestimmten Lebensalters bezeichnen kann (dazu etwa Gerhard Delling, Art. parqe/noj, ThWNT V, 824-835, hier 825f.).

[4] In seiner nicht nur polemischen, sondern darüber hinaus von bösen bis ekelhaft pornographischen Passagen durchzogenen Spätschrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“ (1543 [WA 53, 579-648, das folgende Zitat ebd. 634]) verspricht Luther dem, der ihm zeigen könne, dass alma keine Jungfrau, sondern eine junge Frau meine, hundert Gulden: „Und kann mir ein Jüde oder Ebreist weisen, das ‚Alma’ etwa jnn der Schrifft eine Fraw heisse, der sol hundert gülden bey mir haben, Gott gebe, wo ich sie finde.“ Zu jenen hundert Gulden bemerkt Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), EKK I/1, Köln/ Neukirchen-Vluyn 1985, 107, ebenso lakonisch wie treffend: „Er ist sie schuldig.“

[5] Dazu mit den entsprechenden Belegen Klaus Wengst, Martin Luther und die Juden. Über theologische Judenfeindschaft als Geburtsfehler des Protestantismus, in: Ders., Christsein mit Tora und Evangelium. Beiträge zum Umbau christlicher Theologie im Angesicht Israels, Stuttgart 2014, 35‐52, bes. 46f.

VIII.

Wenden wir uns einem daran sich anschließenden Themenkreis zu. Wie kommt in „Luther 2017“ das Judentum in den Blick? Abermals fällt mein Urteil zwiespältig aus. Es gibt Stellen, an denen die Rückkehr zu Luther selbst den antijüdischen Verstärkungen der späteren Lutherbibeln entgeht. So ist es etwa bei einer freilich sprachlich schwierigen Stelle in Est 8,11[1], so ist es aber auch in Röm 11,15. Da ist nämlich in „Luther 2017“ wie bei Luther selbst und noch in der Revision von 1892 von Israels „Verlust“ die Rede und nicht mehr wie in den Revisionen von 1912 und 1984 von Israels „Verwerfung“. Entsprechend steht auch in der Neuen Zürcher Bibel „Verlust“, während die (alte) Zürcher Bibel „Verwerfung“ hatte. Hier hat auch die neue Einheitsübersetzung die Fassung von 1980 geändert. Sie gibt das griechische Wort apobolē ebenfalls nicht mehr als Verwerfung wieder, sondern als Zurückweisung. Gemeint ist da übrigens nicht Gottes Zurückweisung Israels, sondern – in dieser Linie gibt es Claudia Janssen in der Bibel in gerechter Sprache wieder – Israels „Nein“ zu Jesus als dem Messias, eben jenes „Nein“, das nach Röm 9-11 gleichwohl nicht zur Folge hat, dass Gottes Bund mit Israel aufgekündigt wäre.

Gut ist auch die Veränderung in Offb 2,9 und 3,9. Ältere Revisionen der Lutherbibel, aber auch die (alte und neue) Einheitsübersetzung sowie die Zürcher Bibeln geben hier die Worte synagōgē tou satana mit „Synagoge des Satans“ wieder. Das entspricht auf den ersten Blick exakt dem griechischen Wortlaut, aber es bekommt doch einen falschen Ton.[2] Es geht nämlich an beiden Stellen um Menschen, die, wie es ausdrücklich heißt, Juden zu sein vorgeben, es aber nicht sind. Um einer Lektüre zu entgehen, die im Wort „Synagoge“ das Judentum bezeichnet und mit dem Satan verbunden sehen könnte, ist die Wendung in „Luther 2017“ – übrigens nun mit Martin Leutzschs Wiedergabe in der Bibel in gerechter Sprache übereinstimmend – in „Versammlung des Satans“ verändert.[3]

Ebenso richtig ist auch die Vermeidung der noch in Luther ’84 begegnenden Wendung „Judengenossen“ in der Wiedergabe des griechischen prosēlytos/ prosēlytoi in Mt 23,15; Apg 2,11; 6,5; 13,43. Obwohl es in „Luther 2017“ möglichst wenige Fremdwörter geben sollte, ist hier dennoch (mit *-Anmerkungen versehen) von „Proselyten“ die Rede und nicht weiter das unsäglich gewordene Wort „Judengenossen“ gebraucht.

In diesem Zusammenhang ist eine Veränderung hervorzuheben, die umso bemerkenswerter ist, weil sie den vertrauten Text der „Weihnachtsgeschichte“ betrifft. Sprachlich und sachlich heißt es nun in Lk 2,4 richtig, die Eltern Jesu seien: „in das judäische Land“ statt (mit Luther und bis Luther ’84) „in das jüdische Land“ gezogen. Gemeint ist bei der Wendung „eis tēn Ioudaian“ die römische Provinz Judäa. Dagegen insinuierte eine Reise von Nazaret in ein „jüdische(s) Land“, dass Nazaret in Galiläa kein jüdisches Gebiet gewesen sei. Diese Fehlauffassung hatte in der Auslegungsgeschichte und namentlich ihren Formen, in denen man Jesus u.a. damit aus dem Judentum herausdefinieren wollte, böse Folgen. Darum war die Korrektur dringend überfällig. Dass sie an dieser Stelle sehr wohl einen Text betrifft, den manche in der Gemeinde mitsprechen können und an dem nach den immer wieder betonten Kriterien für die Revision eigentlich „kein Jota“ hätte geändert werden dürfen[4], zeigt eindrucksvoll, dass die Hörgewohnheit nicht – wie subkutan auch immer – zur Judenfeindlichkeit werden soll. An solchen Stellen muss jede Treue zu Luther ihre Grenzen haben und darum ist die Änderung in „Luther 2017“ gut.

