Höre Israel

Predigt von Christian Staffa 

Mk 12,28-24, Israelsonntag, 25.08.2019

Antisemitismus

Publiziert: 2019

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2.Kor. 13,13)

Höre Israel!!!

Das Wichtigste Gebot: Höre Israel! Dein Gott ist einer!


Ein Gespräch / zwei Juden / Folgen. Folgen, weil aus dem einen dieser beiden Juden  Jesus Christus wurde und die, die ihm folgten, von solchem Gespräch nichts mehr wissen wollten. Und sie wollten dieses wichtigste Gebot des Judentums, das Teil der frohen Botschaft, Teil des Evangeliums ist, war und bleibt, nicht mehr hören. Das Judentum und die konkreten je und je einzelnen Juden und Jüdinnen wurden spirituell und materiell enteignet, die Zerstörung des Tempels im Jahre 70 und Jerusalems im Jahr 135 als Ende der Geschichte Israels mit seinem Gott verhört. Ja, wie es Vergegnunggibt, gibt es wohl auch das verhören, mit einer für den Verhörten beträchtlichen Gefahr an Leib und Leben.

Höre Israel, liebe deinen Gott, mit Herz und Verstand, mit deiner ganzen Seele und deiner ganzen Kraft und noch das zweite, das mit dem einen zu einem Ganzen wird: liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Was gibt es da eigentlich zu verhören? Ist da auch nur irgendetwas zu missverstehen? Ich will in diese Tragödie der selbstgerechten und tödlichen christlichen Verhöre heute nicht eintreten, auch wenn wir bei allem, was wir zu unserem Verhältnis zu Israel nicht nur an diesem Sonntag – ist nicht jeder Sonntag ein Israelsonntag – dieses Verhören bedenken, mithören müssen.

Als erstes wäre für uns wohl – und das ist nicht so leicht – zu verstehen, dass zunächst das „Höre Israel“ nicht zu allererst zu uns gesagt ist. Ist es doch das höchste Gebot Israels, wie wir es im Text der hebräischen Bibel in Deuternomium 6 gehört haben. Gleichsam leiblich wird es in jüdischen Häusern in der Mesusa am Türrahmen als lebendige und alltagsbegleitende Tradition erfahrbar. Es ist zu dem Volk Israel gesagt. Aber nun steht es ja doch auch in diesem Markus Evangelium, es ist Teil der frohen Botschaft. Das ist es ja auch als Teil des Alten Testamentes, das ja schließlich auch unser Buch ist, nicht nur für uns, aber eben auch! Also von zwei Seiten her doch auch zu uns und für uns gesagt.

Nicht weghören: Das geht dann nicht so leicht über Bord zu werfen, wie es neuerdings wieder in Mode kommt oder vielleicht auch nie aus der Mode war, die „guten“ Texte von den „ schlechten“ Texten insbesondere im Alten Testament zu scheiden, wie es unlängst ein Bischof der Nordkirche, Herr Abromeit, wieder tat. Der böse Nationalgott des Deuteronomiums gegen den universellen Gott der Propheten, der dann in Jesus Christus seine ganzen gewaltfreien universellen Kräfte entfalten konnte. Da wird fröhlich alle Verschränktheit des Großen mit dem Kleinen, des Volkes mit den Völkern, das Ineinander von Schöpfung und Erwählung weggehört.
So geht es nicht, auch wenn dabei und danach aller guter Wille und Israelfreundlichkeit beschworen wird. Es ist ein klassisches antijüdischen Modell, die Propheten auf Jesus weisen zu lassen, als wären sie immer universell und gewaltfrei in Sprache und Denken, als wäre Jesus es immer gewesen.

Zuhören: Nun also aber wie denn dann? Wie ist diese Beziehung ohne Enteignung und ohne Denunziation des Anderen, des Judas, des Jüdischen, des Gesetzes und ohne narzistische Kränkung, zu denken, zu leben, zu hören?

Vielleicht liegt das Geheimnis genau da – nur anders verstanden: Im Zuhören dürfen wir uns zugehörig wissen. Dabei unterstreicht das Zuhören die Unverfügbarkeit unserer Beziehung zu Gott. So wie Israel für uns unverfügbar ist, sondern wir aus Gnade Ihnen eben zum Hören an die Seite gestellt sind. Das bedeutet ja nicht, dass wir keine eigenen Erfahrungen machen mit Gott, mit Gottes Geschichte mit uns und in dieser Welt. Aber an Israel können wir lernen, dass diese Beziehung ein Geschenk ist. Dass dieses mit ganzer Kraft, mit Herz, das im Jüdischen der Sitz auch des Verstandes ist, mit unserer Seele Gott lieben und so auch den und die Nächsten  ein unverfügbares Geschenk ist, das Leben ermöglicht. Liebe, wie der Geist des Gottes Israel, der uns befreit atmen lässt, unsere Zugehörigkeit – ein Geschenk. Das könnte vor mancher Hybris bewahren, der wir allerdings vermutlich doch immer wieder anheimfallen, auch das können wir von Israels Geschichte mit Gott lernen.

