Himmelfahrt und Herrschaftskritik

AntisemitismusRassismus

Beitrag von Dominik Gautier auf feinschwarz.net – Theologisches Feuilleton zu Christi Himmelfahrt am 4. Mai 2016

Das Bild der Himmelfahrt motiviert Dominik Gautier dazu, eigene Verwicklungen in Herrschaftsverhältnisse zu befragen und hierin Momente eines „aufrechten Gangs“ zu entdecken.

Die Bedeutung der Himmelfahrt für die Welt erkennen

Jesus verabschiedet sich mit seiner Entrückung in den Himmel nicht in ein Jenseits der Welt. Vielmehr beginnt hiermit seine verstärkte Zuwendung zum Weltgeschehen, indem nämlich seine Herrschaft über die Welt ihren Anfang nimmt. Er streitet nun an der Seite Gottes gegen Herrschaftsverhältnisse, die uns die Freiheit nehmen. Dies ist eine wesentliche Einsicht für mich, die aus der Himmelfahrtsdeutung Karl Barths zu gewinnen ist. Das Interessante an Barths Auslegung ist aber vor allem der Gedanke, dass die Menschen an dem Geschehen der Himmelfahrt beteiligt sind: Alle Menschen dürfen sich als „Erhöhte“ begreifen, die den „aufrechten Gang“ lernen und sich mit Christus gegen unterdrückende Machtansprüche wehren. Besonders in der Tradition des reformierten Protestantismus wurde eine solche Haltung immer wieder mit dem Bezug auf das Motiv der „Königsherrschaft Christi“ zur Sprache gebracht. Barth hat hiermit seine kritische Haltung dem Nationalsozialismus gegenüber ausgedrückt und seine Opposition gegen die nachkriegsdeutsche Remilitarisierung begründet.

Das herrschaftsförmige Christentum hinterfragen

Eine herrschaftskritische Haltung stellt für mich eine der wichtigen Eigenschaften des Christentums dar, wenngleich sie nicht ohne ein Reflektieren über die Problematik des Herrschaftsbegriffs zur Geltung zu bringen ist. Kritische Theologien haben herausgearbeitet, dass Gewalt sowohl gegen Frauen, Juden und Schwarze als auch gegen die Erde immer wieder mit dem Rückgriff auf den schöpfungstheologisch begründeten Herrschaftsauftrag oder die christologisch untermauerte „Erhöhung“ der Glaubenden legitimiert wurde. Wenn die Vorstellung davon, dass Jesus Christus im Zuge der Himmelfahrt „alles zu Füßen gelegt ist“ (Eph 1, 20–22), nicht zum Triumphalismus werden soll, müssen die Einsichten dieser theologischen Arbeiten im Blick behalten werden. Wie ist von der „Königsherrschaft Christi“ zu sprechen, wenn diese sich von der – in den biblischen Texten bedachten – schaffenden und aufrichtenden Macht des Gottes Israels her versteht?

Von schwarzer Theologie lernen

Ich möchte diese Frage auf das Problemfeld des Rassismus beziehen, demgegenüber das Christentum seine herrschaftskritische Seite zum Ausdruck bringen muss. Von James H. Cone, der zu Karl Barth promoviert hat und dann eigene Wege gegangen ist, lerne ich im Blick auf diese Herausforderung viel. In der Traditionslinie von Black Power hat er deutlich gemacht, dass das Sprechen von Jesus Christus als eine heilsame Unterbrechung weißer Vorherrschaft verstanden werden muss. In der Geschichte der Gewalt an Schwarzen – der Lynchmorde, Polizeigewalt und alltäglichen Ausschlusserfahrungen – ist für Cone die Passion Jesu wiederzuerkennen: Das Kreuz ist damit kein Zeichen der triumphalen Überlegenheit einer weißen christlichen Kultur. Die bestehenden Herrschaftsverhältnisse werden vielmehr vom Kreuz her – aus der Perspektive eines gelynchten Menschen – angefragt: Das Kreuz ist Solidaritätssymbol dafür, dass Gott diejenigen Menschen zum Widerstehen hin „erhöht“, die unter den Bedingungen weißer Vorherrschaft Gewalt erfahren. Es ist meines Erachtens ein Kontext wie dieser, in dem das Sprechen von der „Königsherrschaft Christi“ nämlich als der stärkenden Aufrichtung eines Opfers der Herrschaftsverhältnisse zu ihrer eigentlichen Bedeutung gelangt: Hier nimmt sie die Gestalt einer Hoffnungsäußerung einer marginalisierten Community an, die das So-Sein der Welt nicht unhinterfragt lässt.

Selbstkritisches Denken üben

Was bedeutet diese Vorstellung für mich, der von weißer christlicher Vorherrschaft profitiert? Das Bild von der Herrschaft eines gekreuzigten und auferstandenen Juden, auf das die Rede von der Himmelfahrt hinausläuft, bringt mich in einen Prozess des Nachdenkens darüber, wie ich in eine Kultur verwickelt bin, die meine Mitmenschen offen und verdeckt verletzt. Es lässt mich zögern, von mir – wie Barth sagt – als von einem mit Christus „Erhöhten“ zu sprechen. Es veranlasst mich aber dazu, das Verwickelt-Sein in antisemitische und rassistische Verhältnisse aushalten und selbstkritisch bedenken zu wollen – so wie es auch eine kürzlich erschienene Broschüre zu rassismuskritischer Religionspädagogik und Theologie versucht. Vielleicht, und das hoffe ich, kann gerade in dieser Zurückhaltung, die nicht über die schwierige Auseinandersetzung mit Herrschaftsverhältnissen hinweggeht, ein Moment des „aufrechten Gangs“ zum Ausdruck gebracht werden. Um diesen „aufrechten Gang“ soll es schließlich an Himmelfahrt gehen.