Zeigt sich an diesen Stellen in „Luther 2017“ eine gewachsene Sensibilität und eine erkennbare Wahrnehmung der neueren Besinnung auf die Grundfragen des Verhältnisses von Kirche und Israel, so bleiben dagegen andere Entscheidungen unterbelichtet. In Röm 10,4 ist Luthers Rede von „des Gesetzes Ende“ stehen geblieben. Das griechische Wort telos kann Ende, aber auch Ziel meinen.[5] Ob vom Ende oder vom Ziel der Tora die Rede ist, macht freilich einen großen Unterschied und mit ihm verbinden sich zentrale Fragen nach dem Verhältnis von Tora und Evangelium, von Altem und Neuen Testament, von Israel und Kirche. Hier erklärt die betreffende *-Anmerkung: „Luther verstand unter ‚Ende‘ auch ‚Ziel‘.“ Reicht das als Grund, beim „Ende“ zu bleiben? Mit einer entsprechenden Begründung hätte man dann ja auch Luthers Gebrauch des Wortes „Weib“ beibehalten und in einer Anmerkung sagen können, Luther habe unter „Weib“ ohne jede Abwertung eine nichtadelige Frau verstanden. Es mag ja sein, dass Luther hier unter „Ende“ auch „Ziel“ verstanden hat – ich habe da meine Zweifel –, aber heute verstehen wir unter „Ende“ und „Ziel“ keineswegs immer dasselbe und da möchten wir doch wissen, was von beidem in Röm 10 gemeint ist. Und darum gilt mit Klaus Wengst: „Wenn ‚Ziel‘ gemeint ist, muss auch mit ‚Ziel‘ übersetzt werden.“[6] Die neue Einheitsübersetzung hat das beherzigt und das in der Ausgabe von 1980 stehende Wort „Ende“ unumwunden in „Ziel“ verändert.

Noch eine weitere Bemerkung zur Wahrnehmung des Judentums in den Übersetzungen. Nach Mt 9,20 berührt eine Frau den „Saum“ des Gewandes Jesu. So lesen wir es bei Luther und auch in „Luther 2017“ wie in der (alten und neuen) Einheitsübersetzung und der Neuen Zürcher Bibel. Das mit „Saum“ wiedergegebene griechische Wort kraspedon meint die zizit, den „Schaufaden“ (so die Bibel in gerechter Sprache) bzw. „die Quaste“ (so die [alte] Zürcher Bibel) und setzt Jesus in seiner Kleidung als jüdischen Mann ins Bild. Warum wird Jesu Jude-Sein an dieser Stelle durch die Ersetzung des spezifisch jüdischen „Schaufadens“ in einen allfälligen „Saum“ noch in „Luther 2017“ so verdunkelt?[7] Die neue Revision bleibt hier durchaus „saumselig“. Wie lange sollen wir noch warten, bis das Jude-Sein Jesu auch an solchen nur vordergründig vordergründigen Stellen in der Übersetzung zum Ausdruck kommt?

Wie die Wiedergabe des Schaufadens mit „Saum“ etwas, das Jesus eindeutig als Juden kennzeichnet, unsichtbar macht, zeigt sich an einem anderen Übersetzungsbeispiel die anachronistische Christianisierung eines Festes, nämlich des dreimal im Neuen Testament als pentekostē erwähnten Wochenfests (Schawuot), das 50 Tage nach Pesach gefeiert wird. Die meisten deutschsprachigen Bibeln und auch „Luther 2017“ geben pentekostē mit „Pfingsten“ wieder. Nun ist „Pfingsten“ in der Tat eine sprachliche Ableitung von pentekostē, aber diese Wiedergabe suggeriert etwa in Apg 20,16, Paulus habe an jenem „50. Tag“ in Jerusalem sein wollen, um dort das ‚christliche‘ Pfingstfest zu begehen.[8]

Einen noch deutlicheren Anachronismus bieten in „Luther 2017“ mehrere *-Anmerkungen zum Wort „Weg“, die besagen, der Begriff „Weg“ sei in der Apostelgeschichte „häufig eine Bezeichnung für das Christentum“. Das ist mehr als nur unscharf, denn „das Christentum“ gibt es in der Zeit des Neuen Testaments nicht. Der Begriff „Christentum“ erscheint nicht vor dem 2. Jahrhundert n. Chr. und sollte nicht in die Zeit des Neuen Testaments rücktransportiert werden.[9] Im Neuen Testament geht es um innerjüdische Diskurse und auch um Konflikte zwischen denen, die Jesus als den Messias bekennen, und den jüdischen Mehrheitsgruppierungen. Da stehen nicht „Judentum“ und „Christentum“ als zwei Religionen einander gegenüber und das sollten auch Anmerkungen in „Luther 2017“ nicht suggerieren. Solche Fußnoten – das sei allemal eingeräumt – müssen knapp sein und können darum nicht alle Nuancen zum Ausdruck bringen, aber sie sollten die Lesenden wenigstens nicht irreführen.

