No Mohr! Rassismus und Bibel

 

Rassismus

Südseeprinzessin

Es gibt Worte, die sind vielen Deutschen so sehr ans Herz gewachsen, dass sich vehementer öffentlicher Protest regt, wenn sie von Streichung bedroht sind. Dies geschah zum Beispiel, als aus der „Negerprinzessin“ Pippi Langstrumpf eine „Südseeprinzessin“ wurde. Die Empörung war groß, man behauptete, wieder einmal habe die Political-Correctness-Polizei zugeschlagen, deren Ideologie sich über Kinderliteratur lege wie Mehltau, und schließlich gehöre das „N.-Wort“[1] nun mal zu Pippi wie ihre Frisur. Hier geht es nicht „nur“ um die Verteidigung eines kolonialrassistischen Worts, sondern auch um die Vitalisierung der Definitionsmacht bestimmter wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Eliten, darüber zu bestimmen, was als rassistisch zu gelten hat und was nicht.

[1] Wie können wir rassistische Gewalt benennen, ohne sie damit zu reinszenieren? In diesem Beitrag werden gewalttätige Begriffe wie „Neger“ und „Mohr“ sparsam verwendet, ansonsten werden sie abgekürzt als „N.“ bzw. „M.“.

Der Mohr gehört in die Lutherbibel?

Die Verteidigung kolonialrassistischer Begriffe und einer vermeintlich selbstverständlichen Definitionsmacht findet auch im kirchlich-theologischen Raum statt. Aktuell geht es um eine theologische Elite, die beschlossen hat, dass der „Mohr“ nach wie vor in die Lutherbibel gehört.

Die neue Lutherübersetzung, erstmals vorgestellt im Oktober 2016, steht für die Verbindung von Modernisieren und Bewahren: Ziel war es, eine größere sprachliche Genauigkeit herzustellen und gleichzeitig der Sprachkraft Martin Luthers gerecht werden – so die offizielle Darstellung. Veränderungen wurden nur vorgenommen, wenn Stellen aufgrund von neuen textkritischen Erkenntnissen und/oder aufgrund von neuen exegetischen Erkenntnissen als fehlerhaft angesehen und um des Prinzips der Texttreue willen zwingend geändert werden mussten.

Diese Kriterien galten nicht für einen Vers aus dem Buch des Propheten Jeremia. Die alte wie die neue Bibelübersetzung von Jer 13,23 lautet:

„Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken?“

Im hebräischen Original steht: „Kann etwa ein Kuschit seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken?“ Mit „Kuschit“ ist ein Mensch aus einer Region Afrikas gemeint, die heute Äthiopien zugerechnet wird. Der Prophet will damit zum Ausdruck bringen, dass der Kuschit wie auch der Panther über Eigenschaften verfügen, die zu ihnen gehören und unverlierbar sind.

Luther machte aus dem Kuschit einen „M.“. Damit verlagerte er den Fokus von der Geografie (ein Mensch aus einer bestimmten Region) auf die Gattung (ein Mensch der Sorte „schwarz“). Er suggerierte mit dieser Übersetzung, dass Menschen in biblischer Zeit Farbbegriffe wählten, um große Gruppen von Menschen zu bezeichnen. Das genau haben die biblischen Verfasser_innen umgangen: Sie verwendeten eine vermutlich weit verbreitete Redewendung, die „einen direkten Farbbegriff ersetzt, insbesondere innerhalb des Rahmens poetischer Sprache“ (Brenner, S.47). Das überrascht kaum, hat doch Bibel generell wenig Interesse an Farbbegriffen. Im Ersten Testament kommt der Begriff für „schwarz“ (sahor) ganze sieben mal vor, der Begriff für „weiß/hell“ (laban) nur 29 Mal.

Hautfarbe in der Bibel

„Hautfarbe“, wie wir sie heute in einer rassistisch geprägten Gesellschaft verstehen, ist der Bibel unbekannt. Ihr geht es – und dies auch nur am Rande – um den Zustand der Haut: Beispielsweise nennt Lev 13 helle Hautflecken (wahrscheinlich Schuppenflechte), das Hohelied 1, 5 erwähnt die gebräunte Haut einer Frau, später eine rosige Hauttönung aus Ausdruck von Gesundheit (5,10). Erst im babylonischen Talmud wird Hautfarbe im Kontext von Hautkrankheiten und ihrer Diagnostik ausführlicher behandelt (Traktat Nega’im 2,1, vgl. Wollrad, S.226ff). Eine generische Begrifflichkeit zur Bezeichnung von Menschen nach Hautfarben ist in der Bibel an keiner Stelle zu finden.