Neu Hören: Aber dieses Lernen geht nicht als Besserwisserei: ah der Tempel zerstört, also keine Verheißungen mehr. AhhIsrael benimmt sich als Staat nicht, wie wir es uns vorstellen und wie es auch manchem Völkerrecht widerspricht, also sind sie gleichsam verstoßen aus der solidarischen Wahrnehmung, aus unserem Hören auf die Menschen, die in einem der multikulturellsten Ländern der Welt leben, Kopftücher noch und noch, die aber auch verbrannte Felder durch Ballons, die Angst vor den realen Tunneln, vor dem waffenstarrenden Südlibanon haben. Ahhh sie denken immer noch sie seien erwählt, das muss der verirrte Glaube an einen Nationalgott sein, den wir Christen doch längst überholt haben. Was ja schon leider, wie wir neu und immer wieder lernen müssen weder historisch noch gegenwärtig bezogen auf Christenmenschen stimmt. Hören wir doch von manchen Christen in Europa und den USA wieder, dass Nächstenliebe nicht Fernstenliebe ist, also recht eigentlich nur der Familie, dem Dorf und maximal der Nation gilt.

Nein das ist kein Zuhören. Das ist kein Hören auf die Schrift und das ist kein Hören auf das Schema Israel.

Zugehörig: Dabei ist es so ein wunderbares Geschenk – dazu zu gehören durch Hören auf Israel. Diese Verbindung durch das Versprechen der Gottesliebe, wohlgemerkt mit Herz und Verstand, mit der Nächstenliebe. Vertikale und Horizontaleim Gespräch unverbrüchlich.  Die Verbindung von ganz konkreter Geschichte Israels und kleinster paulinischer Gemeinde mit der Schöpfung. Philosophisch gesprochen von Transzendenz und Immanenz. Darin steckt die Verheißung auf das Reich Gottes, um das wir im Vater Unser bitten dürfen. Darin steckt, dass diese Welt im Kleinen wie im Großen nicht so bleiben muss wie sie ist. Darin steckt Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit, ein Aufbrechen des „In uns Verkrümmt sein“. Jakob Taubes, ein jüdischer Philosoph, der zuletzt in Berlin lehrte,  beschreibt dieses Geschenk so:

Höre: „Der Mensch ist dann heimgeholt von Gott und ek-sistiert, da er seine Mitte findet: in Gott. Damit hebt sich der Schleier, der über der Welt lagert, die Nebel zerreißen, die vermessenen Maße des Menschen fallen und das Maß Gottes wird offenbar.“ Im Hören auf die Geschichte Gottes mit Israel und der Verheißung für die Völker, zerreißen die Nebel, wird der Alternativlosigkeit und dem Satz „die Menschen sind eben so“ widersprochen. Gleichzeitig versucht die Liebe zum Nächsten diesem Widerspruch immer wieder neu Gestalt zu geben. Und wieder wird auch anstrengenderweise dieser Versuch von dem zum Glück gnädigen Licht Gottes angestrahlt. Solche Liebe ist angewiesen auf das immer wieder neue transzendieren des Eigenen, nicht nur des Individuellen, sondern auch des kollektiven Eigenen, der evangelischen Gemeinde, unserer Kirche, der Kultur, der Nation, Europas, überall da sind wir angewiesen auf die Einübung vom anderen her zu hören und zu leben. Ja, das ist komplex und kompliziert. Unser zentrales Gebet weiß darum. Warum sonst sollten wir darum bitten, dass wir nicht in Versuchung geführt werden, dass sein und ihr Reich komme, dass wir unsern Schuldigern vergeben können wollen. Weil es eben nicht selbstverständlich ist, auch wenn es so schön und überzeugend klingt.  Das ist nicht einfach einfach. Aber es ist, wenn es auch nur in Ansätzen gelingt, immer mal wieder ein kleines Licht durch unsere gepanzerte Welt eindringen zu lassen, einfach schön. Dieses Licht haben wir geschenkt bekommen in der ganzen Schrift und mit diesem Text ganz explizit. Wir dürfen zuhören, wir dürfen uns zugehörig fühlen und müssen gar nicht enteignen, nicht den anderen Kleinmachen. Da können dann nach Jochen Klepper auch immer wieder Angst und Klage schweigen und froher Zuversicht weichen. Mit Herz und Verstand, beglückt lachend darüber, dass wir nicht mit uns allein sind, aber auch uns nicht im Spirituellen auflösen, sondern mit Israel lernen auf das Kleinste zu achten und doch das Ganze zu spüren, darin und darüber. Wäre das Liebe?

Und ja, wir werden, auch das können wir in der Schrift finden, wir werden daran auch immer wieder scheitern, aber das soll uns weder das Sch´ma aus den Ohren, noch das Lächeln aus dem Gesicht wegzaubern. Wenn das gelingt, sind wir vielleicht nicht so fern vom Reich Gottes an der Seite des Schriftgelehrten im frohen Gespräch mit dem Juden Jesus, von dem wir glauben, dass er der gekommene und kommende Messias ist.

Amen

 Veröffentlicht auf der Homepage der Evangelischen Akademie zu Berlin www.eaberlin.de Alle Rechte beim Autor / bei der Autorin oder bei der Ev. Akademie zu Berlin