[1] Diese Stelle bedarf v.a. wegen ihrer Auslegungs- und Wirkungsgeschichte großer Aufmerksamkeit. Denn in einer bestimmten syntaktischen Zuordnung zweier Wörter in diesem Vers wurde sie als Beleg dafür ausgegeben, dass die Bibel selbst Juden als Kinder- und Frauenmörder kennzeichne. Das kann hier nur knapp behandelt werden, zum biblisch-hebräischen Text, zur weiteren Text- und Übersetzungsgeschichte und zur Auslegung sei verwiesen auf Rainer Kessler, Die Juden als Kindes- und Frauenmörder? Zu Ester 8,11, in: Erhard Blum u.a. (Hg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte, FS Rolf Rendtorff, Neukirchen-Vlyun 1990, 337-345, wieder abgedruckt in: Ders., Gotteserdung. Beiträge zur Hermeneutik und Exegese der Hebräischen Bibel (BWANT 170), Stuttgart 2006, 221-227.
Es geht um den Erlass des persischen Königs, der den Juden die militante Gegenwehr gegen die Feinde erlaubt, die ihnen nach dem Leben trachten. In der Satzfolge gibt es als eine Näherbestimmung die Worte taf w´naschim („Kinder und Frauen“). Die Frage ist, wozu diese beiden Wörter eine Näherbestimmung sind. Präzisieren sie den Kreis derjenigen jüdischen Menschen, die angegriffen wurden – deutlich dafür sprechen die hebräische Satzstruktur und dann die masoretische Akzentsetzung –, oder meinen sie den Kreis derjenigen, gegen die sich die jüdische Gegengewalt richten darf, wie es manche Übersetzungen (u.a. die der Vulgata) und viele Auslegungen nahelegen?
Das Problem zeigt sich im Gegenüber der Wiedergaben in Luthers eigener Übersetzung von 1545, der Revision von 1984 und der in „Luther 2017“. 1545 hieß es über den betreffenden Erlass: Darinnen der König den Jüden gab / wo sie in Stedten waren / sich zuuersamlen vnd zu stehen fur jr Leben / vnd zu vertilgen / zu erwürgen vnd umb zu bringen alle macht des Volcks vnd Landes / die sie engsteten / sampt den kindern vnd weibern / vnd jr gut zu rauben”. Die Bestimmung „samt den kindern und weibern“ ist hier nicht eindeutig zugeordnet. Eindeutig wird sie jedoch durch Wortfolge und Zeichensetzung in der Revision von 1984. Da heißt es über den Erlass: „Darin gab der König den Juden, in welchen Städten sie auch waren, die Erlaubnis, sich zu versammeln und ihr Leben zu verteidigen und alle Macht des Volks und Landes, die sie angreifen würden, zu vertilgen, zu töten und umzubringen samt den Kindern und Frauen und ihr Hab und Gut zu plündern“.
Nicht Luther selbst, sondern eine deutsche Revision der Lutherbibel – nach der Schoa! – setzt die Text- und Auslegungsgeschichte fort, die Juden als Kinder- und Frauenmörder präsentiert. Die Übersetzung in „Luther 2017“ prolongiert diese Übersetzungsgeschichte zum Glück nicht, sondern sieht die Juden selbst „samt Kindern und Frauen“ tödlichen Angriffen ausgesetzt. Diese Wiedergabe ist mindestens die vom hebräischen Text her vorzuziehende, dazu sei noch einmal auf Kesslers genannten Aufsatz verwiesen.
Ausdrücklich erwähnt sei hier der jeweilige Gleichklang mit der Einheitsübersetzung. Deren alte Fassung hatte hier (u.a. in der Tradition der Vulgata) die Wiedergabe: „Mit diesem Erlaß gestattete der König den Juden in allen Städten, sich zusammenzutun, um für ihr Leben einzutreten, um in jedem Volk und in jeder Provinz alle ihre Gegner samt ihren Frauen und Kindern zu erschlagen, zu ermorden und auszurotten und ihren Besitz zu plündern”. Dagegen heißt es in der neuen Einheitsübersetzung: „Mit diesem Erlass gestattete der König den Juden in allen Städten, sich zusammenzutun und für ihr Leben einzutreten und die ganze Heeresmacht von Völkern und Provinzen auszurotten, zu töten und zu vernichten, die sie samt Kindern und Frauen bedrängten, und ihren Besitz zu plündern.” Genannt sei hier auch die Übersetzung von Klara Butting in der Bibel in gerechter Sprache: „dass der König den Jüdinnen und Juden in jeder einzelnen Stadt die Erlaubnis gebe, sich zu versammeln und für ihr Leben einzutreten. Ihnen wurde genehmigt, alle Schlägertruppen von Volk und Provinz auszurotten, zu erschlagen und zu vernichten, die sie, Kinder und Frauen bedrängen würden, und ihre Habe zu plündern.“

[2] Vgl. Wengst, Blicke, in: Lange/ Rösel, Dolmetschen, hier 299.

[3] Vielleicht wäre hier sogar die Rückkehr zu Luthers eigener Wiedergabe mit „des Satans Schule“ eine Möglichkeit gewesen, bzw. es wäre eine Möglichkeit geworden. Denn das Wort „Schule“, das bei Luther die regelmäßige Wiedergabe von synagōgē war, hört man heute nicht mehr v.a. auf das Judentum bezogen. Darum wäre es an dieser Stelle nicht mehr so anfällig für eine judenfeindliche Lektüre, wie es in Luthers Sprache war. Heutige Leserinnen und Hörer werden zudem bei „Schule“ nicht unbedingt an ein Gebäude denken, sondern es als Wort für eine Einübung (etwa: „Schule des Lebens“) oder auch eine bestimmte Lehrmeinung (etwa die „religionsgeschichtliche Schule“ in der Theologie oder die „neoliberale Schule“ in der Ökonomie) wahrnehmen. In Offb 2,9; 3,9 wäre darum die Rückkehr zu Luthers Übersetzung mithin nicht deren Repristinierung; sie bekäme vielmehr heute einen neuen Klang, der jene Stellen vor Missverständnissen schützen könnte. In der Sache sei angemerkt, dass mit dem Satan in der Johannesoffenbarung nicht das Judentum, sondern das römische Imperium verbunden wird.

[4] Immerhin dürfte das der Grund sein, warum in Lk 2,5 die vertraute Wendung „mit Maria, seinem vertrauten Weibe“ und damit das sonst aus gutem Grund in „Luther 2017“ weithin, wenn auch nicht gänzlich gemiedene Wort „Weib“ stehen geblieben ist. Dazu gibt es eine *-Anmerkung, die besagt, was es „wörtlich“ heiße. Auch da ist zu fragen, warum es dann nicht auch im Text „wörtlich“ stehe (zu diesem Thema s.o.). Freilich wäre die der Fußnote folgende Wendung („mit Maria, die ihm zur Ehe versprochen war“) in der Textlesung für die Gemeinde gewöhnungsbedürftig. Aber nimmt, wer das fürchtet, nicht „die Gemeinde“ allzu statisch in den Blick? Ich gestehe, dass mir in der Verlesung des Textes in einem Heiligabendgottesdienst noch immer der Landpfleger Cyrenius und nicht der Statthalter Quirinius im Ohr ist und dass ich bei den Einsetzungsworten des Abendmahls noch immer eine geheime Sehnsucht nach dem „Desselbigengleichen“ und beim Glaubensbekenntnis nach der „Auferstehung des Fleisches“ empfinde. So habe ich es schließlich einst gelernt. Aber glücklicher Weise sind nicht alle Gottesdienstbesucherinnen und -besucher in meinem Alter und auch diejenigen, die noch die alten Worte und Formeln im Ohr haben, könnten doch für neue (und in den genannten Fällen gut begründete) Formulierungen aufmerksam werden. Sie könnten sich z.B. darüber freuen, nun endlich zu verstehen, was es mit „seinem vertrauten Weibe“ auf sich hat, nämlich dass Josef seine Frau nicht schon „ewig“ kennt.