Erst Luther hat mit seiner Übersetzung diese generische Sichtweise, die Menschen farblich spezifischen Gattungen zuordnet, in den biblischen Text eingetragen und darüber hinaus eine Wertung vollzogen. Bei dem Begriff „M.“ handelt es sich um die älteste deutsche Bezeichnung für Schwarze Menschen, die seit ihrer Entstehung negative Aspekte beinhaltete. Das Wort geht einerseits auf das griechische „moros“ zurück, das „einfältig“, „dumm“ oder auch „gottlos“ bedeutet, andererseits auf das lateinische „maurus“, welches „schwarz“, „dunkel“ oder „afrikanisch“ bedeuten kann. Daraus entwickelte sich das althochdeutsche mor und schließlich „Mohr“.

Hofmohren

Im Mittelalter bezeichneten Christ*innen mit „moros“ muslimische Menschen Nordafrikas, die die iberische Halbinsel besetzten und als Inkarnation des Anti-Christen gesehen wurden. Später wurde „M.“ zur pauschalisierten Bezeichnung für alle Menschen „dunkler Hautfarbe“ (Arndt/Hornscheidt, S. 168ff).

Auch zu Luthers Zeiten war der „M.“ keine rein wertneutrale Bezeichnung. Seit dem 14. Jahrhundert war es in deutschen Adelskreisen üblich, den Hofstaat mit Schwarzen Sklaven zu „zieren“, die als „Hofmohren“ bezeichnet wurden. Damit implizierte der Begriff schon damals abwertende Elemente des „exotischen Dienens“. Andererseits gab es auch eine wertschätzende Tradition: Luther kannte den heiligen Mauritius, einen Afrikaner, dessen Standbild im Magdeburger Dom zu finden war und der in Quellen aus dem 12. Jahrhundert als „herzoge der Môre“ (Martin, S.35) bezeichnet wurde.

Der M. kann gehen

In seiner negativen Konnotation ist der „M.“ bis heute bekannt: als lächerliche kindliche Gestalt, deren Schwärze einen Makel darstellt (Struwwelpeter) und in Redewendungen („Der M. hat seine Schuldigkeit getan, der M. kann gehen“). Und noch immer werden in unseren Kirchen Krippenspiele aufgeführt, in denen einer der drei Könige sagt: „Ich bin der Mohr, habt keine Angst vor mir.“ Heute gilt in der Wissenschaft der Begriff aufgrund seiner kolonialen Negativbedeutung als rassistisch und wird nicht mehr verwendet.

Die Wirtschaft hat entsprechend reagiert: Aus „M.-köpfen“ wurden „Schokoküsse“, und der Sarotti-Konzern bezeichnet sein Markenzeichen, den kleinen dunkelhäutigen Jungen in Pluderhosen und Schnabelschuhen, nicht mehr als „Sarotti-M.“, sondern als „Sarotti-Magier“.

Verschiedene christliche Konfessionen haben ebenfalls Konsequenzen gezogen: Alle neueren Bibelübersetzungen entschieden sich entweder für „Schwarzer“ (Gute Nachricht 2000; Eberfelder 2006) oder „Kuschit“ (Züricher 2007). Auch die jüngst erschienene Einheitsübersetzung strich das „M.-Wort“ und übersetzt nun mit „Kuschit“ (2016). Die einzige Ausnahme bildet die neue Lutherbibel. Sie schreibt mit der Beibehaltung des Begriffs „M.“ eine gewalttätige Tradition fort, die Menschen of Color verletzt, die Würde aller Menschen beschädigt und die biblische Botschaft verzerrt. Da vorausgesetzt werden kann, dass die Verantwortlichen nicht unbedacht den „M.“ im Jeremiabuch beließen, erhebt sich die Frage, welches Argument für diese Übersetzung so schwer wiegt, dass es gegen das hebräische Original und eine leidvolle Wirkungsgeschichte bestehen kann.

Dem Rat der EKD liegt ein Schreiben der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus sowie des Netzwerks „Antisemitismus- und -rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie“ (NARRT) vor mit der Bitte um Prüfung der Übersetzung und Streichung des Wortes „M.“. Und obwohl eine Entscheidung des Rats noch aussteht, ist eines heute schon deutlich: Das Ende der vermeintlich selbstverständlichen Definitionsmacht einer bestimmten kirchlich-theologischen Elite ist gekommen, und es ist Zeit für einen breiten öffentlichen Diskurs.