[5] Luthers Wiedergabe mit „Ende“ kann darum nicht einfach als falsch bezeichnet werden. Allerdings bleibt die Brisanz der Stelle in „Luther 2017“ in der Wahrnehmung des Textes und der ihr zugeordneten Anmerkung (s.u.) abermals zumindest unterbelichtet.

[6] Dazu Wengst, Blicke, in: Lange/ Rösel, Dolmetschen, hier 297, im Zusammenhang weiterer zentraler Bemerkungen zum Bild des Judentums in deutschsprachigen Bibelübersetzungen.

[7] Ein etwas genauerer Blick macht die Sache noch problematischer: Während Luther ’84 und jetzt auch „Luther 2017“ das Wort kraspedon in Mt 9,20 und den weiteren entsprechenden Evangelienstellen auf die Kleidung Jesu bezogen mit „Saum“ übersetzen, wird es in Mt 23,5 dagegen im Blick auf die Pharisäer mit „Quasten“ wiedergegeben. Hier zeigt sich die Tendenz, Jesus von anderen jüdischen Männern zu unterscheiden. Immerhin übersetzte Luther selbst auch an diese Stelle „Säume“. Gerade die neueren Revisionen machen gezielt einen Unterschied zwischen Jesus und anderen Juden, den Luther noch nicht machte. Bei Luther ist es allerdings so, dass er in den Bestimmungen in Num 15,38f. das Wort zizit (Septuaginta: kraspedon) mit „Läpplein“ wiedergibt. Hier findet sich von Luther 1912 über 1984 bis 2017 die Übersetzung „Quasten“. An „Luther 2017“ adressiert: Die Wiedergabe „Quast(en)“ für das hebräische zizit und das griechische kraspedon gehört damit zum Wortbestand dieser Revision. Warum dann nicht auch da, wo es um die Kleidung Jesu geht?

[8] Vgl. Wengst, ebd. 294.

[9] Dazu Klaus Wengst, Jesus zwischen Juden und Christen. Re-Visionen im Verhältnis der Kirche zu Israel, Stuttgart 22004, hier bes. § 9 mit der Frage: Seit wann gibt es das Christentum?, 106-128.

IX.

Noch eine kleine Notiz zur Sprachwelt der neuen Lutherrevision. Es gibt da manche überfällige Ersetzungen altertümlicher Wörter durch heute geläufige. So begegnen uns nicht mehr wie bei Luther selbst und bis Luther ’84 „Wehmütter“, sondern „Hebammen“. Freilich begegnet uns noch immer der „Oheim“. Ist das so, weil der Onkel bei Luther eben „Oheim“ heißt? Aber warum bleibt die Tante dann nicht wie bei Luther die „Muhme“ und die Schwiegertochter die „Schnur“? Das von Luther gebrauchte Wort „Schnur“ für die Schwiegertochter findet sich noch in der ersten kirchenamtlichen Gesamtrevision der Lutherbibel von 1892. Diese 1912 durch eine neue Revision abgelöste Ausgabe nannte man darum später gelegentlich liebevoll-spöttisch die „Schnürchenbibel“.[1]

Von jenen altertümlichen Verwandtschaftsbezeichnungen ist in „Luther 2017“ der Oheim geblieben. Vielleicht wird man ja die einstweilen neueste Lutherbibel dereinst die „Oheimbibel“ nennen. Das wäre immerhin netter als sie im Blick auf eine ihrer anderen musealen Wendungen die „Böse-Buben-Bibel“ in Erinnerung zu behalten.

[1] Eine nicht liebevolle, sondern nur spöttische Bezeichnung erfuhr die 1975 vorgelegte Revision des Neuen Testaments, die wegen ihrer als zu modernistisch beurteilten Sprache weithin abgelehnt wurde. Man belegte sie im Blick auf die Wiedergabe des bei Luther mit „Scheffel“ übersetzten Wortes modios in Mt 5,15 (s. dazu o. Anm. 23) mit „Eimer“ mit dem Spottnamen „Eimertestament“. Hier zeigt sich die Schwierigkeit jeder neuen Revision. Denn weder ist alles „im Lot“, wenn es bei den alten, vertrauten Wendungen bleibt, noch ist alles „im Eimer“, wenn neue Wiedergaben erprobt werden.

X.

Ein Blick soll noch zwei Präsentationsformen der in „Luther 2017“ übersetzten Texte gelten, nämlich den Überschriften der einzelnen Passagen und den im Druckbild sichtbaren Hervorhebungen der als besonders wichtig und beherzigenswert angesehenen Bibelstellen. Beides hat Tradition und beides bleibt mir fragwürdig. Jedenfalls sollte man bei den Überschriften wissen, dass sie nicht zum Bibeltext selbst gehören, sondern von den jeweiligen Herausgebenden hinzugefügt wurden. Nun sind solche Überschriften durchaus hilfreich, wenn man etwa eine bestimmte Geschichte sucht. Aber sie enthalten immer auch eine bestimmte Leselenkung. Die Überschrift „Die Frage nach dem ewigen Leben. Der barmherzige Samariter“ vor Lk 10,25-37 in „Luther 2017“ betont die Frage, um die es in dieser Passage geht, und begnügt sich immerhin nicht wie Luther ’84 mit „Der barmherzige Samariter“. Aber wie wäre die Geschichte zu lesen und was könnte sie auslösen, wenn sie die durchaus zutreffende Überschrift hätte: „Jesus und ein anderer jüdischer Schriftkundiger sind sich in wesentlichen Fragen des Glaubens einig“?[1]

Noch immer lautet die Überschrift über Gen 3 „Der Sündenfall“, obwohl im Text weder von Sünde noch von Fall die Rede ist. Auch hier bekam die traditionelle Auffassung die Oberhand über das, was wirklich im Text steht.[2] Eine deutliche Verbesserung zeigt sich dagegen in der Überschrift vor Röm 11. Sie lautete in Luther ’84 „Nicht ganz Israel ist verstockt“ und nun 2017 viel besser und für die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Israel viel zentraler: „Gott hat sein Volk nicht verstoßen“.

Die Bibel in gerechter Sprache, aber etwa auch die Verdeutschung der „Schrift“ von Martin Buber und Franz Rosenzweig verzichten darauf, den Bibeltexten Überschriften hinzuzufügen. Das hat gute Gründe, denn oft fungieren die Überschriften als Anweisungen für ein bestimmtes Verstehen. So sehr ÜbersetzerInnen, ExegetInnen, InterpretInnen und HerausgeberInnen von Bibelübersetzungen davon träumen mögen, dass ihr Verstehen auch das der Lesenden sein möge, so wenig sollten sie doch ihr Verstehen als das schlechthin richtige ausgeben. Hüten wir uns davor, den Lesenden und Hörenden schon vor einem Textabschnitt zu dekretieren, wie sie ihn zu lesen hätten!

Entsprechendes gilt für die in vielen Lutherbibeln und auch in „Luther 2017“ im Druckbild fett oder kursiv hervorgehobenen, d.h. als besonders wichtig erachteten Stellen. Da ist es aufschlussreich, die verschiedenen Bibelausgaben über die Zeiten daraufhin durchzusehen, was da als jeweils besonders wichtig durch Fettdruck hervorgehoben ist und was nicht. Doch auch wer den Fett- oder Kursivdruck herausgehobener Stellen an sich ebenso wenig mag wie die hinzugefügten Überschriften, kann mit Freude sehen, dass in „Luther 2017“ nun auch das Gebot, die Fremden zu lieben wie sich selbst, in Lev 19,34 fettgedruckt ist. In der Revision von 1984 ist in diesem Abschnitt die Weisung, vor einem grauen Haupt aufzustehen, durch Fettdruck betont, die unmittelbar danach stehende Weisung, die Fremden zu lieben „wie dich selbst“, aber nicht.[3] In „Luther 2017“ ist nun die ganze Sequenz der Verse 32-34 fett gedruckt. Wenn man denn schon bestimmte Verse auf diese Weise hervorheben will, ist es nur gut, dass das nun auch im Blick auf die Fremdenliebe geschieht. Das gilt ebenso dafür, dass nun auch das „Schwerter-zu-Pflugscharen“-Wort in Jes 2,4; Mi 4,3 durch Fettdruck hervorgehoben ist.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass es immer auch jeweils aktuelle Fragen sind, welche solche Hervorhebung motivieren.[4] Das ist ja auch völlig richtig, aber es erweist noch einmal, wie sehr die biblischen Worte und Texte je heute zu Wort kommen müssen und wie wenig es damit getan ist, Fragestellungen des 16. Jahrhunderts zum Maßstab zu machen. Allerdings sollte man dabei auch die immer geringer werdenden „Halbwertzeiten“ des je gegenwärtig Aktuellen in Anschlag bringen. Es könnte ja sein, dass gerade ein heute scheinbar marginales Wort der Bibel einmal seine höchste Aktualität erweisen möchte. (Das könnte vielleicht für die oben genannte Wendung in Ps 94,15 gelten, wenn sie denn beim biblischen Wortlaut bliebe.) Gleichwohl bleibe ich bei der Mahnung, das jeweils heute besonders Wichtige nicht als das schlechterdings ewig Zentrale zu präsentieren.

[1] Im Anklang an die entsprechende Erwägung einer Überschrift zur darin parallelen Passage in Mk 12,28-34 bei Martin Leutzsch, Dimensionen gerechter Bibelübersetzung, Sonderdruck zum Projekt Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2002, 5-32, hier 19.

[2] Dazu J. Ebach, Dialektik der Aufklärung, in: Junge Kirche extra 2008 („Exegetische Skizzen“ zum DEKT Bremen 2009), 2-10; Frank Crüsemann, Was ist und wonach fragt die erste Frage der Bibel? Über das Thema Scham als „Schlüssel“ zur Paradiesgeschichte, in: Kerstin Schiffner u.a. (Hg.), Fragen wider die Antworten, Gütersloh 2010, 63-79.

[3] Der Grund dafür war, dass sich die Weisung der Ehrfurcht vor den Alten mit dem Gebot der Elternehre im Dekalog verbinden ließ, die der Liebe zu den Fremden aber nicht. Auf geradezu verhängnisvolle Weise zeigt sich hier ein Problem der Auffassung, die „Zehn Gebote“ seien so etwas wie eine Kurzfassung all des ethisch Gebotenen, sie seien – mit der prägnanten Formulierung Thomas Manns (in der Novelle „Das Gesetz“, in: Werke, Tb.ausg. in 12 Bdn., Erzählungen 2, Frankfurt a.M. 1967, 663) – „Das Ewig-Kurzgefaßte, Bündig-Bindende, Gottes gedrängtes Sittengesetz“, „die Quintessenz des Menschenanstandes“. So schön das klingt, so sehr greift es doch zu kurz. Denn dass das Thema des Verhaltens gegenüber den Fremden im Dekalog nicht eigens betont erscheint, besagt nicht, dass es weniger wichtig wäre. Kaum ein Gebot wird in der hebräischen Bibel häufiger und stärker betont als das, die Fremden nicht zu bedrücken. Es erscheint immer wieder und in allen großen atl. Rechtssammlungen, im „Bundesbuch“, im „Heiligkeitsgesetz“ und in der deuteronomischen Gesetzgebung. Es steht jedoch darum nicht im zentralen Fokus der „Zehn Gebote“, weil es in denen v.a. um das Verhalten der freien und gleichen israelitischen Männer in ihren möglichen Konflikten untereinander geht. So wurde gerade die Hochschätzung der Zehn Gebote zur Engführung in der Wahrnehmung der biblischen Ethik, indem das, was in ihnen nicht eigens zum Thema wird, fälschlich als minder bedeutend erschien.

[4] Dass nun auch 1Petr 2,17 so hervorgehoben ist, hängt damit zusammen, dass die Worte „Fürchtet Gott, ehret den König!“ das biblische Vor-Wort der 5. These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 war.

XI.

Die neue Lutherrevision enthält einen ausführlichen Anhang, der u.a. Zeittafeln, Angaben zu Maßen, Gewichten und Geldwerten, Sach- und Worterklärungen sowie Hinweise zu den in den Umschlagseiten vorne und hinten in dieser Bibel abgebildeten Landkarten enthält. Ich will jetzt auf die Sach- und Worterklärungen nicht weiter eingehen – da ist m.E. manches treffend und anderes weniger gelungen. Dazu jetzt nur eine Stelle. Unter den Begriffen „Hure, Hurer, Hurerei“ erfahren wir, das Neue Testament verbiete neben der Prostitution und der Pädophilie „– entsprechend dem damaligen medizinisch-psychologischen Kenntnisstand – Homosexualität (Röm 1,26f. unter Einfluss von 3. Mose 18,22).“

Da ist vieles schief. Die Parenthese „– entsprechend dem damaligen medizinisch-psychologischen Kenntnisstand –“ verstehe ich als knappen Versuch, einer unmittelbaren Übertragung biblischer Sätze über Homosexualität auf die Gegenwart kritisch entgegen zu treten. Das ist ja auch richtig, aber da geht es nicht um einen inzwischen neuen medizinisch-psychologischen Kenntnisstand – ganz abgesehen davon, dass die Einordnung von Homosexualität in den Bereich von Medizin und Psychologie selbst schon problematisch ist. Etwas viel Wichtigeres nämlich fehlt in dieser Erklärung, nämlich der Hinweis darauf, dass es in den Homosexualität thematisierenden Urteilen im Alten wie im Neuen Testament an keiner Stelle um eine auf Liebe und Treue basierende gleichgeschlechtliche Partnerschaft geht. Darum sind die biblischen Sätze kein Beitrag zur gegenwärtigen Debatte um die Haltung der Kirchen zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und nicht, weil sich der medizinisch-psychologische Kenntnisstand verändert hat.

Zudem ist es angesichts der gegenwärtig enormen Brisanz des Themas „Homosexualität“ vor allem für die Evangelikalen gar nicht gut, es als eine Art Anhang unter der Rubrik „Hure, Hurer, Hurerei“ abzuhandeln. Es hätte allemal eine eigene Rubrik verdient und da hätte es ebenso differenzierterer wie klarerer Auskünfte bedurft.

XII.

Nur wenige Aspekte zur neuen Revision der Lutherbibel konnten angesprochen werden. Ein ganz eigenes Thema wäre der Umgang mit dem Gottesnamen. Hier ist „Luther 2017“ bei der traditionellen, doch in mehrfacher Hinsicht problematischen Wiedergabe „Herr“ (in Kapitälchen) geblieben, freilich ohne die bis zu den letzten Phasen seiner Übersetzung erkennbaren Bemühungen Martin Luthers um eine differenzierte und jeweils angemessene Wiedergabeform zu berücksichtigen.[1]

Ich versuche so etwas wie ein Fazit meiner Blicke auf „Luther 2017“. Ich zolle dem Unternehmen meinen großen Respekt. In ihm steckt eine gewaltige und engagierte Arbeit Vieler[2], und Vieles ist in meiner Sicht besser und z.T. auch erheblich besser geworden als in der vorangehenden Revision von 1984. Meine Hochachtung wird auch nicht dadurch gemindert, dass ich „Luther 2017“ an vielen Stellen kritisch sehe. Das betrifft eine Fülle von einzelnen Übersetzungsentscheidungen, aber es gehört nun einmal zum Problem jeder Übersetzung, dass sie strittig und dass sie auch bei bestem Bemühen hinter dem Original zurück bleibt. Im Italienischen gibt es dazu das bekannte und oft zitierte Wortspiel „traduttore – traditore“ („ein Übersetzer [ist] ein Verräter“). Das trifft ja auch zu, denn eine Übersetzung muss in vielen Fällen auch einen Verrat am Übersetzten begehen. Zitiert sei dazu aber dann auch die schöne Bemerkung der ÜbersetzerInnen Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn: „Traduttore traditore – sind Übersetzer Verräter? Ja, wir verraten euch, was in fremden Büchern steht.“[3]

Wer auf Übersetzungen verzichten will, muss auf einen großen Teil der Weltliteratur verzichten. Ich bin auch bei Texten aus Sprachen, die ich mehr oder weniger gut gelernt habe, ohne sie wirklich zu beherrschen (beherrschen kann und will ich nicht einmal meine deutsche Muttersprache), auf Übersetzungen angewiesen, um zu erkennen, dass das, was ich da lese und verstehe, oft nicht die einzige Möglichkeit ist. Bei Werken aus mir nur umrisshaft oder gar nicht bekannten Sprachen bin ich völlig aus Übersetzungen angewiesen. Ich freue mich also über jede Übersetzung, auch wenn sie das Original bestenfalls annähernd wiedergeben kann. Und ich freue mich auch über jede Bibelübersetzung, auch dann, wenn ich mich immer mal wieder über manche einzelnen Wiedergaben oder auch über die gesamte Sprachform ärgern mag.

In diesem Sinn begrüße ich „Luther 2017“ sehr und freue mich, in Zukunft auch in dieser Übersetzung lesen und mit ihr arbeiten zu können. Es sei noch einmal betont, dass sich an nicht wenigen Stellen die Rückkehr zu Luther auch als eine Rückkehr zur Bibel selbst erwies. Ich sehe gerade darin eine große Stärke der neuen Revision. Begrüßenswert sind an etlichen Stellen auch Veränderungen gegenüber der voraufgehenden Revision, die nicht auf Luthers eigene Übersetzung zurückgehen, sondern zu neuen eigenen Entscheidungen kommen. Besonders denke ich da an die genannten Stellen, in denen es um Frauen geht, und an die, bei denen „Luther 2017“ eine judenfeindliche Verstehensmöglichkeit zu vermeiden trachtet. Eine richtige Entscheidung war auch die, an Stellen, für die es inzwischen bessere Textbezeugungen gibt als sie Luther und seinen Mitübersetzenden damals zur Verfügung standen – nicht nur, aber besonders bei den Apokryphen –, die Übersetzung auf die zuverlässigeren Bezeugungen zu stützen.

Dem gegenüber steht jedoch, dass an den ebenfalls nicht wenigen Stellen, an denen sich Luthers Übersetzung vom Wortlaut und Wortsinn der biblischen Texte entfernt, die Entscheidung m.E. zu oft zugunsten der Luthertradition ausfiel. Hier präsentiert „Luther 2017“, um es ganz deutlich zu sagen, im Bestreben der Bewahrung vertrauter Wiedergaben Luthers an nicht wenigen Stellen Übersetzungen, die den originalen biblischen Texten nicht entsprechen oder ihnen gar widersprechen. Das zuweilen in den *-Anmerkungen anzudeuten, ist m.E. nur ein halbherziges Verfahren. Die EKD hatte, wie erwähnt, das Projekt einer konfessionsverbindenden gemeinsamen neuen Einheitsübersetzung aufgegeben, weil sie im katholischen Beharren auf der Tradition die Wahrnehmung der biblischen Texte gefährdet sah. Nun liegt mit „Luther 2017“ eine Revision vor, für die zwar das Fußen auf den biblischen Texten ein zentrales Kriterium war, die jedoch nicht selten letztlich ihrerseits der Tradition, nämlich der Luther-Tradition den Vorrang gibt.[4]

Was mithin den das Projekt „Luther 2017“ prägenden Versuch angeht, möglichst viel von Luthers eigener Verdeutschung zu bewahren und zugleich den biblischen Texten gerecht zu werden, komme ich zu dem Fazit: Dieser Versuch ist letztlich gescheitert. Er musste scheitern wie jeder Versuch einer Quadratur des Kreises. Aber er ist auf höchstem Niveau gescheitert. Das ist allemal kein überwiegend negatives Urteil. Wenn ich etwa zur „Gute Nachricht Bibel“ sage, sie sei auf einem niedrigen Niveau gelungen, heißt das keineswegs, dass ich sie der neuen Lutherrevision vorziehen würde. Wenn „Luther 2017“ allerdings bereits auf der (in meinem Exemplar) dem Vorwort voraufgehenden Umschlagseite des Buches und in mehreren kirchenamtlichen Bekundungen so annonciert wird, dass sie nun die für die evangelischen Kirchen maßgebliche sein solle[5], dann möchte ich dem entgegenhalten: Der reformatorische Grundsatz „sola scriptura“ – „allein (durch) die Schrift“ meint nicht: ‚allein (durch) die Lutherbibel‘ – in welcher Fassung oder Revision auch immer.

[1] Bemerkenswert ist, dass Christoph Kähler in seinem einleitenden Beitrag „Erhalten, Erneuern und Ersetzen. Die Revision der Lutherbibel 2017“ im o. gen. Evangelische Theologie-Themenheft (239-245) die durchgängige Wiedergabe des Gottesnamens mit „Herr“ weniger sprachlich oder/ und theologisch begründet sondern eher pragmatisch. Das habe „sich in der zur Verfügung stehenden Zeit und wegen des hohen exegetischen, systematischen und reformationsgeschichtlichen Aufwands nicht verwirklichen lassen“ (ebd. 244f.). Ich möchte diese Bemerkung nicht nur als Rechtfertigung lesen, sondern auch als Aufforderung zu einer wichtigen künftigen Arbeit. Verwiesen sei dafür auf Heinrich Assel, Der Name Gottes bei Martin Luther. Trinität und Tetragramm – ausgehend von Luthers Auslegung des Fünften Psalms, EvTh 59 (2204) 363-378, dazu Ders., Gottesnamen und Kernstellen in Luthers Bibelübersetzung 1545. Eine systematisch theologische Perspektive, in: Lange/ Rösel, Dolmetschen, 107-135, sowie auf Wengst, Blicke, ebd. 291-305, hier bes. 292f.
In der Fortsetzung dieser Fragestellung geht es nicht nur um differenzierte Schreibweisen des Gottesnamens, sondern letztlich auch darum, ob eine Bibelübersetzung dabei bleiben soll, Gott gegen zentrale Aussagen der Bibel selbst (u.a. Num 23,19; Dtn 4, 15f.; Hos 11,9) weiterhin als Mann zu kennzeichnen. Diese Grundfrage bekommt es auch mit der Wiedergabe einzelner Wörter zu tun. Die Lutherbibeln verdeutschen in der Gottesrede in Hos 11,9: „Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch“ (ganz entsprechend auch die Einheitsübersetzungen). Hier steht aber im hebräischen Text nicht adam (Mensch), sondern isch. Warum soll isch hier nicht wie sonst „Mann“ heißen? Offenbar soll die biblische Aussage, Gott sei kein Mann, in den Übersetzungen vermieden werden. Dass die soziale Welt der Bibel weithin patriarchal ist, kann und soll keine Übersetzung unkenntlich machen. Aber Übersetzungen sollten sie nicht noch patriarchaler machen, als sie in der Bibel ist. Damit bekommt auch die Vorstellung Gottes und die Vorstellung von Gott zu tun. Etwas sophisticated gesagt: Wir wissen alle, dass Gott kein Mensch ist; nun müssen wir noch lernen, dass Gott auch kein Mann ist.

[2] Im schon mehrfach genannten Themenheft der Zeitschrift „Evangelische Theologie“ zeigen u.a. die Beiträge von Helmut Utzschneider und Martina Böhm die erhebliche Komplexität der Fragestellungen für das Übersetzen und ebenso der letztlichen Entscheidungsfindungen für „Luther 2017“. Mit Recht urteilt Jörg Lauster, ebd. 304, über das Verfahren, in dem Kommissionen mehrheitlich über den Text entschieden, es „macht nicht glücklich und ist doch alternativlos.“

[3] Carina von Enzenberg/ Hartmut Zahn, Fährleute, in: Dietmar Härtel/ Felix Mayer (Hg.), Diesseits von Babel. Vom Metier des Übersetzens, Köln 2008, 37-39, hier 38.

[4] Mit Recht erinnert der methodistische Bischof i.R. und Neutestamentler Walter Klaiber daran, dass das Projekt einer konfessionsübergreifenden Einheitsübersetzung am katholischen Traditionsprinzip scheiterte, und befürchtet, dass die nun für die Revision 2017 „geforderte Bewahrung von Luthers Sprache und Theologie an einigen Stellen […] eher dem katholischen Traditionsprinzip entspricht“ (Ders., Denkmalpflege versus Benutzerfreundlichkeit, in: Lange/ Rösel, Dolmetschen, 183-188, hier 183).

[5] Die Formulierung: „Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat den revidierten Text angenommen und als maßgeblichen Text zum kirchlichen Gebrauch empfohlen“ ist gewiss mit Bedacht – je nach Lesart – so diplomatisch oder so doppelbödig gewählt, indem sie einerseits von einer Empfehlung spricht, andererseits aber eine Maßgabe enthält.

XIII.

Zum Schluss soll im Gespräch mit und über „Luther 2017“ noch einmal eine konkrete Textstelle und deren Wiedergabe zu Wort kommen. Dem Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner in Lk 10 voraus geht ein Gespräch. An dessen Beginn steht die Frage eines Schriftgelehrten an Jesus, wie er Anteil am unvergänglichen Leben bekommen könne.[1] Jesus verweist ihn auf die Tora und fragt ihn: „Wie liest du?“ (Lk 10,26). Im griechischen Text steht hier: „pōs anaginōskeis?“ Luther selbst verdeutschte (1534 und 1545) im Einklang mit dem griechischen Wortlaut: „Wie liesestu?“, und noch in den Revisionen von 1892 und 1912 steht wie auch in der alten Zürcher Bibel: „Wie liesest du?“ Die Lutherbibel von 1984 hat Luthers eigene Übersetzung in: „Was liest du?“ verändert und eben so lesen wir es jetzt – ich sage: leider – auch in „Luther 2017“. Wäre nicht gerade an dieser Stelle eine Rückbesinnung auf Luthers eigene Übersetzung und damit auf den biblischen Text ratsam gewesen? Ähnlich übrigens verdeutscht die Neue Zürcher Bibel: „Was liest du da?“ In der alten Einheitsübersetzung steht: „Was liest du dort?“ und in der neuen: „Was liest du?“ Ich finde dieses „Was liest du?“ für das griechische pōs anaginōskeis – „Wie liest du?“ gar nicht gut, denn hier geht etwas Wichtiges verloren. Es geht nicht nur um das „Was“, sondern immer auch um das „Wie“ des Lesens.

Das „Wie“ des Lesens ist das Grundthema der Hermeneutik. Nicht zuletzt in der Bibel, doch ebenso sehr etwa auch im Koran geht es nicht nur um das, was da an einzelnen Stellen zu lesen ist, sondern auch und mehr noch darum, wie sich die jeweils diesen Schriften verpflichteten Gläubigen darauf beziehen, wie sie lesen. Und wie sollen wir „Luther 2017“ lesen? Ich schlage vor: als eine wichtige, aber nicht als die richtige Übersetzung. Und auf die Frage, welche Bibelübersetzung ich denn meinerseits zum Gebrauch empfehlen würde, kann ich nur antworten: Jedenfalls mehr als nur eine.

[1] An zwei Stellen dieses Gesprächs wird deutlich, wie eine philologisch korrekte Übersetzung die Lektüre auf eine schiefe Ebene bringen kann. Am Beginn der Sequenz Lk 10,25-37 heißt es in der (alten und neuen) Einheitsübersetzung: „Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn (…).“ Hier ist das griechische Partizip ekpeirazōn mit „um (…) auf die Probe zu stellen“ wiedergegeben. Er „versuchte ihn“, heißt es in den Lutherbibeln und so auch in „Luther 2017“. Das ist keine falsche Übersetzung, das Verb ekpeirazō kann so etwas wie „herausfordern/ auf die Probe stellen/ versuchen“ meinen. Zwischen „auf die Probe stellen“ und „versuchen“ gibt es vielleicht keinen erheblichen Bedeutungsunterschied, wohl aber eine große Klangdifferenz. Die Wendung, er „versuchte ihn“ macht den Fragesteller nämlich geradezu zum „Versucher“, seine Frage wird zu einer quasi teuflischen. So legt es die Übersetzung der Lutherbibeln nahe, der biblische Text tut das nicht. Tatsächlich will der gesetzeskundige Fragesteller Jesus mit dieser Frage herausfordern. Dass er eine Fangfrage stellen oder ihn provozieren wollte, lese ich da nicht. Er will ihm in einem gelehrten rabbinischen Streitgespräch auf den Zahn fühlen, will seine Kompetenz auf die Probe stellen.
Ähnlich steht es in V. 29 im Zusammenhang der zweiten Frage des Toralehrers. thelōn dikaiōsai heauton heißt es im griechischen Text. „Der aber wollte sich rechtfertigen“ übersetzen die Neue Zürcher Bibel und die neue Einheitsübersetzung. Anders akzentuierte die alte Einheitsübersetzung: „Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen“. Möglich sind noch weitere Wiedergaben, etwa: „Der wollte im Recht bleiben“, d.h. seine dann folgende Frage („Und wer ist mein Nächster?“) als berechtigt darstellen, oder auch: „Der wollte seinerseits dem gerecht werden“, d.h. er fragt, weil er der Forderung der Nächstenliebe gerecht werden will, nach der Konkretion.
Auch die Wiedergabe des thelōn dikaiōsai heauton in den Lutherbibeln ist nicht falsch, doch sie lässt abermals einen problematischen Ton mitklingen. „Er aber wollte sich selbst rechtfertigen“, steht auch in „Luther 2017“. Während die o. gen. Wiedergabe „sich rechtfertigen“ eher alltagssprachlich klingen mag, bekommt spätestens die Wendung „sich selbst rechtfertigen“ (so korrekt sie auch das heauton des griechischen Textes aufnimmt) einen falschen Klang. Aus einem, der die Berechtigung einer Frage durch eine Zusatzfrage bekräftigen will, wird einer, der selbstgerecht ist. Der Fragesteller wird zum Zerrbild vermeintlicher jüdischer Werkgerechtigkeit, zu einem, der das „Gesetz“ repräsentiert und dem Jesus das „Evangelium“ entgegen hält. So erhält die Passage eine verhängnisvolle Kontur, in der Gesetz gegen Evangelium, Wortklauberei gegen konkretes Tun, abstrakte Rechthaberei gegen Barmherzigkeit und am Ende der sozusagen schon ‚christliche‘ Samariter gegen den und die Juden zu stehen kommen. Noch einmal: die Übersetzung „Er aber wollte sich selbst rechtfertigen“ ist lexikalisch und grammatisch nicht falsch, sie gibt die Wörter richtig wieder. Aber sie ist in ihren Worten, in dem, was da zum Klingen und zum Mitklingen kommt, problematisch oder wird es spätestens dann, wenn man hier einen Menschen sieht, der sich selbst rechtfertigen will, der meint, das eigene Seelenheil selbst bewirken zu können.